Jörg Ulbert / Gérard Le Bouëdec: La fonction consulaire à l'époque moderne. L'Affirmation d'une institution économique et politique (1500-1700), Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2006, 427 S., ISBN 978-2-7535-0262-8, EUR 22,00
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Eine auf den Nationalstaat konzentrierte Verwaltungs- und Behördengeschichte hat selbstverständlich auch heute noch ihre Berechtigung, kann aber den Erwartungen einer international vernetzten Forscherwelt in vielen Bereichen nicht mehr genügen. Den Anknüpfungspunkt für eine interkulturelle Institutionengeschichte könnten die konsularischen Einrichtungen liefern, die zumal in Frankreich eine reiche archivalische Überlieferung hinterlassen haben. Es kommt nicht von ungefähr, wenn das frühneuzeitliche Konsularwesen deshalb gerade für die französische Monarchie besonders gut erforscht ist. Zum einen hat dort der Staat die konsularischen Einrichtungen früh seiner Kontrolle unterworfen, zum anderen war das Königreich der Bourbonen wegen seiner engen wirtschaftlichen Kontakte in die Levante mit Konsuln im gesamten Mittelmeerraum präsent.
Der tschechoslowakische Jurist Jaroslav Žourek hatte einst (1957), vom französischen Modell ausgehend, die Geschichte des frühneuzeitlichen Konsularwesens in drei Abschnitte eingeteilt: eine erste, bis ins 16. Jahrhundert reichende Phase, in der die Konsuln vor allem Richter über eine Handelsniederlassung im fremden Gebiet waren; eine zweite bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in der die bisher von Handelsstädten im Mutterland abhängige Institution verstaatlicht wurde, so dass sich die Konsuln in ihren Funktionen den übrigen diplomatischen Vertretern weitgehend anglichen; schließlich ein dritter Zeitabschnitt bis ins 19. Jahrhundert, in dem die Konsuln wieder stärker auf die Rolle staatlicher Handelsagenten auf fremdem Terrain festgelegt wurden. Eine endgültige völkerrechtliche Regulierung der Konsulate und ihres Status ist freilich erst mit dem internationalen Wiener Übereinkommen von 1963 erreicht worden. Dies bedeutet, dass sich die Funktion noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eindeutigen Festlegungen und knappen Definitionen entzieht. Wir können jedoch allgemein feststellen, dass es die Aufgabe der Konsuln war, die Handelsinteressen ihres Staates zu vertreten und organisatorische Aufgaben für die Angehörigen der eigenen Nationalität im Ausland wahrzunehmen.
Angesichts eines unbefriedigenden Forschungsstandes, der lediglich für die USA und die Stadtrepublik Ragusa (Dubrovnik) umfassende Monographien zur Geschichte des Konsularwesens aufweist, hat die Universität der Südbretagne in Lorient im Dezember 2003 ein internationales Kolloquium zum Thema "La fonction consulaire à l'époque moderne" veranstaltet, dessen Ergebnisse nunmehr im Druck vorliegen. Auf bretonischem Boden, in Nantes, werden auch die aus dem Ausland rückgeführten Aktenbestände der französischen Konsulate verwahrt und der Forschung zugänglich gemacht (Centre des archives diplomatiques de Nantes, CADN). Im Tagungsprogramm spiegelte sich die Komplexität des Gegenstandes wider, der an einer Schnittstelle von Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und Außenpolitikgeschichte liegt. Zwar stand Frankreich im Mittelpunkt des Tagungsgeschehens, doch fehlten auch Beiträge zu Skandinavien, den norddeutschen Hansestädten, Spanien, den USA sowie Österreich und Preußen nicht. Insgesamt handelt es sich dabei um die Erkundung eines weiten Forschungsfeldes, wobei sich die Beiträge stark nach Methode und Zugangsweise unterscheiden.
Ausgehend von der juristischen Literatur (Géraud Poumarėde) werden die Funktionen französischer Konsuln in der Zeit des Ancien Régime festgestellt (Anne Mézin), die einen weiten Bereich von der diplomatischen Repräsentation bis hin zu richterlichen, notariellen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten abdeckten. Gerade die umfänglichen Notariatsakten bilden einen wesentlichen Bestandteil der heute in Nantes verwahrten Konsulatsarchive Frankreichs, auf deren Wert für die Forschung ein Archivar des CADN ausdrücklich verweist (Jérôme Cras). Aber nicht nur der Orientierung künftiger Arbeiten über das Konsularwesen dient der Band, er versammelt auch informative Beiträge und Einzelstudien, die sich mit den Alltagsproblemen diplomatischer Praxis beschäftigen. Wie beispielsweise gelang den Konsuln die sprachliche Verständigung am Einsatzort? Sie griffen gerne auf einheimische Kräfte zurück, die jedenfalls im Osmanischen Reich oft christlichen Familien entstammten, welche über Generationen hinweg dem Konsulat verbunden blieben (Antoine Gautier). Zwei Studien befassen sich mit den konsularischen Diensten Frankreichs in Hamburg und Algier während des achtzehnten Jahrhunderts (Pascal Even, Patrick Boulanger). Eher im Stile klassischer Diplomatiegeschichte beschreibt Marc Bélissa die Bedeutung der französischen Konsuln in Nordamerika für die Beziehungen zwischen dem Königreich und den jungen USA zwischen 1778 und 1792. Amaury Faivre d'Acier, selbst als französischer Konsul in Sri Lanka tätig, untersucht schließlich die Auswirkungen der Revolution von 1789 auf den konsularischen Dienst Frankreichs im Osmanischen Reich.
Besonders fruchtbar machen lässt sich die Beschäftigung mit der Geschichte des Konsularwesens, wenn sie nicht nur einseitig aus der Sicht des entsendenden Landes gesehen, sondern in die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Ursprungs- und Gastland eingeordnet wird. Dies geschieht hier in Ansätzen für Frankreich und Skandinavien (Pierrick Pourchasse) sowie für Frankreich und die norddeutschen Hansestädte (Burghart Schmidt). Dabei wird deutlich, dass die Begriffe von Heimat und Ferne vollkommen variable Größen sind, die ihre Bedeutung ganz verlieren können. Der vormalige hamburgische Konsul in Bordeaux erklärte sich 1870 nach dem Sturz Napoleons III. ganz unumwunden für die französische Republik, weil ihm als freiem Hansestädter der Republikanismus gleichsam angeboren sei. Inwieweit man aber allein aus den Worten des Hanseaten auf einen liberalen Geist beim konsularischen Korps schließen kann, muss vorerst dahingestellt bleiben. Jedenfalls scheint es gerechtfertigt, die einzelnen Konsuln als ökonomische und auch als kulturelle Vermittler genauer in den Blick zu nehmen. In dem Band folgen dann noch informative Beiträge zum Konsulatswesen in Cadiz im 18. Jahrhundert (Manuel Bustos Rodríguez), zu den US-amerikanischen Konsuln in Bordeaux (Silvia Marzagalli), zum österreichischen Konsulardienst zwischen Karl VI. und Joseph II. (Rudolf Agstner) und zum Königreich Preußen, das erstmals 1711 in Lissabon einen Konsul installierte und nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. 1740 ein dichtes konsularisches Netz in Europa knüpfte (Jörg Ulbert).
Seinen besonderen Wert erhält der Band nicht zuletzt durch eine umfassende Bibliographie zur Geschichte des Konsularwesens, die nach Ländern geordnet ist und insgesamt 1068 Titel aufweist. Eine Fortführung des Vorhabens für die Konsulargeschichte im 19. und 20. Jahrhundert ist geplant.
Thomas Nicklas