Eva Ströber: Ostasiatika im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Braunschweig: Herzog Anton Ulrich-Museum 2002, 388 S., 75 Farb-, 809 s/w-Abb., ISBN 978-3-922279-54-9, EUR 97,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Das Herzog Anton Ulrich-Museum besitzt eine umfangreiche und erlesene Sammlung an Ostasiatika, die größtenteils auf seinen Namenspatron, Herzog Anton Ulrich (1633-1714), zurückgeht und ungefähr 1100 Objekte umfasst. Der Herzog hatte um 1700 das Lustschloss in Salzdahlum errichten lassen und legte dort eine Kunstkammer an. Aus dieser Sammlung stammen die meisten der Ostasiatika, die sich heute im Herzog Anton Ulrich-Museum befinden. Viele Objekte kamen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Europa, als der Handel mit Asien blühte. Die Sammlung im Herzog Anton Ulrich-Museum setzt sich sowohl aus Objekten, die für den innerasiatischen Handel produziert worden waren, als auch aus Exportware zusammen.
Herzog Anton Ulrich hatte ein außerordentlich großes Interesse für Ostasiatika und beschäftigte sich mit chinesischer Philosophie und Religion. Dazu trug auch seine Freundschaft mit dem in der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel tätigen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) bei. Leibniz stand in engem Austausch mit jesuitischen Missionaren am chinesischen Hof und prägte mit seinem Werk "Novissima Sinica" entscheidend das idealisierte Chinabild in Europa (19-21). Entsprechend groß war die ostasiatische Sammlung Herzog Anton Ulrichs. So waren am Ende des 18. Jahrhunderts allein 666 Specksteinfiguren verzeichnet. Dass dies eine außerordentlich hohe Anzahl ist zeigt sich darin, dass dieser Bestand den immerhin 500 Stücke umfassenden ehemaligen Dresdener Bestand übertrifft (183, 185). Erweitert wurde die Braunschweiger Sammlung durch spätere Schenkungen und Ankäufe, die bis ins 20. Jahrhundert reichten. Die Porzellane wurden dagegen 1811 verkauft (7, 23).
Eva Ströber stellt über 800 Objekte des umfangreichen ostasiatischen Bestandes vor. Sie schließt damit die Aufarbeitung der Ostasiatika des Museums ab, die mit dem 1990 erschienenen Katalog der mehr als 250 ostasiatischen Lackarbeiten von Gunter Rudolf Diesinger begann. [1] Der Katalog ist nach Material- und Gattungsgruppen übersichtlich strukturiert. Er umfasst Einzelstücke (Kat.Nr. 1-21), rotes Steinzeug aus Yixing (Kat.Nr. 22-79), Porzellan (Kat.Nr. 80-129), chinesische Exportkeramik für Thailand (Kat.Nr. 130-187) und Keramik aus Thailand (Kat.Nr. 188-204), chinesische Malereien und Holzschnitte (Kat.Nr. 205-266), Grafik (Kat.Nr. 267-303), Specksteinschnitzereien und Marmorarbeiten (Kat.Nr. 304-692) sowie Arbeiten aus Elfenbein (Kat.Nr. 693-704), Holz (Kat.Nr. 705-747), Metall (Kat.Nr. 748-787) und Textilien (Kat.Nr. 788-793). Ströber leitet jede dieser Gruppen mit einem Kapitel ein, in dem sie das jeweilige Material, die Techniken, die Bedeutung der Objekte in ihrem Herkunftsland sowie ihre Rezeption in Europa vorstellt. Die Objekte selbst beschreibt Ströber ausführlich nach Material, Technik, Form, Dekor, Ikonographie und Entstehungszusammenhang, untersucht sie in ihrem kunsthistorischen Kontext, präsentiert Vergleichsobjekte und verfolgt in einigen Fällen ihre Provenienz (z.B. Kat.Nr. 73).
