Rosalind P. Blakesley: The Arts and Crafts Movement, Berlin: Phaidon Verlag 2006, 272 S., ISBN 978-0-7148-3849-6, GBP 39,95
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Rosalind Blakesleys Publikation zum Arts & Crafts Movement bildet die inzwischen zweite Überblicksdarstellung des Verlages zu diesem Thema. Im Vergleich mit Isabelle Anscombes "Arts & Crafts Style" von 1991 werden die durch die beiden großen Ausstellungen zum Arts & Crafts Movement in Los Angeles 2004 und London 2005 initiierten Änderungen in der Auffassung und Darstellung dieses "Movement" deutlich. Unter dem Begriff Arts & Crafts Movement wurde bisher die Reaktion in England und dann auch in Amerika auf die industrielle Produktion verstanden, die zu einer Rückbesinnung und einem Rückgriff auf alte handwerkliche Verfahren und tradierte lokale Formen führten, die in Hinblick auf die eigenen Bedürfnisse variiert wurden.
Zeigte Anscombe das Arts & Crafts Movement als ein solches zunächst englisches und amerikanisches Phänomen mit Auswirkungen auf den Kontinent, z. B. nach Wien und München, und ins 20. Jahrhundert hinein in einer Darstellung, die auf kurze Einleitungstexte biografische bzw. thematische Darlegungen folgen ließ, so wird seit den von Wendy Kaplan bzw. Karen Livingston und Linda Parry edierten Ausstellungskatalogen versucht, das Arts & Crafts Movement als eine internationale Bewegung darzustellen. Dieses hat eine gewisse Berechtigung, da die englischen Anregungen durch Zeitschriften, Buchpublikationen und Ausstellungen auf weite Resonanz stießen, begeistert aufgenommen und dann für die eigenen Bedürfnisse und Anliegen abgeändert wurden. Dieses führte dazu, dass nun Elemente Einzug fanden, die das englische Arts & Crafts Movement nicht aufweist - hier sei nur auf die politisch-nationalen Ausprägungen in den osteuropäischen Ländern und auf eine abweichende Auffassung von der Bedeutung der Maschine in Deutschland verwiesen. Die internationale Auffassung des Phänomens führt zugleich zu begrifflichen Unklarheiten in der ohnehin komplizierten Stilterminologie um 1900, wie schon der Londoner Ausstellungskatalog deutlich machte. Über Blakesleys Publikation hinausgehend drängt sich die Überlegung auf, ob es nicht sinnvoller wäre, die etablierten, an bestimmte Länder gebundenen Stilbegriffe weiterzuführen und jeweils die Anregungen durch das englische Arts & Crafts Movement herauszustellen anstatt diese unter ein Arts & Crafts Movement insgesamt zu subsumieren. Denn dieses führt wiederum dazu, dass Elemente des "Jugendstils", die diese Arbeiten ebenso kennzeichnen, nun aber auf andere Anregungen zurückgehen, in der Darstellung zurückgehalten werden. Hieraus entsteht dann eine gewisse Schieflage. Das Beibehalten der etablierten Stilbegriffe würde es erlauben, die Vielfalt der künstlerischen Anregungen jeweils umfassend darzustellen.
Unabhängig von diesen die jüngere Arts & Crafts Movement-Forschung insgesamt betreffenden Überlegungen bietet Blakesley einen guten ersten Überblick über die Ausprägungen innerhalb der verschiedenen Länder, wobei die sehr ausführliche Darstellung von Ungarn, Polen und Russland ihre eigenen Forschungsinteressen reflektiert. Das scheint aber insofern legitim, als dass die Kunst dieser Länder einem westlichen Leser vermutlich weniger vertraut ist.
