Manfred Schort: Politik und Propaganda. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Flugschriften (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 1023), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, 549 S., ISBN 978-3-631-54300-9, EUR 86,00
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Der die deutsche Geschichte bis 1871 prägende Dualismus zwischen Österreich und Preußen reicht in den Siebenjährigen Krieg (1756-1763) zurück. Diesem ging ein Bündniswechsel innerhalb des europäischen Staatensystems voraus: Preußen verständigte sich mit Großbritannien, Versailles gab den über zweihundertjährigen Kampf gegen die Wiener Hofburg auf. Der König von Preußen tat kund, von Feinden bedroht zu sein und löste einen Krieg aus, der die Grundlage seines eigenen Mythos - "jederzeit Herr der öffentlichen Meinung" - bilden sollte.
Die bisherige Forschung hat die Tableaus 'Politik' und 'Propaganda' in vielfältiger Weise ausgemalt. Es wurden unterschiedliche Äußerungsformen untersucht, neben schriftlichen Quellen auch Rituale wie Gottesdienste und Feste, die nicht nur das Quellenkorpus für die klassische Ereignisgeschichte, sondern zunehmend auch für die Medien- und Kommunikationsforschung und damit für die Kulturgeschichte bilden. Die im Wintersemester 2003/04 vom Fachbereich Geschichte der Universität Stuttgart angenommene Dissertation von Manfred Schort lässt sich in die Reihe der Studien zum Medien- und Zensurwesen einordnen, die bereits auf den bewussten Umgang der Wiener und Berliner Höfe mit gedruckten Texten sowohl auf lokaler Ebene als auch auf der Ebene der internationalen Diplomatie hingewiesen haben. [1]
Die Arbeit teilt sich in sieben Kapitel auf, die drei große Themenbereiche umfassen und jeweils chronologisch gegliedert sind. In den ersten drei Kapiteln werden Propagandainhalte, bezogen auf die legitimatorischen Argumentationslinien der Kontrahenten, an politischen Themen festgemacht. Hier geht der Autor der Frage nach, wer als der eigentliche Aggressor zu betrachten ist, und beschreibt die Stellungnahme des Reichs und die verschiedenen Friedensprojekte im Krieg (Kap. I-III). Im zweiten Teil analysiert Schort Kontrollmechanismen des Nachrichtenflusses; hier bilden Zeitungen und Zeitschriften, Flugschriften sowie die Bildpublizistik die strukturellen Eckpfeiler (Kap. IV-V). Auf die nicht immer eindeutig zu treffende Unterscheidung zwischen den offiziellen Staatschriften und den vermeintlichen Privat-, oft aber offiziösen Schriften legt Schort besonderen Wert, auch wenn er auf Letztere als eine eigenständige Form der Berichterstattung methodisch nicht näher eingeht.
Im dritten Teil widmet sich Schort den öffentlichen Debatten, die vor allem durch militärische Ereignisse angestoßen wurden. Hier skizziert er die völkerrechtlichen Themen wie etwa die Behandlung von Kriegsgefangenen und thematisiert die Kriegsberichterstattung (Kap. VI-VII). Die Perspektive Preußens, Österreichs wie auch Sachsens wird nacheinander unterschiedlich umfangreich referiert, wobei gelegentliche Seitenblicke auf Verhältnisse in anderen europäischen Staaten, etwa die Österreichischen Niederlande und Frankreich, angeboten werden.
Der Autor will nicht primär Ereignis-, sondern Rezeptionsgeschichte schreiben und befragt Flugschriften auf den Zusammenhang zwischen dem Gang der Ereignisse und "dem öffentlichen Werben um die Zustimmung zur eigenen Politik" (12). Er macht sich zum Ziel, eine "Meta-Ebene des tatsächlichen Geschehens" zu untersuchen, indem er der Frage nachgeht, wie "die verantwortlichen Zeitgenossen ihre Handlungen und Motive öffentlich darstellten" (21). Sein Ansatz soll beweisen, dass im Siebenjährigen Krieg, anders als häufig noch angenommen, "eine breite politisch interessierte Öffentlichkeit" existierte, um deren Zustimmung die politischen Entscheidungsträger zu werben nicht umhin kamen (12).
