Rezension über:

Uta Deppe: Die Festkultur am Dresdner Hofe Johann Georgs II. von Sachsen (1660 - 1679) (= Bau + Kunst. Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstgeschichte; Bd. 13), Kiel: Verlag Ludwig 2006, 483 S., ISBN 978-3-933598-94-3, EUR 71,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Vinzenz Czech
Historisches Institut, Universität Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Vinzenz Czech: Rezension von: Uta Deppe: Die Festkultur am Dresdner Hofe Johann Georgs II. von Sachsen (1660 - 1679), Kiel: Verlag Ludwig 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 9 [15.09.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/09/12936.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Uta Deppe: Die Festkultur am Dresdner Hofe Johann Georgs II. von Sachsen (1660 - 1679)

Textgröße: A A A

Wer barocke Prachtentfaltung am kursächsischen Hof in Dresden bislang vorwiegend mit August dem Starken (1694-1733) in Verbindung gebracht hat, der wird nach dieser Studie seine Meinung teilweise ändern müssen. Der Ausbau von Hof und Residenz durch die Kurfürsten von Sachsen in den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg ist bereits in den letzten Jahren Thema mehrerer Veröffentlichungen gewesen. Besonders die Studie Christian Horns zur "Theatralik" höfischer Repräsentation unter Johann Georg II. ist hier zu nennen. [1] Und auch die höfische Festkultur erfreut sich seit längerer Zeit einer gewissen Beliebtheit in der Forschung. [2] Diese Arbeiten ergänzt nun die Kunsthistorikerin Uta Deppe um ihre 2002 am Kunsthistorischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel angenommene Dissertation.

Bekanntlich sind es nicht nur die Folgen des Dreißigjährigen Krieges, welche die Regierungszeit des sächsischen Kurfürsten Johann Georgs II. prägten. Auch der Umgang mit dem testamentarischen Erbe seines Vaters, Johann Georgs I., stellte ihn als ältesten Sohn vor eine diffizile macht- und familienpolitische Aufgabe. Die mit seinen drei jüngeren Brüdern im "Freundbrüderlichen Hauptvergleich" von 1657 festgelegte Einrichtung der drei Sekundogeniturfürstentümer Weißenfels, Merseburg und Zeitz bedeutete nicht nur eine Teilung des Landes und Schwächung seiner Position. Es bestand auch die begründete Furcht vor einer Verselbständigung oder gar Abspaltung der neu geschaffenen Herrschaftsgebilde.

Vor diesem politisch-dynastischen Hintergrund untersucht nun Uta Deppe in ihrer Arbeit insgesamt zwölf aufwändige, zum Teil mehrwöchige Festzyklen am kursächsischen Hof. Ausgangsthese ist dabei die Feststellung, dass diese Festlichkeiten für den Kurfürsten eine herausragende Bedeutung besessen hätten, da er sie als "ein Instrument absolutistischer Politik zur Sicherung und Dokumentation seines Machtanspruchs als regierender Reichsfürst einsetzte" (15).

Nach einem einleitenden Kapitel zu Fragen von Zeremoniell und Öffentlichkeit gibt die Autorin im zweiten Teil einen kurzen systematischen Überblick über die verschiedenen Festformen am sächsischen Hof. Von den Turnierfesten bis zu den Opernaufführungen werden hier die grundlegenden Voraussetzungen in der Dresdner Residenz vorgestellt. Besonders wird dabei auf die einzelnen Schauplätze eingegangen. Anschließend erfolgt eine detaillierte Rekonstruktion und Analyse der zwölf ausgewählten Festlichkeiten, die den Zeitraum von 1660 bis 1679 abdecken. Die Autorin geht hier in erster Linie deskriptiv vor. Im vierten Abschnitt folgt dann die Analyse und Herausarbeitung der Leitideen der Festkunst Johann Georgs II. Behandelt werden die für die Demonstration und Legitimation der politischen Macht des Kurfürsten signifikanten Darbietungsformen und -inhalte. Im Einzelnen sind dies seine mythische Verherrlichung in der Gestalt des Weltherrschers Nimrod in den Planetenfestspielen, seine Idealisierung als "Sächsischer Herkules" sowie die in den Rollenspielen der Hofgesellschaft vergegenwärtigten Königreiche. Das abschließende fünfte Kapitel versucht die kursächsischen Feste in den Kontext der zeitgenössischen Divertissements in den höfischen Zentren Europas und des Alten Reiches zu setzen. Eine chronologische Aufstellung der Ereignisse der zwölf Festzyklen sowie ein kleiner Quellenanhang runden die Arbeit ab.

Grundlage für die Studie ist die ungemein reiche Quellenbasis für den sächsischen Hof, aus der die Arbeit in erster Linie entstanden ist. Die Ausführungen basieren vor allem auf der Auswertung der Bestände des Oberhofmarschallamtes und der Hofdiarien jener Jahre im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden.

Die Autorin stellt in ihrer monografisch angelegten Fallstudie ausführlich und sehr detailliert die Breite und die Vielfalt höfischer Festformen am sächsischen Hof vor. Nur wenige Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges war bereits Kurfürst Johann Georg II. (nicht erst sein Enkel August der Starke) in der Lage, je nach Anlass ein variantenreiches höfisches Festprogramm aufbieten zu können. Dies mit aller Deutlichkeit aufzuzeigen und in seiner komplexen Ausformung vorzustellen ist ein Verdienst der Arbeit. Mit der Darstellung des Ablaufes und der programmatischen Ausrichtung der Festlichkeiten unterstreicht die Autorin eindrucksvoll die Intensität, mit der Johann Georg II. vorrangig über das Medium der höfischen Feste seinen Repräsentationsbedürfnissen und Herrschaftsansprüchen Ausdruck verlieh.

