Stefan Majetschak (Hg.): Klassiker der Kunstphilosophie. Von Platon bis Lyotard (= Beck'sche Reihe; 1660), München: C.H.Beck 2005, 399 S., 2 Abb., ISBN 978-3-406-52834-7, EUR 16,90
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In Zeiten, in denen der Relativismus und das Misstrauen der Postmoderne gegenüber Kanonbildung noch nachklingen, fällt Stefan Majetschaks Monografie zunächst durch den selbstbewussten und bekennenden Titel Klassiker der Kunstphilosophie. Von Platon bis Lyotard auf. Wie dieser schon ahnen lässt, soll die Anthologie, "dem Leser einen Überblick über die epochemachenden Positionen der europäischen Kunstphilosophie in Form von allgemeinverständlichen Einzeldarstellungen aus der Feder ausgewiesener Spezialisten" (7) vermitteln, so der Herausgeber im Vorwort.
Obwohl Majetschak sein Zielpublikum nicht näher spezifiziert, dürfte er bei der Konzipierung des Buches vor allem StudentInnen, akademisch Gebildete und all diejenigen im Blick gehabt haben, die sich für Kunstgeschichte interessieren und sich schnell eine Vorstellung von bestimmten Kunstphilosophen bzw. von maßgeblichen Theorien über Kunst machen wollen. Ihnen werden klare, gut strukturierte und kompetente Beiträge von unumstrittenen "Klassikern" wie Aristoteles, Alexander G. Baumgarten, Immanuel Kant, Gotthold E. Lessing, Georg W. Hegel und Theodor W. Adorno präsentiert. Auch wenn Hegels Kunsttheorie vielen bekannt sein sollte, so ist es trotzdem ein Vergnügen, Beiträge wie denjenigen Rüdiger Bubners zu lesen, der durch Souveränität und differenzierte Reflexion besticht. Dankbarerweise stößt man aber auch auf Artikel über vergleichsweise weniger bekannte Theoretiker wie Konrad Fiedler, Maurice Merleau-Ponty oder Arthur C. Danto. Konrad Fiedlers Reflexionen über die bildliche Wahrnehmung und über die Relevanz der Erziehung zur bildlichen Erkenntnis stellen vor allem angesichts der heutzutage zu verzeichnenden Verschiebung von einer Kultur des Textes zu einer Kultur der Performance eine erfrischende Lektüre dar.
Nichtsdestotrotz wirft das Prinzip, das Majetschaks Auswahl zu Grunde liegt, Fragen auf. Zwar muss man dem Herausgeber zugute halten, dass dies schon in der Natur des Unternehmens liegt, stellt doch das Auswahlkriterium solcher Anthologien eine schwierige Aufgabe und oft sogar deren Achilles-Ferse dar. Majetschak ist sich dieser Problematik durchaus bewusst und weist im Vorwort seines Buches darauf hin, dass ein solches Projekt immer die undankbare Aufgabe umfasst, eine Selektion vorzunehmen, die notwendigerweise auch das Weglassen wichtiger Texte mit sich bringt. Da das von Majetschak verfolgte Auswahlkriterium tendenziell einem essentialistischen und hegelianischen Kunstverständnis verpflichtet ist, nähert er sich der Kunst bzw. der Kunsttheorie mit erkenntnistheoretischen Fragestellungen an, die hauptsächlich "Wesen und Ursprung" (9), den "Begriff und Zweck der Kunst" (9f.) in den Mittelpunkt rücken. Ihn interessierten ebenfalls die Kunstüberlegungen, die sich als systematisch bedeutsam oder wirkungsreich erwiesen haben. Gleichzeitig versucht Majetschak, die Auswahl "möglichst unabhängig von den Vorentscheidungen einer ästhetischen Sicht auf die Kunst" (9) zu treffen.
Eine solche Annäherungsweise ist durchaus legitim und wäre einfach eine zu respektierende Frage der Perspektive, wären da nicht zwei Punkte, die als zu wenig reflektiert erscheinen und zur Problematisierung einladen. Erstens wird dieser Ansatz der Kunst des 20. Jahrhunderts nicht ganz gerecht, lag doch der Impetus zentraler einflussreicher künstlerischer Strömungen in ihrem Misstrauen gegenüber Sinnentwürfen, d.h. in ihrem nichthermeneutischen, subversiven und unsystematischen Ansatz - man denke beispielsweise an die Kunst der Avantgarde. Zwar findet der Leser Abhandlungen über Kunsttheoretiker wie Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche, Theodor W. Adorno und Jean-François Lyotard, die sich aus einer nichthermeneutischen Warte der Kunst nähern, aber sie muten eher wie eine Pflichtübung an, die den Charakter der Anthologie nicht wirklich prägt. Zum Zweiten tut Majetschak der Ästhetik Unrecht, indem er sie im Vorwort auf die Kategorie des Schönen reduziert. Diese Auffassung benutzt er dann, um die Ästhetik von der Kunstphilosophie abzugrenzen und seinen kunstphilosophischen Ansatz zu rechtfertigen. Dabei vergisst Majetschak jedoch, wie es heute leider immer noch allzu oft vorkommt, dass sich die Ästhetik längst vom Primat des Schönen befreit hat. Schon Kant hat in seiner bahnbrechenden Kritik der Urteilskraft die Ästhetik nicht an die Kategorie des Schönen gebunden, sondern auch dem Erhabenen einen zentralen Platz zugewiesen. Ebenso haben die Romantiker der Ästhetik des Schönen die des Interessanten vorgezogen. Und spätestens mit Karl Rosenkranz' Ästhetik des Hässlichen trat mit dem Hässlichen eine weitere Kategorie neben das Schöne und das Erhabene in die Ästhetik ein. Eine Kategorie, die mit ihrer Faszination für die Karikatur, das Obszöne und das Gewalttätige die Aufmerksamkeit zentraler Künstler der Moderne wie z.B. Charles Baudelaire auf sich gelenkt hat und die zentral für die Kunst des 20. Jahrhunderts ist - auch in der bildenden Kunst, in dem Bereich der Kunst also, der in Majetschaks Anthologie im Mittelpunkt steht. Angesichts der radikalen Veränderungen, denen die Menschen und die Kunst vor allem im letzten Jahrhundert ausgesetzt waren und die die Wahrnehmung grundsätzlich verändert haben - man denke beispielsweise an das Aufkommen der neuen Medien und deren Auswirkung auf die Welt- und Kunstperzeption - wäre eine aktualisierte Auffassung von Ästhetik nicht nur eine Bereicherung, sondern sogar dringend vonnöten gewesen.
Clara Ervedosa