Mit Schorts Arbeit liegt erstmalig eine monographische Untersuchung des "Federkrieges" zwischen Wien und Berlin vor. Sein Verdienst darin besteht, sich der Flut von "Gift und Galle ausschreienden" (208) so genannten "Schutzschriften" politischer und militärischer Provenienz angenommen und diese unter rechts- und medienpolitischen Aspekten auf Inhalt, Verfasser- und Zielgruppen untersucht und geordnet zu haben. Mit großem Aufwand werden offizielle Staatsschriften und interne ministeriale Korrespondenzen analysiert und gegeneinander gehalten. Dadurch werden Methode und Motiv der politischen Entscheidungsträger, die offiziellen Verlautbarungen des Hofes über Gesandtschaften zu verbreiten, sowie auf Umwegen über Zeitungsredaktionen oder Universitätsgemäuer offiziöse Schriften in Auftrag zu geben oder zu billigen, deutlich.
Sowohl die Religions- als auch die Reichskriegsthese, deren sich die preußische Propaganda bediente, werden von Schort überzeugend widerlegt. In der Beurteilung der preußischen Nachrichtenpolitik schwankt der Autor zwischen der Hervorhebung der "moralischen Verwerflichkeit" des preußischen Vorgehens in Sachsen (92) und der Faszination für den "Virtuoz" der Propaganda - den König von Preußen. Trotz der angekündigten Distanzierung zur borussischen Geschichtsschreibung räumt Schort den preußischen Verhältnissen insgesamt mehr Platz als der österreichischen Seite ein und legt zur Beurteilung der (nicht nur militärischen) Sachverhalte vorschnell Friedrichs Maßstäbe zugrunde, womit er sich selbst ein trojanisches Pferd einschleust, das ihn am Ende zwangsläufig zur Rechtfertigung der preußischen Perspektive führt (477).
Schorts Diktion ist überwiegend referierend, was sich in einer gewissen Distanz zu theoretischen Begriffsgebäuden äußert. Unter anderem erscheint der zentrale Begriff 'Propaganda' etwas unscharf, der ein Schlagwort der Mediengesellschaft der Neuzeit und in der Anwendung auf die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts durchaus klärungsbedürftig ist. Ausgesuchte Informationen und verschwiegene Kritik, für viele der besprochenen Flugschriften habsburgischer Provenienz kennzeichnend, machen allein keine Propagandablätter aus. Es fehlt meistens, so doch ein wichtiges Ergebnis der Arbeit, die publikumwirksame Nutzung der Siege für die österreichische Seite.
Dagegen ist es dem Autor gelungen, sich die meistens übergangenen Aspekte der verlegerischen Arbeit zunutze gemacht zu haben. So bildeten etwa Preise ein zentrales Kriterium für eine potentielle Rezeption (sie entschieden unter anderem darüber, ob die Blätter eine breite Öffentlichkeit erreichten); sie werden von Schort akribisch vermerkt. Teilweise fehlen jedoch Rückschlüsse, etwa dass die Flugschriften ein begehrtes und verkäufliches Gut darstellten, das dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterlag. Wichtige marktwirtschaftliche Überlegungen, etwa, ob nicht viele Details gerade deshalb zurückbehalten wurden, um sie für ein besser verkäufliches Extrablatt aufzusparen, werden nicht weiter verfolgt. Gewinnbringend für die Arbeit wäre gewesen, wenn der Autor mehr Gewicht auf die strukturelle Beschaffenheit des Nachrichtenmarktes gelegt und beispielsweise die häufige Praxis der fingierten Briefe sowie der gängigen Anonymität in ihrem historischen Kontext reflektiert und methodisch eingeordnet hätte (304). Bei einer Kürzung der mitunter doch sehr ausladenden Fußnoten wäre dies sicher machbar gewesen.
Trotz dieser Kritikpunkte kann dieses Buch vor allem als fundierte Quellengrundlage weitere Forschungen animieren. Es sei jedem empfohlen, der sich zu neuen Ufern der Kriegsgeschichte aufmacht, sich dabei auf der Suche nach Akteuren des Nachrichtengeschäfts und ihrem Aktionsradius begibt und disziplinübergreifende Ausflüge, etwa in die Medien- und Buchgeschichte, riskiert. Mit seiner Dissertation ist es Schort eindrucksvoll gelungen, eine Lücke in den Forschungen zur Wirkungsgeschichte dieses noch mit vielen weißen "mental maps" versehenen Krieges zu schließen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Wolfgang Duchkowitsch: Absolutismus und Zeitung. Die Strategie der absolutistischen Kommunikationspolitik und ihre Wirkung auf die Wiener Zeitungen 1621-1757, Wien 1978; Martin Welke: Die Presse und ihre Leser. Zur Geschichte des Zeitungslesens in Deutschland von den Anfängen bis zum frühen 19. Jahrhundert, in: Klaus Beyrer / Martin Dallmeier (Hg.): Als die Post noch Zeitung machte. Eine Pressegeschichte, Gießen 1994, 140-147.
Ewa Anklam