Besondere Beachtung verdienen die Kapitel über das Steinzeug, das Porzellan und die Specksteinfiguren, die Ströber umfassend bearbeitet. Diese Objektgruppen zählen zum größten Teil des ostasiatischen Bestandes im Herzog Anton Ulrich-Museum und gehörten im 17. Jahrhundert zu den begehrtesten Sammlungsstücken. Der Export von Yixing-Steinzeug nach Europa begann erst ab 1670 zu florieren und ging bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts zurück (43-44). Porzellan wurde in eigens dafür eingerichteten Porzellankabinetten präsentiert, deren Geschichte Ströber verfolgt. Die meisten der heute im Herzog Anton Ulrich-Museum erhaltenen Porzellane kamen jedoch erst im 19. Jahrhundert hinzu, nachdem die herzogliche Sammlung verkauft worden war. Ströber rekonstruiert aber die alte Sammlung anhand der guten Quellenlage (73-76). Specksteinfiguren produzierten die südchinesischen Werkstätten ab 1650 in großer Zahl für den Export nach Europa, wo sie in Kunstkammern und in der höfischen Raumausstattung Verwendung fanden (184-185). Chinesische Malereien, Holzschnitte und Tapetenbilder (123-166) sowie Grafik (167-182) machen ebenfalls einen großen Teil des Bestandes aus. Die Autorin verfolgt ihre Sammlungs- und Rezeptionsgeschichte in Kunstkammern, den Chinakabinetten des 18. Jahrhunderts und der Exportmalerei um 1800.
Ströber stellt der Erfassung und kulturgeschichtlichen Einordnung der Objekte eine Zusammenfassung der Braunschweiger Sammlungsgeschichte sowie der Hintergründe für das Sammeln von Ostasiatika voran (9-24). Dabei stellt sie ein nachlassendes Interesse für die Ostasiatika ab der Mitte des 18. Jahrhunderts fest. Dieses Schicksal teilten spätestens zu diesem Zeitpunkt die meisten Ethnografica aus Kunstkammern. Das mangelnde Interesse hielt in Braunschweig während des 19. und 20. Jahrhunderts an. Erst seit etwa 1980 werden Teile der Ostasiatika dauerhaft im Herzog Anton Ulrich-Museum gezeigt (23-24). Für die Sammlungsgeschichte stützt sich Ströber auf Archivalien und zahlreiche Inventare, die für die Braunschweiger Sammlungen erhalten sind. Besonders für die Kunstkammerforschung ist dies eine nicht hoch genug zu schätzende und allzu selten anzutreffende Quellenlage, die bereits den Arbeiten von Alfred Walz und Rudolf-Alexander Schütte über die Kunstkammern und die Sammlungsgeschichte der Braunschweiger Herzöge zu Grunde lag. [2] Ströber ergänzt ihren Katalog durch eine ausführliche Bibliografie, ein von Friederike Ulrichs bearbeitetes Glossar, nützliche Konkordanzen zwischen Katalog- und Inventarnummern sowie durch ein Personen-, Sach und Ikonographisches Register. Die Objekte sind in schwarz-weiß, einige in Farbe abgebildet.
Die gründliche Bearbeitung der Braunschweiger Ostasiatika ist für die Wissenschaft und für Museen nicht hoch genug zu schätzen, zumal es sich um einen sehr umfassenden und heterogenen Bestand handelt. Ströber erschließt damit bislang kaum bekannte Objekte einer interessierten Öffentlichkeit. Das Material und das Ergebnis der Arbeit vermitteln eine gute Einsicht in die chinesische Kultur vor allem des 17. Jahrhunderts und darüber, welche Aspekte dabei in Europa das Interesse weckten. Zudem dokumentiert sie die Sammlungsgeschichte der Ostasiatika und die Chinamode des 17. und 18. Jahrhunderts, mit der sich die europäischen Fürstenhöfe schmückten.
Das Herzog Anton Ulrich-Museum führt mit diesem Band seine Reihe an Sammlungskatalogen fort, mit denen es seine Bestände in verdienstvoller Weise der Öffentlichkeit zugänglich macht. Zusammen mit Gunter Rudolf Diesingers Katalog über die Lackarbeiten schließt Ströbers Band die bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein vernachlässigte Bearbeitung der bedeutenden Sammlung von Ostasiatika ab. Diese stellen wiederum nur einen Teil der außereuropäischen Bestände des Herzog Anton Ulrich-Museums dar, deren Publikation in Bälde erwartet werden darf.
Anmerkungen:
[1] Gunter Rudolf Diesinger: Ostasiatische Lackarbeiten sowie Arbeiten aus Europa, Thailand und Indien. Katalog der Sammlung. Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Braunschweig 1990.
[2] Alfred Walz: "Seltenheiten der Natur als auch der Kunst". Die Kunst- und Naturalienkammer auf Schloß Salzdahlum. Ausstellungskatalog, Braunschweig 1994. - Rudolf-Alexander Schütte: Die Kostbarkeiten der Renaissance und des Barock. "Pretiosa und allerley Kunstsachen" aus den Kunst- und Raritätenkammern der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg aus dem Hause Wolfenbüttel. Sammlungskataloge Bd. 6, Braunschweig 1997. - Weltenharmonie. Die Kunstkammer und die Ordnung des Wissens. Ausstellungskatalog, Braunschweig 2000.
Elke Bujok