Jeremy Aynsley / Charlotte Grant (eds.): Imagined Interiors. Representing the Domestic Interior since the Renaissance, London: Victoria & Albert publications 2006, 304 S., 200 colour, 55 b&w illus., ISBN 978-1-85177-492-0, GBP 45,00
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Marta Ajmar-Wollheim / Flora Dennis (eds.): At Home in Renaissance Italy, London: Victoria & Albert publications 2006, 420 S., 360 colour plates, ISBN 978-1-85177-488-3, GBP 45,00
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
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Die beiden Publikationen präsentieren Ergebnisse des Center for the Study of the Domestic Interior, einer auf fünf Jahre (2001-2006) angelegten britischen Forschungskooperation. Während der Sammelband "Imagined Interiors" die bildliche, literarische und performative Darstellung häuslicher Innenräume in Europa und Nordamerika von der Renaissance bis zur Gegenwart untersucht, konzentriert sich der Ausstellungskatalog "At home in Renaissance Italy" auf den Zusammenhang von Objekten, Bräuchen und Wohnkultur in Toskana und Veneto zwischen 1500 und 1650.
Zunächst zu Letzterem: Schon der Titel verdeutlicht den Anspruch, nicht die Ausstattung selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sondern ihre vielfältigen Funktionen: Es werden nicht mehr (wie z.B. noch in Peter Thorntons "The Italian Renaissance Interior" von 1993) bildliche Darstellungen kritiklos als Quelle verwendet, sondern die verschiedenen Quellengattungen untereinander abgeglichen und die erhaltenen Objekte im Rahmen einer größer angelegten interdisziplinären und kulturgeschichtlichen Analyse als funktionale Scharniere im Alltagsleben interpretiert.
Die Untergliederung des Bandes in die Teile "Defining the casa", "Living in the casa", "Everyday practices in the casa", "Sociability and entertainment in the casa" und "Art and objects in the Casa", erscheint stellenweise etwas willkürlich, was jedoch den Wert der interessanten Aufsatzsammlung nicht schmälert. Die Themen reichen von Fragen nach Besitzverhältnissen und Raumstrukturen über die Beschäftigung mit einzelnen Möbel- und Objektgattungen sowie alltäglichen Aktivitäten bis hin zur Beschreibung verschiedener Rituale und Festtraditionen.
Dass der keine zwanzig Seiten umfassende Katalogteil sich auf minimale Angaben zu den Exponaten beschränkt, ist auch in Anbetracht der kulturgeschichtlichen (und nicht primär objektzentrierten) Perspektive nur bedingt verzeihlich: ausführliche Katalogartikel, Zeugnisse einer fundierten Provenienz- und Authentizitätsforschung, hätten den Anspruch der Publikation, eine Neudefinition der Rolle des Objektes für die Kulturgeschichte zu erarbeiten, untermauern können.
Bereits in der Einleitung formulieren die Herausgeberinnen die in diesem Zusammenhang entscheidenden Fragen: Wie steht es mit der Gültigkeit der Periodisierung und des universalen Geltungsanspruchs des Renaissancebegriffs für das alltägliche Leben (10)? Und wie lassen sich Verhältnis und Geltungsanspruch von Kunst versus Kunstgewerbe bestimmen sowie die Wechselwirkungen von häuslicher Sphäre und öffentlichem Leben? Ihre These: "It is through a domestic perspective that we can best illustrate how the wider cultural, artistic, and socio-economic changes we associate with this period actually affected people's everyday lives" (12).
Die Problematik einer zeitlichen Fixierung der Renaissance wird jedoch in der Mehrzahl der Aufsätze kaum reflektiert: Ist die Entscheidung, sich primär mit der Zeit nach 1500 zu beschäftigen, methodisch bedingt? Beginnt erst hier tatsächlich eine Alltagskultur, die den humanistischen Ideen der Renaissance entspricht? Oder liegt doch eine eher pragmatische Beschränkung auf den Zeitraum zu Grunde, aus dem mehr Quellenmaterial überliefert ist? Besonders in den Aufsätzen, die sich mit Alltagstätigkeiten beschäftigen (Teil II und III), wäre es erhellend gewesen, die Neuartigkeit derselben zu hinterfragen. Allzu oft erscheinen einem die beschriebenen Handlungsmuster recht selbstverständlich, und man fragt sich, welche Veränderungen sich gegenüber früheren und späteren Jahrhunderten nun wirklich festmachen lassen.
