Heinz Duchhardt / István Németh (Hgg.): Der Europa-Gedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Beiheft 66), Mainz: Philipp von Zabern 2005, X + 172 S., ISBN 978-3-8053-3591-1, EUR 29,90
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Der schmale, um zusätzliche Beiträge erweiterte Tagungsband umfasst acht Aufsätze, die sich dem "Europa-Gedanken" hauptsächlich in den Verliererstaaten des Ersten Weltkriegs zwischen 1918 und 1938 widmen. Dabei zeigen sich in den Untersuchungen zu Deutschland, Ungarn, Österreich und Polen interessante Parallelen und Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und den Trägern dieser Ideen.
Besonders auffallend ist die Beobachtung, dass Anhänger von Europa- bzw. Mitteleuropa- bzw. Donaukonföderationsplänen besonders unter den Eliten zu finden waren, die 1918 zu den Verlierern zählten. So vertraten besonders hochadlige, konservative, katholische oder legitimistische Kreise teilweise sehr populäre Europa-Gedanken, was nicht auf simple Restaurationsideen hinauslief. Das Habsburgerreich etwa sollte in einer gewandelten, eher konföderativen Form wiedererstehen. Dennoch waren die teilweise sehr elitären Eigeninteressen nicht immer leicht zu verbergen. Ohnehin erwies sich ein engstirniger Nationalismus als zu stark, so dass fast alle auf Verständigung und Kooperation beruhenden übernationalen Pläne kaum Realisierungschancen hatten. Daher hatten die von sozialdemokratischen oder liberalen Gruppen formulierten europapolitischen Ideen, so etwa das Heidelberger Programm der SPD von 1925 (150), noch weniger Chancen auf Verwirklichung, da diese spätestens seit 1933, in Ungarn schon seit 1919, zunehmend in die Defensive bzw. den Untergrund gedrängt worden waren.
Ob die Diskussionen und Planungen in Exilkreisen als "Widerstand" zu werten ist, wie dies Boris Schilmar tut, bleibt eine akademische Debatte, da ihr tatsächlicher Einfluss während des Krieges auf Deutschland sehr gering war und ihre schiere Existenz erst nach 1945 für den Mythos des "besseren Deutschland" erinnerungspolitisch gebraucht werden konnte. Anregend sind die Beiträge des Bandes, die aufzeigen, welche Ideen und Gedanken in welchen politischen Kontexten diskutiert wurden. So etwa in den Beiträgen zu Österreich und Ungarn, wo die Wandelbarkeit der Europagedanken von Europa über Mitteleuropa bis zum "Donauraum" diese nicht unbedingt überzeugender machte (Beiträge von Ina Ulrike Paul und Róbert Fiziker).
In Ungarn erwies sich der regierungsnahe Revisionismus als so engstirnig, dass selbst Überlegungen zu einem Zusammengehen mit Österreich zurückgewiesen wurden. In seinem Beitrag zur nationalkonservativen Publizistik in der Weimarer Republik betont Jürgen Elvert allerdings, dass "Mitteleuropa"-Vorstellungen, in denen Deutschland eine "natürliche" Führungsrolle zugesprochen wurde, weit verbreitet und in fast allen politischen Lagern zu finden waren (129f., 136ff.), bis hin zur NS-Kriegspropaganda und ihre Behauptung, Europa neu "geordnet" zu haben. In allen Verliererstaaten verdrängten nationalistisch-machtpolitische, durch die aufgeheizte revisionistische Stimmung verstärkte Strömungen alle Überlegungen transnationalen Ausgleichs.
Die in den verschiedenen Untersuchungen des Bandes zu findende häufige Vermischung von "europäischen" mit legitimistischen, ständischen, anti-individualistischen oder anti-liberalen Ideen verstärkt einerseits den Eindruck einer Diskontinuität zu den Europaideen der Zeit nach 1945. Andererseits laden die im Band zu findenden Analysen über die Schwäche eines auf Versöhnung und Kooperation beruhenden Europagedankens in der Zwischenkriegszeit dazu ein, weiter über dessen Stärke nach 1945 nachzudenken. Die damals weit verbreitete Arroganz der ehemaligen mitteleuropäischen Großreiche gegenüber "Pseudo-Nationalstaaten" erinnert schließlich entfernt auch an manche Tendenz in den heutigen Diskussionen über die EU-Neumitglieder Polen, die Slowakei oder Tschechien.
Árpád von Klimó