Gisela Drossbach (Hg.): Hospitäler in Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankreich, Deutschland, Italien. Eine vergleichende Geschichte (= Pariser Historische Studien; Bd. 75), München: Oldenbourg 2006, 267 S., ISBN 978-3-486-58026-6, EUR 39,80
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Carole Rawcliffe: Urban Bodies. Communal Health in Late Medieval English Towns and Cities, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2013
Alexander Bailey Gauvin et al. (eds.): Hope and Healing. Painting in Italy in a Time of Plague, 1500-1800, Worcester, MA: Worcester Art Museum 2005
Joël Chandelier: Avicenne et la médecine en Italie. Le Canon dans les universités (1200-1350), Paris: Editions Honoré Champion 2017
Gisela Drossbach: Christliche caritas als Rechtsinstitut. Hospital und Orden von Santo Spirito in Sassia (1198-1378), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005
Patrizia Carmassi / Gisela Drossbach (Hgg.): Rechtshandschriften des deutschen Mittelalters. Produktionsorte und Importwege, Wiesbaden: Harrassowitz 2015
Rosalind Brown-Grant / Patrizia Carmassi / Gisela Drossbach u.a. (eds.): Inscribing Knowledge in the Medieval Book. The Power of Paratexts, Berlin: De Gruyter 2020
Die Hospitalgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hat in den letzten Jahrzehnten in den deutschsprachigen Ländern die sozial- und mentalitätsgeschichtliche Forschung ganz wesentlich beeinflusst. Einen Meilenstein stellte, von einigen Monographien abgesehen [1] der 2005 von Michael Matheus (Rom) herausgegebene Band "Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich" dar. Thematisch beeindruckt bereits hier die Vielfalt der Institutionen, die sich von Ort zu Ort, je nach der Intention der Stifter und natürlich in Abhängigkeit von den ökonomischen Gegebenheiten unterscheiden. Dass es "das" Hospital des Spätmittelalters oder der Renaissance nie gab, wurde durch Untersuchungen zu Frankreich und Italien untermauert. Auch der jüngst erschienene Sammelband von Gisela Drossbach (Dresden/München) fügt sich in dieses Forschungsfeld ein. Neben dem internationalen Vergleich (Italien, Frankreich, Deutschland) wird der Einfluss lokaler Eigenheiten (geographische Lage, Konkurrenzinstitutionen), des gesellschaftlichen Umfelds (Stadt, Land, Klosterbereich), der Zielgruppen (Stellung der Präbenden usw.) und ökonomischen Rahmenbedingungen (in Einzelfällen stellten die Hospize Wirtschaftsunternehmen von überregionaler Bedeutung dar!) untersucht. Die thematische Vielfalt wird durch eine kühne, aber legitime Methodenvielfalt unterstrichen.
Nach einem Überblick über die aktuelle Forschungssituation durch Gisela Drossbach, François-Olivier Touati und Thomas Frank versucht Beate Sophie Fleck (Münster) eine Strukturierung von Quellen, die zu westfälischen Hospitälern im 15. und 16. Jahrhundert vorliegen. Alltagsgebräuche, religiöse Rituale, der Status der Pfründner, aber auch das wirtschaftliche Auf und Ab über Jahrhunderte stellen wichtige Einteilungskriterien dar. Gisela Drossbach (Dresden/München) kontrastiert auf der Basis von Statuten (regulae, statuta, ordonnances) Anspruch und Wirklichkeit im Alltag der Hospize. Hierzu wurden fünf Institutionen (Altopascio, Saint-Esprit-en-Grêve, Katharinenspital Regensburg, Heilig-Geist-Spital Nürnberg, Ritterspital in Ettal) ausgewählt. Die Regeln betrafen das Zusammenleben der "Spitalfamilie", den Umgang mit Krankheit und Tod, die geistliche Betreuung und Memoria-Praxis, hierarchische Fragen sowie Verwaltungsprobleme. Die Differenzen zu klösterlichen Statuten bzw. Regeln werden minutiös herausgearbeitet.
Andreas Meyer (Marburg) stellt in einem brillanten Aufsatz das im Hochmittelalter wichtige Hospital von Altopascio bei Lucca vor, das seit 1173 Hoheitsrechte über die für Pilger und Kaufleute wichtige Arno-Brücke von Fucecchio besaß. Der Reichtum dieser Institution basierte im 13. Jahrhundert, von Immobilien und Privilegien abgesehen, auf einem internationalen Netzwerk der Almosenrequisition, das sich bis England erstreckte. Neid, Verleumdung und Proteste blieben nicht aus. Der für heutige Krankenhäuser charakteristische Dualismus von Pflege bzw. Krankentherapie und Finanzmanagement scheint sich, wie das Beispiel zeigt, in nuce bereits im Mittelalter angedeutet zu haben.
Christine Jéhannos (Paris) ebenfalls grundlegender Artikel, der zahllose bisher unedierte Quellen berücksichtigt, kreist um die Speisen, die im Hôtel-Dieu in Paris präsentiert wurden. Organisation, Einkauf, Zubereitung und spezifische Zuteilungen für Kranke, Reisende, Arme, Alte, Pfründner und Kleriker werden geschildert. Bereits im Hochmittelalter galt es - in deutlichem Anklang an die Benediktinerregel - als ausgemacht, dass Kranke wie der Spitalmeister (quasi dominus domus) verköstigt werden sollten. Erst im 16. Jahrhundert wurde der Speiseplan "kanonisiert". In dem Zusammenhang stellt Frau Jéhanno die interessante Frage, inwieweit man sich in der Praxis an solche Pläne hielt. Grundnahrungsmittel blieb das "tägliche Brot", wobei in normalen Zeiten verschiedene Sorten zur Verfügung standen, je nach dem ob z.B. Kranke oder körperlich hart arbeitende Angestellte verköstigt werden mussten. Die Autorin zeigt auch, welcher beachtlichen logistischen Leistung es bedurfte, für Hunderte von Menschen die notwendige Menge abwechslungsreicher Ernährung bereitzustellen. Erfreulicherweise werden, wie auch im vorausgehenden Artikel von Andreas Meyer, die einschlägigen Quellen - vor allem die Statuten von 1535 - gleich beigefügt.
