Faith Evelyn Beasley: Salons, History, and the Creation of seventeenth-century France. Mastering memory (= Women and Gender in the Early Modern World; Vol. 7), Aldershot: Ashgate 2006, 345 S., ISBN 978-0-7546-5354-7, GBP 47,50
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Der zu rezensierende Band der amerikanischen Romanistin Faith E. Beasley fragt nach den Ursachen des Verschwindens oder des "Schattendaseins" von Frauen in der klassischen französischen Literatur. Ausgehend von der Berufung Marguerite Yourcenars als erster Frau in die Acadèmie Française 1981 begibt sich Beasley auf die Suche nach den Konstituenten dessen, was Franzosen ihrer Meinung nach als grundlegend für ihre literarische, künstlerische und philosophische Kultur, als "patrimoine", definieren würden. Wesentliche Elemente dieser als kanonisch empfundenen Kultur findet die Autorin im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert. Dabei stellt sie fest, dass der literarische und künstlerische Kanon französischer Kultur von Männern dominiert wird. Diesen Sachverhalt zu erklären und dabei das Bild von der französischen Kulturproduktion des "Grand Siècle" um die Rolle der Frauen zu ergänzen, sieht die Verfasserin als Aufgabe ihrer Studie.
Bei ihrer Betrachtung der literarischen Produktion im Frankreich des 17. Jahrhunderts fokussiert Beasley vor allem auf die Salons gebildeter Frauen, die den Autoren als Testpublikum und als Resonanzkörper gedient und somit einen wesentlichen Einfluss auf ihr Schaffen gehabt hätten. Ein Teil dieser salonnières sei gelegentlich auch selbst schreibend tätig gewesen. Dabei betont die Autorin ganz besonders den Unterschied zwischen der französischen Salonkultur des 17. und der des 18. Jahrhunderts. Im Gegensatz zum 18. Jahrhundert, als Frauen sich nur noch auf die Rolle der Gastgeberinnen beschränkt hätten, seien die salonnières des 17. Jahrhunderts hinsichtlich der Programmgestaltung sehr viel aktiver gewesen (5).
Der Einfluss der Salonkultur des 17. Jahrhunderts und damit der Frauen, die die Salons ausrichteten beziehungsweise an ihnen beteiligt waren, sei - so die Kernthese von Beasley - im Laufe des 18. Jahrhunderts aus der kollektiven Erinnerung und dem Geschichtsbild der Franzosen ausgelöscht worden - "eliminated from the historical record" (5) oder "erased from the history of the period" (318). Nur das Bild des völlig andersgearteten Salons des 18. Jahrhunderts habe überlebt, während die Kultur des "Grand Siècle" als ausschließlich männliches Produkt in die Literaturgeschichten des 19. und 20. Jahrhunderts eingegangen sei. Diesen Prozess der "Auslöschung" und seine Ursachen zeichnet die Autorin nach, indem sie zunächst die zeitgenössische Wahrnehmung der Salons untersucht, um dann im zweiten Teil der Transformation dieser Perzeptionen im kollektiven Gedächtnis nachzugehen. Während Autoren des 17. Jahrhunderts die Salons als wesentliches Element ihres Schaffens betrachteten, weil in ihnen literarischer Geschmack definiert wurde, habe man diesen Aspekt im 18. Jahrhundert weitgehend verdrängt. Schon unter Ludwig XIV. hätten staatliche Stellen versucht, die schwer kontrollierbare Öffentlichkeit der Salons zu beschränken. Im 18. Jahrhundert habe dann die neu definierte Frauenrolle den Salons ein anderes Gepräge gegeben, das die älteren Formen überlagert habe.
Auffällig ist jedoch, dass Beasley, indem sie immer wieder von einer "Auslöschung" der blühenden Salonkultur und des weiblichen Einflusses auf das Kulturschaffen des 17. Jahrhunderts spricht, eine Art intentionales Vorgehen unterstellt, ohne dass sie freilich die Akteure anders festmachen kann als durch den Verweis auf Aussagen in Werken des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Auch wird die Salonkultur des 17. Jahrhunderts mit ihrer Wirkung auf die gesamte literarische Produktion der Zeit nur anhand einiger weniger, sicherlich herausragender Beispiele wie etwa dem berühmten Salon der Marquise de Rambouillet dargestellt, ohne dass die Repräsentativität dieser wenigen Beispiele plausibel gemacht wird. Gelegentlich gewinnt man sogar den Eindruck, dass gerade die von der Autorin herangezogenen Quellenbeispiele die Allgemeingültigkeit der Aussagen über die Salons des 17. Jahrhunderts in Frage stellen. Die Bedeutung von Madame de Fontenelles' Salon für die Entstehung der Theaterstücke Pierre Corneilles etwa belegt sie mit einer Äußerung eines Kommentators von 1702 (20), die durchaus auch anders gelesen werden könnte: Als Zeugnis nämlich für das Exzeptionelle an Corneilles Verbindung zu dem Salon. Zudem bleiben die Ursachen des Wandels der Salons vom 17. zum 18. Jahrhundert insgesamt zu blass, indem sie auf den Wandel der weiblichen Rolle zurückgeführt werden, ohne diese wiederum einer genaueren Analyse zu unterziehen.
Insgesamt fällt die sehr essayistische, ja im Umgang mit den Quellen geradezu eklektische Vorgehensweise der Autorin auf, die sich somit unnötigerweise dem Verdacht aussetzt, von ideologischen Vorannahmen auszugehen. Auch das mit zehn Seiten recht schmale Quellen- und Literaturverzeichnis unterstreicht den essayistischen Charakter des Buches, das auf breiteres empirisches Quellenstudium eher verzichtet zu haben scheint. Dies ist um so bedauerlicher, als die aufgeworfenen Fragen nach der Bedeutung und dem Wandel der Salonkultur in Frankreich während des 17. und 18. Jahrhunderts wie auch die Fragen nach der Konstruktion einer Kulturnation durchaus von weitergehendem Interesse sind - im Hinblick auf die Frauengeschichte wie auch im allgemeineren Sinne. Dabei müsste freilich auch theoretisch reflektierter, als es bei Beasley geschieht, mit Begriffen wie "Nation" oder "Nationalcharakter" umgegangen werden. Die Begriffsbildungen sind hier doch sehr losgelöst von der umfangreichen historischen, soziologischen und philosophischen Forschung (2ff., 314ff.). Gleiches gilt für den weitgehend an der so genannten "Elitenkultur" orientierten Kulturbegriff Beasleys.
So bleibt nach der Lektüre doch ein leicht unbefriedigender Eindruck zurück. "Mastering Memory" ist bei Beasley als gezielte Geschichtsverfälschung gemeint, im Zuge derer die kulturelle Bedeutung der Salons im Frankreich des 17. Jahrhunderts aus der kollektiven Erinnerung gelöscht worden sei. Eine differenzierte Analyse gesellschaftlicher Transformationsprozesse und ihrer Auswirkungen im Bereich des Kulturschaffens wie auch des historischen Umgangs mit dem "patrimoine" bleibt leider weitgehend aus.
Ulrich Niggemann