Auch mit der Frage, inwieweit Einflüsse des Humanismus im Alltagsleben zu beobachten sind, setzen sich nur wenige Autorinnen, wie Patricia Fortini Brown und Marta Ajmar-Wollheim, auseinander. Die in ihren Beiträgen zu findenden Detailstudien zur Vereinbarkeit von Kindererziehungspraktiken und Hausfrauenrollen mit humanistischen Idealen zeigen, dass das von den Herausgeberinnen angestrebte erweiterte kulturgeschichtliche Konzept von Renaissance und Humanismus nur über den Weg der mühsamen Erforschung kleinster Mosaiksteine, verschiedenster Details und Quellen, erreichbar ist. Nichtsdestotrotz verspricht die hier praktizierte Gegenüberstellung von Schrift- und Sachquellen, ein richtiger Weg dorthin zu sein. So findet man in verschiedenen Beiträgen interessante Ansätze zur Kontextualisierung von Interieur, Objekten und Alltagspraxis. Jacqueline Musacchios Beitrag zur Rolle von Geburten zeigt beispielsweise deutlich die Verquickung von Alltagshandlungen und -objekten mit Ritualen und Symbolik. Sie stellt u. a. die These auf, dass die durch die Pest verursachten demographischen Spannungen nach Objekten verlangten, die zwischen realer und idealer Lebenssituation vermitteln (124).
Die Fokussierung auf die Beziehungen von Wohnkultur, Alltagsobjekten und Ritualen führt auch in anderen Beiträgen zu einem besseren Verständnis der Wandelbarkeit und Handlungsorientiertheit des häuslichen Lebensraums, das traditionelle Vorstellungen vom Interieur als Ausstattungskunst ergänzt und korrigiert. So machen die Aufsätze des ersten Teils den stetigen Wandel deutlich, dem die Wohnverhältnisse unterlagen, besonders durch die Fluktuation der Bewohner und die damit einhergehende Teilung oder Zusammenführung bzw. den Anbau von Wohneinheiten. Die veränderliche Wohnsituation findet eine Entsprechung in der variablen Nutzung und Funktionalisierung der Räumlichkeiten sowie in der Überschneidung von privaten und öffentlichen Nutzungen der Räume (Teil IV).
Der fünfte Teil, "Art and Objects in the Casa", kehrt dann zur traditionellen Behandlung des Interieurs aus der Perspektive der Objekte zurück, doch auch dieser kann ein neuer Fokus abgewonnen werden: Behandelt werden Kleinbronzen, Importe aus dem Nahen Osten, Drucke, Alltagsobjekte und Textilien. Der Einführungstext von Peta Motture und Luke Syson stellt die interessante Frage, inwieweit der gemeinhin in der Renaissance verortete Auffassungswandel von der Kunst als handwerklich hergestelltem funktionalem Objekt zur Kunst als Zeugnis intellektueller Tätigkeit mit Eigenwert auch im häuslichen Gebrauch zu bestätigen ist. Er zeichnet eine dreistufige Entwicklung nach, von der vollständigen Integration künstlerischer Erzeugnisse in die Ausstattung über die langsame Ablösung von dieser hin zu den ersten Beispielen von Bildergalerien im 16. Jahrhundert. Die Beispiele sind jedoch meist der kulturellen und politischen Elite entnommen und nur schwerlich auf den allgemeinen Umgang mit weiter verbreiteten künstlerisch gestalteten Ausstattungsstücken übertragbar. Die nach wie vor ebenso grundlegende wie ungelöste Frage der Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen auf niedrigere soziale Schichten wird somit auch in dieser Publikation nicht beantwortet. Viel versprechende Ansätze lassen sich jedoch einigen Beiträgen wie denjenigen von Jeremy Warren, Hugo Blake und Elisabeth Currie entnehmen, die sich u. a. mit dem Kopienwesen, Zweitverwendungen und Imitaten beschäftigen.