John Henderson (London), ein ausgewiesener Kenner der Hospitalgeschichte von Florenz, widmet sich der dortigen Armenversorgung am Beispiel des Erzspitals Santa Maria Nuova. Ausgehend vom Diktum Benedetto Varchis (1502-1565), man habe in Florenz drei Arten von Spitälern, nämlich Krankenhospize, Pilgerhospize und Waisenhäuser zu unterscheiden, steht das Pflegepersonal im Mittelpunkt der Analyse. Der Autor liefert interessante Informationen über Aufgaben, Geschlechterverteilung und soziale Herkunft der Pflegekräfte und Pfründner, deren Vermögen zwar irreversibel dem Hospital zufiel, denen aber als klassische Gegenleistung eine Versorgung bzw. Pflege in Krankheit und Alter garantiert wurde.
Brigitte Kurmann-Schwarz (Zürich) untersucht die Umstände der Gründung sowie die Struktur, Architektur und Kunstausstattung eines französischen Hospitals (Nôtre-Dame-des-Fontenilles in Tonnerre). Sie zeigt insbesondere das politische Netzwerk auf, in welches ein prominentes mittelalterliches Spital eingebunden sein konnte. Andreas Meyer ediert - in Ergänzung zu diesem Aufsatz - die päpstliche Gründungsurkunde der prominenten Einrichtung durch Bonifaz VIII. (1297). Thomas Frank (Berlin) akzentuiert in seinem Beitrag dagegen die Bemühung der Spitalstifter und -betreiber um das Seelenheil. Die "cura animarum" spielte in jedem christlichen Hospital eine zentrale Rolle. Die Memorialpraxis, welche die guten Taten und Stiftungen in Erinnerung hielt, wurde von der gesamten Spitalfamilie beherzigt. Tägliche Messen und Fürbitten waren im vorreformatorischen Umfeld fast überall selbstverständlich.
Andreas Rehberg (Rom) fasst schließlich die Situation in der Pilgermetropole Rom zusammen. Nach der prosopographischen Methode wird eine Übersicht über die wichtigsten Hospitäler der Stadt erstellt, allen voran Santo Spirito in Sassia. Historische Entwicklungen, Besitzverhältnisse, Strukturen und der zunehmende ökonomisch-politische Einfluss dieser dem Vatikan benachbarten Einrichtung, die unter Sixtus IV. grundlegend verändert wurde, werden erläutert. Auch die Frühgeschichte des 1216 von Kardinal Giovanni Colonna auf Initiative einiger römischer Bürger gegründeten Spitals San Salvatore am Lateran wird skizziert. Ein weiteres Thema stellt die Entwicklung von Santa Maria in Portico und besonders von Santa Maria dell'Anima dar.
Zweifellos gelingt es der Herausgeberin und den Autorinnen und Autoren, die Heterogenität der frühen Hospitäler aufzuzeigen. Gemeinsam war ihnen jedoch, dass sie in der Regel nach harten ökonomischen Grundsätzen geleitet wurden. Wirtschaftliche Umtriebigkeit und das Streben nach kollektivem Besitz waren akzeptiert, da sie das Überleben der Institution garantierten. Man sollte sich durch den ökonomischen Impetus aber nicht täuschen lassen: In Predigten und Memorialmessen, in der Beichte und bei vielen festlichen Anlässen verband man bis zum 16. Jahrhundert - und im katholischen Umfeld weit darüber hinaus - mit jedem Kranken, Pflegling, Pilger oder Waisenkind, die man versorgte, das Bild des Christus patiens, wie es in Matth. 25, 36-40 nahe gelegt worden war. Auch in protestantischen Institutionen, die hier nicht diskutiert werden, blieb dieser Ansatz von Bedeutung. Der sehr instruktive Band mit seinen unzähligen, auf subtiler Quellenarbeit basierenden Detailinformationen sowie den beiden fundamentalen, schon quantitativ umfassenden Aufsätzen von Andreas Meyer über Altopascio und Christine Jéhanno über die Ernährung im Pariser Hôtel-Dieu zeigt dies auf eindrucksvolle Weise und unterstreicht die strukturelle Vielfalt der alten Hospitäler.
Anmerkung:
[1] Vgl. z.B. Klaus Militzer: Das Markgröninger Heilig-Geist-Spital im Mittelalter. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des 15. Jahrhunderts, Sigmaringen 1975; Ulrich Knefelkamp: Das Heilig-Geist-Spital in Nürnberg vom 14. - 17. Jahrhundert. Geschichte, Struktur, Alltag, Nürnberg 1989; Carlo Watzka: Vom Hospital zum Krankenhaus. Zum Umgang mit psychisch und somatisch Kranken im frühneuzeitlichen Europa, Köln 2005; Silke Kröger: Armenfürsorge und Wohlfahrtspflege im frühneuzeitlichen Regensburg, Regensburg 2006
Klaus Bergdolt