Die Studie zeigt darüber hinaus anschaulich, wie man sich in Dresden trotz Kenntnis der europäischen Festkultur jener Zeit nicht allein an auswärtigen Vorbildern orientierte. Neben der Integration moderner Elemente oder der Anwerbung auswärtiger Künstler knüpfte Johann Georg II. ganz bewusst an eine reiche Festtradition an, welche sich seit dem 16. Jahrhundert am sächsischen Hof etabliert hatte. Dies kommt in der Auswahl der ikonographischen Konzepte, aber auch der Festformen zum Ausdruck. Der traditionelle Aspekt war nach Deppe ein zentrales Moment bei der Ausgestaltung der Festlichkeiten. Das Anknüpfen an dynastische und lokale Traditionen und die damit verbundene Demonstration der kulturellen Identität der Dynastie und des Landes spielten eine wichtige Rolle für die Inszenierung des Herrschers. In Auseinandersetzung mit den Entwicklungen in Wien und Versailles gelang darüber hinaus in bestimmten Bereichen aber auch eine eigenständige Ausformung moderner Sujets, etwa in der Feuerwerkskunst und der damit eng verbundenen Stilisierung als "Sächsischer Herkules". Vor allem das analysierende vierte Kapitel liest man in dieser Hinsicht mit viel Gewinn.

Als ein Ergebnis klassifiziert Deppe den Dresdner Hof dieser Jahre dann auch als einen kulturellen "Leithof" im Gefüge des Alten Reiches dar, mit dem sich lediglich die Unternehmungen des bayerischen Kurfürsten Ferdinand Maria in München vergleichen ließen. Bis auf wenige Ausnahmen konnten die Festlichkeiten aus ihrer Sicht mit den zeitgleichen Ereignissen in Paris oder Wien jedoch noch nicht konkurrieren. Dies blieb dann tatsächlich erst Johann Georgs Enkel vorbehalten.

Generell ist die Frage nach der Wirksamkeit und damit auch der Effizienz derartiger Aufführungen sicher nicht einfach zu beantworten. Gerade vor dem Hintergrund der Klassifizierung als "Leithof" hätte jedoch die Frage nach den Adressaten und damit auch nach der Wahrnehmung bzw. Wirksamkeit dieser "politischen" Inszenierungen aus Sicht des Historikers insgesamt noch deutlicher gestellt werden können. Zwar wird die Rolle Johann Georgs II. als Kurfürst und sein Bestreben nach "absolutistischer" Selbstdarstellung immer wieder hervorgehoben. Die einflussreichen sächsischen Stände bleiben bei der Betrachtung jedoch weitgehend außen vor. Auch das Verhältnis zu seinen jüngeren Brüdern wird mehrfach thematisiert. Die Ernestiner dagegen, die auch im 17. Jahrhundert den Verlust der Kurwürde noch keineswegs überwunden hatten und nur auf eine entsprechende Gelegenheit zur Korrektur der Geschehnisse von 1547 warteten, werden mit keinem Wort erwähnt. Und auch die Stellung des protestantischen Kurfürstentums im Reich und in Europa wird oft nur allgemein angedeutet. Hier hätten die Festereignisse und deren Programmatik noch erkennbarer in den politisch-historischen Kontext eingebunden werden können.

Diese Bedenken mindern den generellen Wert dieser Studie keineswegs. Uta Deppe lenkt den Blick einmal mehr auf die Rolle und die Bedeutung höfischer Festkultur und damit auf eine Art von Politik, die sich in ihrer Schwerpunktsetzung deutlich von der anderer Höfe unterschied - insbesondere von der des nördlichen Nachbarn Johann Georgs II. Noch immer verstellt die gemeinhin als "effizienter" erachtete Politik Kurfürst Friedrich Wilhelms von Brandenburg, des "Großen Kurfürsten", zum Teil den Blick auf die gleichzeitigen, lange in Vergessenheit geratenen Entwicklungen in Dresden und andernorts. Es gilt jedoch nach wie vor, sich von dieser Sicht des 19. Jahrhunderts zu lösen und die verschiedenen Entwicklungen auf ihre zeitgenössische Wirkung und ihren Erfolg hin zu befragen. Für diese Diskussion bietet die Arbeit Uta Deppes überaus wertvolle Anknüpfungspunkte.


Anmerkungen:

[1] Christian Horn: Der aufgeführte Staat. Zur Theatralik höfischer Repräsentation unter Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen (= Theatralität, Bd. 8), Tübingen 2004; Günter Passavant: Wolf Caspar von Klengel (Dresden 1630-1691). Reisen - Skizzen - Baukünstlerische Tätigkeit (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 87), München / Berlin 2001; Kathrin Reeckmann: Anfänge der Barockarchitektur in Sachsen. Johann Georg Starcke und seine Zeit, Bonn 2000.

[2] Thomas Rahn: Festbeschreibung. Funktion und Topik einer Textsorte am Beispiel der Beschreibung höfischer Hochzeiten (1568-1794), Tübingen 2006; Claudia Schnitzer: Höfische Maskeraden. Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der Frühen Neuzeit, Tübingen 1999.

Vinzenz Czech