Insgesamt trägt der Katalog viele interessante Forschungsergebnisse zusammen, wobei man sich an einigen Stellen weniger aus Skepsis an der wissenschaftlichen Haltbarkeit der Thesen als einfach aus Neugierde auf die zugrunde liegenden Quellen einen genaueren Nachweis derselben wünschen würde. Obwohl als Ausstellungskatalog konzipiert, zielt die durch die Fülle der Aufsätze bedingte Heterogenität, in der sich gewisse Wiederholungen und auch Widersprüche kaum vermeiden lassen, eindeutig eher auf ein Fachpublikum. Dem im Vorwort von Mark Jones, Direktor des V&A, formulierten Anspruch einer "ground-breaking exhibition, exploring for the first time the domestic interior's crucial role in the creation of Renaissance art and culture" (7), wird die Publikation daher in ihrem Ansatz durchaus gerecht, die Ergebnisse zeigen jedoch deutlich, dass der Weg zu diesem Ziel weit und mühsam ist.
Die zweite hier zu besprechende Publikation ist insofern ein methodisches Korrelat der ersten, als sie die dort als kulturgeschichtliche Primärquelle angezweifelte Gattung der Innenraumdarstellung in ihrer spezifischen Funktionsweise als Sekundärquelle thematisiert. Bereits der Titel "imagined interiors" macht den fiktionalen Charakter dieser Quellen deutlich und ermöglicht gleichzeitig die Ausweitung des Quellenmaterials über visuelle Darstellungen hinaus. Die Publikation bezieht nicht nur Grafik und Fotografie, sondern vor allem auch Literatur und Theater ein: "The book seeks to explore the images and texts it discusses [...], not so much for what they tell us about the interior they represent, but for what the representation is designed to convey. The emphasis is on how conventions of representation can tell us about attitudes to the interior at a given moment." (12)
Noch deutlicher als bei der vorab besprochenen Publikation wird in den Beiträgen die Heterogenität der unter dem Dach des Forschungszentrums verfolgten Forschungsprojekte. Zwar wird damit der Vielfalt der möglichen Perspektiven auf die Interieurdarstellung Rechnung getragen, es fällt jedoch schwer, die Aufsatzsammlung als Beitrag zu einem gemeinsamen, auch noch so multidisziplinären und aufgefächerten Forschungsgebiet, zu verstehen. Die Publikation teilt die Aufsätze in drei Teile, deren zweiter noch am ehesten als geschlossene Einheit verstanden werden kann: Unter dem Titel "The interior defined" behandelt er in drei Aufsätzen die Interieurdarstellung zwischen 1650 und 1900 als soziales und individuelles Portrait der Bewohner:
Hannah Greig stellt die britischen Innenraumdarstellungen des 18. Jahrhunderts als Abbilder einer Gesellschaft vor, die die steigende Verfügbarkeit der unterschiedlichsten Ausstattungselemente und -stile zur Gestaltung ihres sozialen Lebens und dessen Repräsentation einzusetzen wusste. Interieurdarstellungen verbildlichen Konzepte wie 'sociability' und 'code of politeness' oder 'display of gentility' entweder affirmativ oder - wie bei Hogarths Grafikserien - kritisch.
Charlotte Grant analysiert am Beispiel englischer Novellen des 18. und 19. Jahrhunderts, wie das Interieur in der Literatur ein mentales Portrait seiner Bewohner nachzeichnet, wie die Beschreibung von Kleidung, Möbeln und Räumen zur Charakterisierung der Protagonisten der Erzählungen und ihres sozialen Umfelds genutzt wurden. Ähnlich beobachtet Francesca Berry in ihrem Beitrag zu bildlichen Interieurdarstellungen im französischen 19. Jahrhundert, wie das zunehmende Interesse an einer Psychologie des Alltagslebens sich in der Grafik und Malerei von Degas bis Vuillard niederschlägt. In Einzelanalysen zeigt sie, wie die Maler durch das Verhältnis von Figuren, dargestelltem Raum und Betrachter in einer Form von "embodied spatial experience" (173) reale wie metaphorische Beziehungen erfahrbar machen.