An den Anfang stellt die Autorin allgemeine Überlegungen, die das Verbindende der unterschiedlichen vorgestellten Ausprägungen - also die grundlegenden Charakteristika des Arts & Crafts Movement - herausarbeiten sollen. Sie fallen weniger prägnant aus als bei Wendy Kaplan, die als Grundprinzipien "design unity, joy in labour, individualism and regionalism" genannt hatte. [1] Blakesley betont die Ausrichtung auf das eigene Haus, erachtet somit das Arts & Crafts Movement eher als eine Bewegung, der es um das Schaffen einer bequemen, praktischen, angenehmen Ausstattung des Heims, als um eine öffentliche Kunst ging. Wichtig sind ihr die geläufigen Aspekte von ästhetischer Einheitlichkeit, Materialtreue, entsprechenden Herstellungsverfahren, Konstruktion, dem Verhältnis von Künstler und Handwerker. Charakteristisch sei die Aufhebung einer Trennung von freier und angewandter Kunst und eine Arbeit in Gemeinschaften oder Werkstätten.
Ähnlich wie die Herausgeberinnen der Ausstellungskataloge weist Blakesley darauf hin, dass es sich bei dem Arts & Crafts Movement nicht um einen formal einheitlichen Stil handele, sondern dass es sich gerade durch "little visual coherence" und "stylistic multiformity" kennzeichne (8). Verbunden würden die unterschiedlichen Erscheinungsformen durch die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien.
In einem Einleitungskapitel schildert sie die Hintergründe, die in England zum Arts & Crafts Movement führten: Industrialisierung, Veränderung des Lebens in den Städten und auf dem Land, die Kritik an dem ästhetischen Erscheinungsbild der auf der Weltausstellung von 1851 präsentierten Produkte, die Reformideen in Hinblick auf die künstlerische Ausbildung sowie die wichtigen Theoretiker und Vorläufer des "Movement", wobei sie berechtigt besonders auf William Morris eingeht.
Blakesley beginnt die einzelnen Kapitel mit Erläuterungen zur politisch-sozialen Situation in den jeweiligen Ländern und den daraus resultierenden Problembereichen. Sie dienen als Folie, um die spezifische Ausprägung des Arts & Crafts Movement zu erklären. Daran schließt sich die Vorstellung der wichtigsten Protagonisten mit Kurzbiografie, Hinweisen auf ihre Theorien und die knappe Vorstellung bedeutender Arbeiten an. Aufgrund des weit gespannten Rahmens kann dieses nur sehr eingeschränkt erfolgen und entspricht in Bezug auf die englischen, Wiener, deutschen und skandinavischen Künstler den etablierten Bahnen, wobei es der Autorin gelingt, durch die Beispielwahl und in der prägnanten Kurzcharakterisierung das Kennzeichnende der jeweiligen Arbeiten zu formulieren. Bei den osteuropäischen Ländern konzentriert sie sich auf wichtige Werkstätten und zeigt besonders in Hinblick auf Abramtsevo die Vielfalt der Arbeiten und Interessen, aber auch die Problematik auf: eine durch Aristokraten gegründete und in ihrer Ausrichtung bestimmte Werkstattgründung, in der wie auch in England eine Trennung in entwerfende Künstler und ausführende Handwerker stattfand und für eine städtische, wohlhabende Mittel- und Oberschicht produziert wurde. Der Konflikt zwischen theoretischen Anliegen und praktischer Umsetzung erscheint als eine wesentliche Grundkonstante der verschiedenen vorgestellten Ausprägungen.
Das Buch kann als eine gute Einleitung in die Materie dienen, bietet einen gelungenen Überblick mit reichem Abbildungsmaterial. Eine schöne Aufmerksamkeit ist die Verwendung der von Eric Gill entworfenen Golden Cockerel Type. Somit erscheint das Buch über das Arts & Crafts Movement in einer Type, die im Rahmen des Private Press Movement entstand, welches sich wiederum im Kontext des Arts & Crafts Movement herausbildete.
Anmerkung:
[1] Wendy Kaplan (Hg.): The Arts and Crafts Movement in Europe and America. Design for the Modern World 1880-1920, Ausst.Kat. Los Angeles County Museum of Art u. a. O. 2004, London 2004, 7.
Michaela Braesel