Angela Beeskow: Die Ausstattung in den Kirchen des Berliner Kirchenbauvereins (1890-1904). Mit einem Beitrag zur Ikonographie des Protestantismus (= Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin; Beiheft 30), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2005, 480 S., ISBN 978-3-7861-1765-0, EUR 78,00
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Zwischen 1890 und 1904 wurden in Berlin 45 evangelische Kirchen gebaut. Als Träger dieses Kirchenbauprogramms zeichnete der 1890 auf Initiative Kaiser Wilhelms II. gegründete Evangelische Kirchenbauverein in Berlin. Kaiser und Verein zielten dabei unter anderem auf eine stärkere Bindung der durch Verelendung und soziale Unruhen bedrohten Massen an Staat und Kirche. Entsprechend zeichneten sich die Neubauten durch eine ebenso prachtvolle wie inhaltsreiche Bildausstattung aus, in der sich neben theologischen Aussagen auch kirchenpolitische Standpunkte und das Streben nach Repräsentation manifestierten.
Im Gegensatz zu den bereits gut erforschten sakralen Prestigeobjekten des Kaisers in Berlin, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und Dom, wurden die städtischen Gemeindekirchen bisher nur in Architektenmonografien gewürdigt und die Ausstattung eher erwähnt als analysiert. Die Arbeit von Angela Beeskow setzt hier einen neuen Akzent. Es geht weniger um die Architektur als um die Entschlüsselung der Bildprogramme. Die 45 Kirchen und ihre Ausstattung stehen als geschlossene Denkmälergruppe im Kontext der theologischen sowie der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen des Protestantismus. Der Autorin geht es außerdem um eine gerechtere Bewertung der künstlerischen Qualität historistischer Kirchenkunst und um die Widerlegung der These Hans Sedlmayrs, dass die Kirchen des 19. Jahrhunderts keine Ikonologie mehr besaßen (11).
Mit dem heute stark dezimierten Denkmälerbestand stieß Beeskow auf eine schwierige Ausgangslage für ihre Forschungen. Doch erbrachte die Auswertung des Materials im Evangelischen Zentralarchiv sowie in den Gemeindearchiven, die Sichtung von Kartons und Entwürfen und das Studium von Predigten eine gute Quellenbasis für eine aufschlussreiche Studie mit drei Hauptteilen: Erörtert werden zunächst die institutionellen, finanziellen und künstlerischen Rahmenbedingungen des Kirchenbauprogramms. Es folgen eine eingehende ikonografische Analyse der Bildausstattungen und schließlich der durch eine Übersichtskarte ergänzte Katalog der 45 Kirchen.
Der erste Teil beginnt mit einer Darstellung der theologischen und künstlerischen Prinzipien des Kirchenbauvereins. Wie der kirchenhistorische Abriss zeigt, gehörten sowohl liberale als auch konservative Theologen und Laien dazu. Deren Standpunkte werden recht knapp skizziert: mit dem Streben nach autonomen Ausdrucksformen des Glaubens und demokratischer Struktur der Kirche einerseits und mit dem Beharren auf die unanfechtbare Wahrheit der Bibel und kirchlicher Autorität andererseits. Festzuhalten ist, dass die konservativen Kräfte eine starke Position besaßen und künstlerische Innovationen sowohl im Bereich der Architektur als auch in der Ausstattung unterbinden konnten.
Dem folgenden Unterkapitel zu Baustil, Grundrissformen und der Stellung von Altar und Kanzel ist zu entnehmen, dass der Kirchenbauverein sich trotz der für Preußen gelockerten Bestimmungen am Eisenacher Regulativ von 1861 orientierte. Auf diese vom konservativen Luthertum ausgehenden Richtlinien für den evangelischen Kirchenbau lassen sich der meist neugotische Baustil der Kirchen, die in der Regel seitlich aufgestellten Kanzeln und die der hohen Bedeutung des Abendmahls angemessenen tiefen Altarräume zurück führen.
Während Beeskow die Architektur in angemessener Kürze behandelt, ist ein größeres Unterkapitel den Techniken und Stilformen der Ausstattung gewidmet. Altar- und Kanzelschmuck, Mosaik, Wand- und Glasmalerei werden sowohl aus gattungs- als auch aus stilgeschichtlicher Sicht betrachtet und mit mittelalterlichen Vorbildern verglichen.
