Jonathan Huener / Francis R. Nicosia (eds.): The Arts in Nazi Germany. Continuity, Conformity, Change, New York / Oxford: Berghahn Books 2006, viii + 226 S., ISBN 978-1-84545-309-1, GBP 60,00
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In den letzten Jahren sind erneut mehrere wichtige Einzeluntersuchungen zur Kunst während des Nationalsozialismus vorgelegt worden. Vor allem einige jüngere Sammelbände haben die unterschiedlichen Facetten der Rolle der Künste und der Kunstgeschichte zwischen 1933 und 1945 dabei weiter erhellen können. [1] Dies zeigt, dass das vermeintlich gut bearbeitete Thema weiterhin Interesse verdient. Der vorliegende, mit etwas mehr als 150 Seiten Text recht schmale Band bietet im Kontrast zur jüngeren Forschung eher eine Art perspektivierende Zusammenfassung. Er geht auf eine Reihe von Vorlesungen aus dem Jahre 2004 zurück, die am Center for Holocaust Studies an der University of Vermont gehalten wurden und erscheint in einer Publikationsreihe, in der sich entsprechende Bände bereits mit der Rolle der Medizin und der Industrie im Nationalsozialismus beschäftigt haben. Die Sammlung vereinigt die Beiträge prominenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der Problematik der Künste während des so genannten 'Dritten Reiches' z. T. seit Jahrzehnten und in grundlegender Weise befasst haben. Das Buch kann insgesamt als gelungener, wenngleich nicht unbedingt forschungsorientierter Überblick über die Thematik und gegenwärtige Fragestellungen gewertet werden, der sich dafür aber nicht scheut, moralische Aspekte seines Themas in den Blick zu nehmen.
In ihrer Einleitung machen die Herausgeber zu Recht deutlich, dass das Konzept eines "totalitären Staates" die vielfältige Kompetenzenzersplitterung im Bereich der Kunst im 'Dritten Reich' angesichts zahlreicher Protagonisten und miteinander konkurrierender Institutionen kaum zu fassen und zu erklären vermag. Gleichwohl kam es zu einem umfassenden Versuch der Instrumentalisierung der Kunst, und es lassen sich zentrale Linien aufzeigen, die die Kunst- und Kulturpolitik in entscheidendem Maße bestimmten. Alan Steinweis, der mit einer grundlegenden Studie zur Reichskulturkammer hervorgetreten ist [2], verdeutlicht den starken Einfluss antisemitischen Denkens auf die nationalsozialistische Kunstpolitik. Er manifestiert sich exemplarisch in dem forcierten Bestreben von Joseph Goebbels, die Reichskulturkammer möglichst schnell als "judenfrei" deklarieren zu können. Die von verantwortlichen Nationalsozialisten postulierten Zusammenhänge zwischen Kultur, Nation, Staat und Volksgemeinschaft bewirkten im Bereich der Kulturpolitik eine kontinuierliche Radikalisierung der antijüdischen Politik, besaßen mithin Schrittmacherfunktion und ergaben in Verbindung mit niederen Beweggründen wie Neid, Habsucht und Karrierestreben eine fatale Konstellation, an deren Endpunkt die systematische Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland stand.
