Jürgen König / Werner Heegewaldt (Bearb.): Familienarchiv der Grafen zu Lynar auf Lübbenau. (Rep. 37 Lübbenau) (= Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; Bd. 19), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2006, XLIX + 517 S., ISBN 978-3-631-51529-7, EUR 86,00
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Zu den verdienstvollen Publikationsvorhaben eines Archives zählt gewiss die Erfassung und nutzerfreundliche Aufbereitung seiner Quellenbestände in Gestalt von Findbüchern und Inventaren. Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein - nicht nur vom beeindruckenden Umfang her - gewichtiges Ergebnis solcher Bemühungen. Jeder Kenner der Adelsgeschichte der alten nordostdeutschen Reichsterritorien weiß um die vergleichsweise großen kriegsbedingten Verluste der für dieses Thema relevanten Quellenbestände. Umso mehr ist es daher zu begrüßen, dass sich das Brandenburgische Landeshauptarchiv Potsdam entschlossen hat, für eines der vom Umfang und von seiner Bedeutung her wichtigsten Adelsarchive ein solches Inventar zu erstellen.
Auch über Brandenburg hinaus dürften zumindest einige Angehörige des aus Italien stammenden Geschlechts der Grafen von Lynar einen gewissen Bekanntheitsgrad beanspruchen. So hinterließ Rochus Graf von Lynar (1525-1586) seine Spuren als Architekt und Festungsbaumeister in Kursachsen und Brandenburg (Spandau, Peitz). Das neu bearbeitete Inventar erfasst das Familienarchiv der Grafen von Lynar auf Lübbenau als Teil des Herrschaftsarchivs mit insgesamt 274 Urkunden, 163 lfm Akten und 356 Karten aus dem Zeitraum 1315-1953. Zum Herrschaftsarchiv gehören noch das hier nicht aufgenommene Patrimonial- und das Gutsarchiv.
Der Vorzug gegenüber dem bislang zur Verfügung stehenden handschriftlich und ohne Register angefertigten Findbuch besteht darin, dass nunmehr in wesentlich ausführlicherer Form der Akteninhalt beschrieben und mit Enthält-Vermerken versehen worden ist. Jeder mit der Archivarbeit vertraute Benutzer weiß diesen "Service" gebührend zu würdigen. Eine sowohl die übergreifende Überlieferung (familiengeschichtliche Fragmente, Fideikommisse, Bilder u.a.) als auch die Nachlässe der 76 Mitglieder des Grafengeschlechts in chronologischer Folge erfassende Gliederung erleichtert den Zugang beträchtlich.
Die Auswertung des Lynarschen Familienarchivs enthält viele Anknüpfungspunkte für die verschiedensten Forschungsansätze und geht weit über das biographisch-familiengeschichtliche Interesse an den Lynars hinaus: Derjenige Forscher, der über die niederlausitzische Ständegeschichte arbeitet, wird hier ebenso auf ein reichhaltiges Quellenmaterial stoßen wie derjenige, dessen übergreifendes Interesse auf die Beziehungen herausgehobener Adelsfamilien zum Fürstenhof gerichtet ist. Es sind vor allem die reichhaltig vorliegenden Korrespondenzen, die sich als Fundgrube für diplomatie-, bildungs- oder militärgeschichtliche Fragestellungen erweisen können.
Hervorzuheben sind etwa die Handakten und Briefe des Grafen Johann Casimir zu Lynar (1569-1619), der sowohl im Umfeld des innerdynastischen Ausgleichs der fränkischen und brandenburgischen Linien der Hohenzollern als auch während des Jülich-Klevischen Erbfolgestreits diplomatisch tätig war, oder die reichhaltige Überlieferung über die im 18. Jahrhundert u.a. in Dänemark und Russland wirkenden Grafen Moritz Carl (1701-1768) und Rochus Friedrich (1708-1781). Nicht nur das Beispiel dieser beiden Lynars bietet gerade für die drei frühneuzeitlichen Jahrhunderte aufschlussreiche Belege für die allenthalben zu beobachtende territorienübergreifende Mobilität des Adels. Nicht zuletzt trug dazu die besondere verfassungspolitische Lage der Niederlausitz mit ihrem relativ hohen ständischen Autonomiestatus innerhalb Kursachsens bzw. innerhalb des Herzogtums Sachsen-Merseburg bei.
Ebenso reichhaltig sprudeln die Quellen zu solchen, gerade in den letzten Jahren sich einer Konjunktur erfreuenden Themen wie der Adels- und Hofkultur. Alle Facetten des adligen Lebens (Kavalierstouren, Familienfeiern, Wohnkultur u.v.m.) finden in der Überlieferung ihren Niederschlag in Gestalt von Familienverträgen, Ehestiftungen, Schreibkalendern oder Inventaren. Hervorzuheben ist die große Zahl von Reisetagebüchern aus dem 18. Jahrhundert, von denen bislang nur ein Teil ausgewertet worden ist.
Ein Personen- und Ortsregister sowie eine Konkordanz erleichtern die Benutzung gerade auch für denjenigen, der nicht speziell zur Geschichte der Lynars arbeitet. Man kann sich angesichts dieses beeindruckenden, von Jürgen König und Werner Heegewaldt erarbeiteten Findbuches nur viele interessierte Benutzer wünschen, und vielleicht findet sich unter diesen auch einmal jener Forscher, der - so der Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchives, Klaus Neitmann, in seinem Vorwort - "mit den Lynars das Beispiel einer adligen Lebensexistenz im ostmitteldeutschen Raum beschreiben möge, wie es vor Jahrzehnten Otto Brunner in einprägsamer, geradezu faszinierender Weise in seinem Buch 'Adliges Landleben und europäischer Geist' (1949) am Beispiel eines österreichischen Landadligen des 17. Jahrhunderts gelungen ist" (XXII).
Frank Göse