Die etwas sprunghafte Darstellung gewinnt in den Kapiteln über die wenigen gut erhaltenen Ausmalungen an Kontur. In der Dekoration der Immanuelkirche entdeckte die Autorin Parallelen zu den vom Kölner Kirchenmaler Michael Welter (1808-1892) ausgeführten Restaurierungen, z.B. in St. Kunibert in Köln. Als Vorbild sollen den Künstlern der Immanuelkirche Welters Aufnahmen mittelalterlicher Wandmalerei des Rheinlandes gedient haben. Bedenklich erscheint allerdings die generalisierend klingende Aussage, dass Stilformen der rheinischen Spätromanik und Frühgotik über die Arbeiten Welters in die Berliner Kirchenausstattungen gelangt seien (131). Denn den Kirchenmalern des Späthistorismus standen mehrere Mustersammlungen zur Verfügung, darunter die 1897 von Richard Borrmann in Berlin herausgegebenen Aufnahmen mittelalterlicher Wand- und Deckenmalereien. [1]
Hinsichtlich der künstlerischen Qualität und ästhetischen Funktion der Ausstattungen resümiert Beeskow, dass diese zwar nicht die Qualität mittelalterlicher Kirchenkunst erreichten. Doch seien die Rückgriffe auf ältere Kunstwerke oder Unstimmigkeiten, z.B. zwischen klassischem Figurenstil und mittelalterlichem Ornament, nicht auf künstlerisches Unvermögen zurück zu führen. Vielmehr verzichteten die Auftraggeber zu Gunsten guter Lesbarkeit auf die Originalität eigenständiger Bilderfindungen.
Der zweite Hauptteil der Studie bietet einen vielfältigen Katalog protestantischer Ikonographie. Er wird in die drei recht weit gefassten Themengruppen der Erlösung, der Wunder und Gleichnisse und der von Luther bis zu Kaiser Wilhelm II. reichenden Kirchengeschichte eingeteilt und durch eine Vielzahl kunsthistorisch und theologisch interpretierter Einzelmotive illustriert. Durch den Wechsel zwischen Analysen einzelner Bildprogramme und etwas weitschweifigen Exkursen zur Kirchengeschichte des Kaiserreichs wirkt die Darstellung zwar etwas unübersichtlich. Sie macht aber die Bezüge zwischen bestimmten Bildmotiven und den dahinter stehenden theologischen und kirchenpolitischen Auffassungen plausibel, z.B. der durch die Darstellungen von Krankenheilungen vermittelte Anteil der Kirchen an der Sozialfürsorge. Viel Raum widmete Beeskow dem Aspekt der kirchenhistorischen Persönlichkeiten. Zu ihnen gehört neben den Reformatoren auch das seit Kurfürst Joachim II. evangelische Haus Hohenzollern. In Rückgriff auf die Forschungen Jürgen Krügers [2] wird dargelegt, dass die um 1900 durch Kaiser Wilhelm II. vertretene Dynastie als Beschützer und Vollender der Reformation angesehen wurde, während das Lutherbild im 19. Jahrhundert an Klarheit verlor. Allerdings ließen sich diese Ergebnisse nicht allein aus den Bildprogrammen des Vereins, sondern auch aus denen des Berliner Domes oder der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ableiten.
Mit ihrer in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt Berlin publizierte Arbeit leistet Angela Beeskow insgesamt einen wertvollen Beitrag zur Aufwertung der Kunst in den bisher wenig beachteten Gemeindekirchen Berlins. Die durch viele Bilddokumente der Bauzeit gestützte, kenntnisreiche Analyse der Bildprogramme und der materialreiche Katalog lassen den fragmentarischen Zustand der Bauten fast vergessen. Das Buch sollte Mut machen, Sakraldekorationen des Historismus ungeachtet ihrer Qualität als Denkmäler der Kirchengeschichte zu erhalten.
Anmerkungen:
[1] Richard Borrmann (Hg.): Aufnahmen mittelalterlicher Wand- und Deckenmalereien in Deutschland, Berlin 1897.
[2] Jürgen Krüger: Rom und Jerusalem. Kirchenbauvorstellungen der Hohenzollern im 19. Jahrhundert, Berlin 1995.
Anne Heinig