Der Zeithistoriker und Musikexperte Michael Kater verdeutlicht am Beispiel der Kontinuität der amerikanischen Massenkultur von der Weimarer Republik bis in die Kriegszeit hinein das taktische Lavieren des Staates angesichts ausgeprägter moderner Geschmacksvorstellungen gerade von Jugendlichen, die etwa hinsichtlich der Kleidung zugleich in subtile Codes der Differenz oder gar der Opposition transformiert werden konnten. Eine wichtige Zäsur markierte hier die deutsche Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten im Dezember 1941. Das Regime trat danach mit unnachgiebiger Härte auf, verbrachte die Jugendlichen in Konzentrationslager, wo sie dann zum Teil Opfer eines bestialischen Sadismus werden konnten, wie Kater anhand ausgewählter, zum Teil schockierender Fallbeispiele zeigt. Auch hier verschärfte die zunehmend hoffnungslose politische Lage angesichts der sich abzeichnenden Niederlage des Deutschen Reiches die Repressionen, sodass Swing und Jazz als lebensgefährliche Leidenschaften nur noch im Verborgenen überdauern konnten. Pamela Potter knüpft in ihrem Beitrag an Katers und Steinweis' Aufsätze an, wenn sie die Musik im 'Dritten Reich' aus einer anderen Perspektive beleuchtet und dabei mit einigen populären Mythen aufzuräumen versucht, wie dem, dass während des Nationalsozialismus nur Wagner oder Militärmärsche gespielt wurden. Und auch sie geht auf den Aspekt der "Reinigung der Musik von jüdischem Einfluss" ein, wobei die Autorin konstatiert, dass die Entfernung jüdischen Personals "erfolgreicher" betrieben werden konnte, als die Umsetzung oder Schaffung einer "germanischen Musik". Der bekannte nationalsozialistische Parteitagsfilm Triumph des Willens (Leni Riefenstahl, 1935) und die antisemitische Kinoproduktion Jud Süss (Veit Harlan, 1940) stehen schließlich im Zentrum von Eric Rentschlers Aufsatz, der darin auch die kontroverse Rezeption der Person und des Werks Leni Reifenstahls und die Problematik des heutigen Umgangs mit dem historischen Filmmaterial berücksichtigt, das in der Tat ein schwieriges, gerade in heutigen Fernsehproduktionen nicht immer bewältigtes Problem darstellt.
Der amerikanische Historiker Jonathan Petropoulos, der zwei wichtige Bücher zur Kulturpolitik, Sammeltätigkeit der NS-Elite und dem Verhalten einzelner Berufsgruppen während der nationalsozialistischen Diktatur vorgelegt hat [3], beschäftigt sich in seinem Beitrag unter expliziter Anknüpfung an frühere Forschungen mit der bildenden Kunst - dies ist der einzige Beitrag zu diesem Thema. Mit dem Bildhauer Arno Breker, dem Kunsthändler Karl Haberstock und dem Museumsleiter Ernst Buchner skizziert er überdies drei sehr unterschiedlich gelagerte Karrieren, die er ganz in der Tradition von Götz Alys und Susanne Heims bahnbrechendem Buch "Vordenker der Vernichtung" über den engeren Zeitraum der 12 Jahre der NS-Herrschaft hinaus beleuchtet. Dabei sind die drei Kategorien "choice", "rationalization" und "justice" leitend, anhand derer von ihm Fragen nach Handlungsoptionen und -alternativen und nachträglichen Rationalisierungen des eigenen (Fehl-)Verhaltens sowie der vorschnellen Entnazifizierung erörtert werden. Am Ende führen die Einlassungen aber vielleicht für einige Leser überraschend nicht zu einer pauschalen Verurteilung der genannten Protagonisten. Petropoulos kann demgegenüber verdeutlichen, dass der von ihm verfolgte biografische Ansatz, die Rolle ethischer Wertmaßstäbe und schließlich die Kenntnisnahme von Grauwerten bei der Verhaltensbeurteilung aus heutiger Perspektive fruchtbar und notwendig bei der Beschäftigung mit dem Thema sind. Die Frage nach einer persönlichen Verantwortung wird damit notwendigerweise gestellt, nicht aber mit dem Dünkel historischer Distanz moralisierend beantwortet.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u. a. Eugen Blume und Dieter Scholz (Hgg.): Überbrückt. Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und Künstler 1925-1937, Köln 1999; Richard A. Etlin (Hg.): Art, Culture, and Media under the Third Reich, Chicago and London 2002; Hans Sarkowicz (Hg.): Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienste des Nationalsozialismus, Frankfurt/M. und Leipzig 2004 sowie Volker Böhnigk und Joachim Stamp (Hgg.): Die Moderne im Nationalsozialismus, Bonn 2006.
[2] Vgl. Alan E. Steinweis: Art, Ideology, and Economics in Nazi Germany. The Reich Chambers of Music, Theater, and the Visual Arts, Chapel Hill und London 1993.
[3] Vgl. dazu meine Besprechung unter dem Titel: Kunst und Politik im Dritten Reich. Rezension zu Jonathan Petropoulos Art as Politics in the Third Reich und The Faustian Bargain, in: Kunstchronik, Jg. 54, 2001, 308-316.
Olaf Peters