Andreas Rutz: Bildung - Konfession - Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.-18. Jahrhundert) (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte; Bd. 210), Mainz: Philipp von Zabern 2006, XI + 505 S., ISBN 978-3-8053-3589-8, EUR 51,00
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Einleitend geht es Andreas Rutz in seiner Bonner Dissertation (2004) um "Annäherungen" an den Erfolg (Alphabetisierung) und den Nutzen (Partizipation an Wissen) von Bildung. Seine konkrete Fragestellung zielt auf den Zusammenhang von Bildung, Konfession und Geschlecht. Den Untersuchungsraum bildet das Rheinland, genauer das Kurfürstentum Köln, das Stift Essen, die Herzogtümer Jülich und Berg sowie Kleve und die Reichsstädte Köln und Aachen. Die meisten dieser Territorien standen unter geistlicher bzw. weltlich-katholischer Herrschaft, die Ausnahme bildete das seit 1614 zu Brandenburg-Preußen gehörende protestantische Herzogtum Kleve.
Als serielle Ausgangsquelle dienen Visitationsprotokolle aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Die quantitative Analyse ergab, dass es seit Beginn des 17. Jahrhunderts in zunehmendem Maße Schulunterricht auch in den ländlichen Regionen des Rheinlands gab, so dass um 1750 der Nachweis von Schulen in fast allen katholischen Pfarreien gelang. In Hinblick auf Mädchenschulbildung, mithin auf Lehrerinnen, auf den Nachweis von Mädchen, die an einem koedukativen Unterricht teilnahmen, oder gar auf reine Mädchenschulen war das Ergebnis jedoch eher ernüchternd: Am Regelfall des koedukativen Unterrichts lässt sich der im zeitgenössischen Diskurs durchaus "relevante geschlechtsspezifische Charakter von Bildung" nicht herausarbeiten (68). Ein Stadt-Land-Gegensatz spielt hierbei keine Rolle. Die wenigen in den Visitationsprotokollen belegten Lehrerinnen (93 in rund 200 Jahren) aber boten den entscheidenden Ansatzpunkt für die intendierte Fragestellung: Die meisten Mädchenschullehrerinnen (fast 80 %) gehörten nämlich religiösen Frauengemeinschaften an.
Die spezielle Quellenlage zur katholischen Mädchenbildung erwies sich als äußerst heterogen. Hinzugezogen wurden Schul- und Kirchenakten, vor allem aber die Überlieferung der religiösen Frauengemeinschaften selbst. Pädagogische und philosophische Druckschriften, Schulbücher, aber auch die im Umfeld der weiblichen Lehrorden entstandenen (historiographischen und erbaulichen) Schriften komplettierten die Quellenbasis.
Bereits 1545 waren im Rheinland - gleichsam vorausschauend - neben den kontemplativen Orden auch die erst im Entstehen begriffenen religiösen Frauengemeinschaften in einer programmatischen Schrift zur Kirchenreform ("Articuli aliquot") aufgefordert worden, sich in der Mädchenerziehung zu engagieren. Anders als die kontemplativen Orden strebten die 'neuen' Orden und die Frauengemeinschaften (Tertiarinnen, Devotessen) nicht mehr eine Erziehung weniger Mädchen aus gehobenen Kreisen im Kloster an, sondern sie gründeten vielmehr klösterliche Elementarschulen, an denen möglichst viele Mädchen aus allen Schichten eine (kostenlose) Erziehung erhalten sollten. Eine starke katalysatorische Wirkung für die Entstehung weiblicher Lehrorden hatten die Jesuiten. Als Folge entwickelte sich in den katholischen Territorien - gestützt auf diese religiösen Frauengemeinschaften - ein separates Mädchenschulwesen, das von kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten unterstützt und gefördert wurde. Dabei wirkte der neue konfessionelle Impetus durchaus motivationsfördernd. Ob es bei der Unterstützung und Förderung von obrigkeitlicher Seite neben konfessionspolitischen Überlegungen auch speziell um einen geschlechtsspezifischen Unterricht ging, erscheint fraglich, da nur wenige obrigkeitliche Forderungen einer Geschlechtertrennung im Unterricht überliefert sind. Rutz stellt die These auf, dass beide Aspekte "ursächlich miteinander verknüpft" gewesen seien (295).