Die in diesem Teil der Publikation praktizierte Konzentration auf das Interieurbild als Darstellung gesellschaftlicher Konventionen und Rollenzuweisungen sowie als Mittel subjektiver Charakterisierung erscheint schlüssig und steht in inhaltlichem Zusammenhang zu je einem Aufsatz des ersten und dritten Teils, die mit dem frühen englischen Drama (Catherine Richardson) bzw. der Innenrauminszenierung im britischen Film (Rod Mengham) diese Fragen zeitlich nach hinten und vorne weiterverfolgen. Besonders Richardsons Untersuchungen zu Rauminszenierung und Rezeptionsästhetik früher Londoner Theateraufführungen machen die Fruchtbarkeit einer Gegenüberstellung verschiedener Quellengattungen noch einmal besonders deutlich.
Die übrigen Aufsätze des ersten ("Developing a Domestic Culture 1400-1750") und dritten ("Displaying the Modern Home, 1850 to present") Teils der Publikation widmen sich hingegen anderen Fragestellungen: Flora Dennis bietet eine Zusammenstellung der verschiedensten Quellentypen und -funktionen mit Hinweisen auf unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten für die italienische Renaissance, wobei die Vielfalt der vorgestellten Quellen und Interpretationsansätze eine nähere Kontextualisierung der einzelnen Phänomene verhindert.
John Loughman beschreibt verschiedene Traditionen der holländischen Interieurmalerei des 17. Jahrhunderts und setzt diese zu realen Alltagspraktiken in Bezug, verbleibt aber bei einer einführenden, additiven Darstellung des Themas, ohne z. B. Symbolsysteme oder formale Bildregie näher zu analysieren. Bei beiden Beiträgen vermisst man daher eine schlüssige Kontextualisierung hinsichtlich der im zweiten Teil der Publikation fokussierten Frage nach über abbildhafte oder traditionell ikonographisch-religiöse Intentionen hinausgehenden Strategien der Interieurdarstellung.
Der dritte Teil der Publikation konzentriert sich auf das Design von Innenräumen und dessen Vermarktung in der Moderne und lässt sich nur schwerlich zu den vorhergehenden Beiträgen in Bezug setzen. Jeremy Aynsley beschreibt den Wandel in der Konzeption und der Bedeutung der Innenausstattung im 20. Jh., Tim Benton beschäftigt sich mit der Frage des Verhältnisses von moderner Architektur und ihrer Wiedergabe in Fotografien und Viviana Narotzky mit der Vermarktung und Inszenierung von Do it yourself-Aktivitäten im Innenraumdesign durch das zeitgenössische Fernsehen.
Die Publikation zeigt damit deutlich, wie fruchtbar die Arbeit von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen an einem größeren Forschungsgebiet sein kann, sofern dieses nicht zu weit gefasst wird. So wäre es dem Forschungsprojekt sicher dienlicher gewesen, die Aufsätze des dritten Teils in einem eigenen Band zu publizieren. Die praktizierte Zusammenstellung verleitet zu dem Trugschluss, symbolisierende Raumdarstellungen mit metaphorischem Charakter, wie sie im zweiten Teil der Publikation erhellend an verschiedenen Fallbeispielen analysiert werden, habe es im 20. Jahrhundert nicht mehr gegeben und auch die dort behandelten Konzepte der Erzählregie und subjektiven Charakterisierung seien erst im 18. Jahrhundert entstanden. Als Beispiel einer in dieser Hinsicht schlüssigeren Zusammenstellung sei hier nur Sabine Schulzes 2000 veröffentlichter Frankfurter Ausstellungskatalog mit dem Titel "Innenleben" genannt, der deutlich Kontinuitäten und Brüche in der Funktionalisierung von Innenraumdarstellungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart illustriert. Allerdings beschränkt sich letzterer auf bildliche Darstellungen, während die hier besprochene Publikation in vielen Teilen erfolgreich zeigt, wie erhellend und notwendig eine interdisziplinäre Perspektive auf dieses Thema ist.
Katja Kwastek