Matthias Manke / Ernst Münch (Hgg.): Verfassung und Lebenswirklichkeit. Der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich von 1755 in seiner Zeit (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg. Reihe B: Schriften zur Mecklenburgischen Geschichte, Kultur und Landeskunde; Bd. 1), Rostock: Schmidt-Römhild 2007, 541 S., ISBN 978-3-7950-3742-0, EUR 35,00
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Am 18. April 2005 jährte sich zum 250. Mal ein grundlegendes Ereignis der mecklenburgischen Verfassungsgeschichte, der Abschluss des Landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs von 1755. Kaum jemand außerhalb Mecklenburgs würde mit diesem Vertragswerk zwischen Landständen und Landesherren etwas anfangen können, wenn es nicht als einziges landständisches Verfassungsdokument der Vormoderne in Deutschland bis zur Aufhebung der Monarchie 1918 in Kraft geblieben wäre und damit die sprichwörtliche Rückständigkeit des Landes wesentlich mitbegründet hätte. Daher reicht seine Bedeutung weit in die Moderne hinein. Und der Gang der mecklenburgischen Landesgeschichte von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ist ohne ihn kaum verständlich.
Dies nahm die Historische Kommission für Mecklenburg zum Anlass, ihre Jahrestagung von 2005 zu dem Thema zu veranstalten. Der vorliegende Sammelband als erster einer neuen Reihe der Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg präsentiert die Tagungsbeiträge im Druck. Er gliedert sich in drei Themenblöcke, von denen der erste unter dem Titel "Der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich von 1755 - Entstehung und Rezeption" neben einer allgemein gehaltenen Einführung in das Thema durch Kersten Krüger fünf weitere Detailstudien enthält. Gabriele Baumgartner zeichnet die Verhandlungen der herzoglichen Räte im Vorfeld des Vergleichs nach. Ernst Münch charakterisiert die ritterschaftlichen Unterzeichner des Vertragswerkes. Michael Busch präsentiert an einem Fallbeispiel die altadlige Opposition gegen den Vergleich. Matthias Manke geht der Frage nach der Revision desselben zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach und Anke John untersucht das Mecklenburgbild in Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg.
Der zweite Themenblock hat den Titel "Mecklenburg um 1750". Sechs Beiträge untersuchen verschiedene Aspekte der "Lebenswirklichkeit" in Mecklenburg in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Andreas Pečar skizziert Mecklenburgs Stellung im Alten Reich, während sich Matthias Asche in einer biographischen Studie dem Schweriner Herzog Friedrich dem Frommen (reg. 1756-1785) nähert. René Wiese analysiert Leistungen und Grenzen der Büdneransiedlung als Versuch zur Peuplierung des Landes im 18. Jahrhundert und Sabine Bock stellt anhand ausgewählter Beispiele das herrschaftliche Bauen in Mecklenburg zu dieser Zeit vor. Dabei dürfen natürlich die "Flaggschiffe" des Barocks in Mecklenburg wie Schloss Ludwigslust und Schloss Bothmer nicht fehlen. Gerhard Graulich weist in seinem Beitrag über die mecklenburgische - gemeint ist wohl die herzoglich-schweriner - Sammelpolitik im 18. Jahrhundert auf eine Umorientierung des Interesses von der niederländischen zur französischen Kunst hin, was sich an den heutigen Beständen des Staatlichen Museums in Schwerin ablesen lässt. Irmtraud Rösler untersucht die sprachliche Situation Mecklenburgs im Jahre 1755.
Der abschließende dritte Themenblock unter dem Titel "Die Nachbarn Mecklenburgs 1750" versammelt vier Beiträge zu unterschiedlichen Themen aus den Nachbarterritorien. Kerstin Rahn behandelt das Verhältnis zwischen Kurhannover und Mecklenburg in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Nachbar im Südwesten hatte in dieser Zeit neben Preußen zweifellos den größten Einfluss auf die Politik Mecklenburgs. Dagegen war Sachsen-Lauenburg, dessen Ritter- und Landschaft Eckardt Opitz in seiner Bedeutung vorstellt, zu dieser Zeit als eigenständiges Territorium nicht mehr existent. In Wismar, der nach Rostock bis ins 19. Jahrhundert zweitgrößten mecklenburgischen Stadt, die aber im Westfälischen Frieden an Schweden abgetreten wurde, hatte sich 1653 das Wismarer Tribunal als höchster Gerichtshof der schwedischen Territorien im Reich konstituiert. Dessen Rolle in den Auseinandersetzungen der schwedisch-pommerschen Landstände mit der schwedischen Krone in den ersten einhundert Jahren seines Bestehens beleuchtet Nils Jörn. Lieselott Enders vergleicht die gesellschaftliche Situation in den brandenburgischen Regionen um 1750 und in der Folgezeit.
Den Abschluss des Bandes bildet ein Abdruck des Landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs vom 18. April 1755, der mit den darin inserierten älteren Verfassungsdokumenten und Zusätzen immerhin 123 Druckseiten des Buches ausmacht. Allerdings fehlt beim Abdruck ein Hinweis auf die benutzten Vorlagen. Erst aus dem Vorwort erfährt man, dass hierfür die beiden im Landeshauptarchiv Schwerin befindlichen Originalausfertigungen herangezogen wurden. Den genauen archivalischen Nachweis bleibt man aber auch hier schuldig. Dieser ergibt sich zumindest für eine Quelle aus der Bildunterschrift für das Titelband. Das mag kleinlich klingen, aber für Quelleneditionen hat sich es sich schon seit langem als Standard herausgebildet, die Vorlagen zu benennen. Bei dem sicher erheblichen Aufwand, den die Transkription des Textes erfordert hat, wäre der genaue Quellennachweis nur eine Kleinigkeit gewesen.
Der Band ergibt insgesamt ein rundes Bild. Die Mehrzahl der Beiträger hat sich mit ihrer Thematik bereits früher befasst. Einziges Manko, das der Rezensent anmerken möchte, ist eine fehlende Einbettung in das verfassungsrechtliche Umfeld des 18. Jahrhunderts. Lediglich der als Einführung in die Thematik gedachte und deshalb recht allgemein gehaltene Beitrag von Kersten Krüger geht darauf ein. Für eine Einordnung des Vergleichs als Verfassungsdokument seiner Zeit hätte man sich aber weitere Beiträge zur verfassungsrechtlichen Situation in den Nachbarterritorien und Europa wünschen können. So bleibt es weiterhin offen, was das Besondere des Vergleichs zu seiner Zeit war und inwieweit er sich von den Verfassungsdokumenten im Allgemeinen und den landständischen im Besonderen unterscheidet. In dieser Hinsicht erfüllt der Band seinen im Titel erhobenen Anspruch leider nicht. Das ist natürlich schade, denn erst im Vergleich kann Landesgeschichte ein über die jeweilige Region hinaus gehendes Interesse schaffen.
So bleibt als Resümee, dass hier ein wichtiger Aspekt der mecklenburgischen Landesgeschichte auf hohem wissenschaftlichem Niveau abgehandelt worden ist, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Bemerkenswert ist auch die relativ kurze Zeitspanne zwischen Tagung (22./23. April 2005) und Drucklegung im Herbst 2006.
Dirk Schleinert