Auch wenn die von religiösen Frauengemeinschaften geführten Mädchenschulen nur einen kleinen Teil des Elementarschulwesens ausmachten, erfüllten sie, dies kann Andreas Rutz in seinem Kapitel zur schulischen Praxis belegen, eine wichtige Aufgabe. Er begründet diese Auffassung damit, dass die Frauengemeinschaften als Bildungsträger sowohl über ein qualifiziertes Lehrpersonal verfügten, als auch als geistliche Institutionen eine hohe Attraktivität besaßen. Innerhalb der religiösen Frauengemeinschaften lässt sich dabei folgende Differenzierung beobachten: die weiblichen Lehrorden waren vor allem in den größeren Städten anzutreffen, ihr Schulgründungsprozess war im 17. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen. Der Wirkungsbereich der Tertiarinnen und ganz besonders der Devotessen reichte bis aufs Land, sie expandierten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und bauten somit ihr Schulwesen weiter aus. Zunehmender Konkurrenz weltlicher Mädchenschulen im Zeitalter der Aufklärung konnten sie gelassen entgegensehen, waren sie doch aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung zumeist in der Lage, einen kostenlosen Unterricht anbieten zu können. Die Lehrpläne variierten je nach Schultyp ziemlich stark, im Zentrum stand jedoch an allen Schulen die religiöse Unterweisung. Dies ist jedoch, wie auch der Unterricht im Lesen und Schreiben (und teilweise im Rechnen), kein Spezifikum der Mädchenschulbildung. Ein geschlechtsspezifisches Moment zeigt sich dagegen beim Handarbeitsunterricht, der an allen Mädchenschulen auf dem Lehrplan stand. Abgesehen vom Unterricht in den musischen Fächern und in Französisch, der vor allem Töchtern des Adels und des höheren Bürgertums in Spezialschulen bzw. in den Pensionatsschulen der Lehrorden erteilt wurde, hatten die an den Elementarschulen vermittelten Kenntnisse einen unmittelbar lebenspraktischen Bezug. Und hierzu gehörte nicht nur das Unterrichtsprogramm, sondern auch das katholische Rollenmodell, das die geistlichen Lehrerinnen ihren Schülerinnen vorlebten. Obgleich die Schülerinnen diesen Lebensentwurf nicht direkt umsetzten, so konnten sie doch das entsprechende Leitbild verinnerlichen: katholische Frömmigkeit zu pflegen sowie weibliche Tugend und Sittlichkeit zu wahren, galt auch als erstrebenswertes Ziel für künftige Hausfrauen, Ehefrauen und Mütter.
Abschließend kann festgehalten werden: Der im Schnittpunkt von Geschlechter-, Bildungs- und Frömmigkeitsgeschichte angesiedelten Studie gelang der Nachweis, dass neben den vor allem auf die größeren Städte konzentrierten weiblichen Lehrorden den Tertiarinnen und Devotessen ein maßgeblicher Anteil an der Entstehung und Ausbildung eines katholischen Mädchenschulwesens zukam. Vor allem Devotessen, die aufgrund ihrer nichtklösterlichen Lebensweise sehr flexibel waren, aber auch Tertiarinnen, konnten nicht nur eigene Schulen führen, sondern auch in Schulen mit kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft tätig werden und das auch auf dem Land. Diese am rheinischen Untersuchungsgebiet gewonnenen Erkenntnisse lassen sich in Hinblick auf die Tertiarinnen wohl auf andere Regionen des Reiches übertragen. Die Bildungstätigkeit der Devotessen hingegen scheint eine rheinische Besonderheit zu sein - sie findet in den südlichen und nördlichen Niederlanden eine Entsprechung. Alle religiösen Frauengemeinschaften lösten damit, so die abschließende These der Studie, die seit der Reformationszeit von geistlichen und weltlichen Obrigkeiten erhobene Forderung einer schulischen Geschlechtertrennung je länger, je intensiver ein. Auf protestantischer Seite wird hingegen ein "deutliches Auseinanderklaffen von Wunsch und Wirklichkeit", diese Forderung auch umzusetzen, konstatiert (423). Ob diese Forderung in der Tat für alle protestantischen Territorien aufrechterhalten wurde, wäre zu untersuchen. Nach augenblicklichem Forschungsstand jedenfalls ist im Bereich des protestantischen frühneuzeitlichen Elementarschulwesens die Koedukation dominant - und das gilt wohl auch schon deshalb, weil es ein Pendant zu den religiösen Frauengemeinschaften nicht gab.
Sabine Holtz