Sergej G. Fedorov: Carl Friedrich von Wiebeking und das Bauwesen in Russland. Zur Geschichte deutsch-russischer Architekturbeziehungen 1800-1840, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005, 224 S., 4 Farb-, 80 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06506-2, EUR 34,90
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Der Architekt, Ingenieur und Landvermesser Carl Friedrich von Wiebeking (1762-1842) gehört zu den produktivsten Publizisten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts im Bereich des Bauwesens. Seit 1792 veröffentlichte er fortlaufend bis an sein Lebensende Schriften zum Wasser-, Straßen- und Brückenbau. Seine fünfbändige "Theoretisch-practische Wasserbaukunde" (1798-1805) erschien wie die "Theoretisch-practische Bürgerliche Baukunde" (1821-1826) in mehreren Auflagen und in französischer Übersetzung. Er hatte Deutschland, Frankreich, England, Italien, Schweiz und die Niederlande bereist, um sich mit den neuesten Entwicklungen zu beschäftigen und um auf der Höhe seiner Zeit zu bleiben. Unter den Ingenieuren des frühen 19. Jahrhunderts zählt er zu den kreativsten Köpfen, vor allem in Bezug auf Flussregulierungen, Straßenbau, den Bau von Holz- und Eisen- sowie von Hängebrücken. Auch als Architekturhistoriker und als Beförderer der neugotischen Baukunst ist er hervorgetreten. Bedeutend sind ebenfalls seine Arbeiten in der Landesvermessung und Kartografie. Nach verschiedenen Anstellungen in der bayerischen Kurpfalz, in Hessen-Darmstadt und Wien wechselte er 1805 nach München, wo er ab 1806 bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden 1817 "Königlicher Generaldirektor des gesamten bayerischen Wasser-, Brücken- und Straßenbauwesens" war. Die letzten 25 Jahre seines Lebens verbrachte Wiebeking als Privatmann (bei vollen Bezügen) in München und konnte sich hier auf seine Publikations- und Beratertätigkeit konzentrieren.
Dieser Tätigkeit ist das zweisprachig, deutsch-russisch, publizierte Buch Sergej Fedorovs gewidmet. Nach einer einführenden Bestimmung von Ingenieuren als Gestaltern zu Beginn des 19. Jahrhunderts, widmet sich Fedorov zunächst der Person, Ausbildung und dem Werdegang Wiebekings, der ungeachtet seiner Bedeutung bislang nur sehr sporadisch monografisch behandelt wurde. Das eigentliche Thema des Buches beginnt mit dem dritten Kapitel über St. Petersburg und den dortigen Bestrebungen, eine Schule für Wasser- und Straßenbau einzurichten. In Russland, das schon immer Kontakte zu Ingenieuren und Architekten aus dem westlichen Europa pflegte, sah Wiebeking die Chance zu einer weiten Verbreitung seiner Schriften und Ideen, die er mit Nachdruck zu vermarkten versuchte. Anhand minuziöser Archivstudien kann Fedorov nachweisen, wie der bayrische Ingenieur dank vieler Kontakte mit hoch gestellten Persönlichkeiten und Akademiemitgliedern in der russischen Hauptstadt zahlreiche Exemplare seiner "Wasserbaukunst" und andere Schriften, die er alle auf eigene Kosten drucken ließ, nach Russland exportierte.
Einen unmittelbaren Einfluss auf das russische Bauwesen hatte Wiebekings Schaffen nur in Bezug auf die Bauarbeiten zur Modernisierung der Chaussee St. Petersburg-Moskau 1821 bis 1823. Hier waren zahlreiche Holz- und Steinbrücken notwendig, für die man auf Wiebekings ausgeführte Brückenbauten in Bayern zurückgreifen konnte. Wiebeking selbst allerdings konnte in Russland nichts bauen, die ausgeführten Brücken stammen von Wilhelm von Traitteur und Augustín de Betancourt und Kasimir Reichel. Wiebekings Planungen zum Hochwasserschutz von St. Peterburg, das 1824 eine katastrophale Überschwemmung erlebte, wurden ebenso wenig ausgeführt wie seine Vorschläge für den Bau einer Eisenbahnlinie von Moskau nach St. Petersburg. So zeigt Fedorovs Buch, dass es intensive Kontakte zwischen bayrischen und russischen Ingenieuren gab, die faktischen Auswirkungen jedoch eher marginal waren.
Eine Monografie über Wiebeking ist noch immer ein Desiderat der architekturgeschichtlichen Forschung zum frühen 19. Jahrhundert. Fedorov wollte und konnte diese Arbeit in seiner Studie nicht leisten, da er nur einen Ausschnitt aus dem unermüdlichen Schaffen des Ingenieurs darstellt. So changiert das Buch zwischen dem allgemeinem Anspruch, die Ingenieursbaukunst des frühen 19. Jahrhunderts aufzuhellen, und dem einer Detailstudie, die zuweilen zu tief in die Details der Übermittlungswege von Wiebekings Publikationen nach Russland eingeht und der Leser dabei den roten Faden verliert. Durch Fedorovs Buch wird zwar die Kenntnis Wiebekings stark erweitert, aber wegen des Scheiterns des Bayern in Russland, bleibt seine Russlanderfahrung letztlich nur eine Episode im Wirken eines der "ersten großen Ingenieure Deutschlands" (17).
Das Buch ist reich und in guter Qualität mit meist bislang unpublizierten Abbildungen ausgestattet. Etwas übertrieben erscheint, dass alle Titelseiten, teilweise auch Widmungsseiten und manchmal sogar einzelne - in der Verkleinerung kaum lesbare - Textseiten (z.B. Abb. 51a-d, 99 a-d) fast aller Publikationen Wiebekings abgebildet werden. Ein Anhang mit Briefen und Dokumenten, die den kulturell-wissenschaftlichen Austausch zwischen Wiebeking und seinen russischen Kontaktpersonen belegen und anschaulich werden lassen, und eine Bibliografie der Druckwerke Wiebekings beschließen den in der Summe ansprechenden und für die weitere Forschung ertragreichen Band.
Klaus Jan Philipp