Monika Schuol: Augustus und die Juden. Rechtsstellung und Interessenpolitik der kleinasiatischen Diaspora (= Studien zur Alten Geschichte; Bd. 6), Berlin: Verlag Antike 2007, 436 S., ISBN 978-3-938032-16-9, EUR 54,90
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Die Geschichte des antiken Judentums im Kontext seiner heidnischen Umwelt hat schon im Altertum in der Person des Historikers Flavius Iosephus wie auch in der Moderne in unzähligen Forschungsbeiträgen Interesse und Darsteller gefunden. Der der jüdischen Religion eigene Monotheismus, die in einer langen Tradition fest verankerten spezifischen Kultpraktiken, verbunden mit einem die Geschichte anderer Völker und deren Mythen überragenden Alter haben den Juden heute wie damals eine besondere Situation als religiöse und ethnische Gemeinschaft zugewiesen.
Die vorliegende Untersuchung, hervorgegangen aus einer an der Freien Universität Berlin verfassten Habilitationsschrift, widmet sich der rechtlichen Sonderstellung der Juden im Verbund des römischen Weltreiches und stellt dabei die Politik des ersten Kaisers Augustus in den Mittelpunkt. Dem Untertitel "Rechtsstellung und Interessenpolitik der kleinasiatischen Diaspora" ist freilich nur etwa die Hälfte des Buches gewidmet, in der anderen Hälfte werden teilweise sehr weit ausholend ergänzende Themen und Randaspekte behandelt, die mit einem unverkennbaren rechtshistorischen Schwerpunkt sehr viel mehr Einzelelemente im Koordinatennetz römischer Herrschaftssicherung vermitteln. Diese Erweiterung kann man einerseits begrüßen, wird dem Leser doch auf diese Weise ein facettenreiches Bild des jüdisch-römischen Verhältnisses von der ersten direkten Begegnung im 2. Jahrhundert v.Chr. bis in die Spätantike geboten, andererseits wirkt sie sich nachteilig auf die innere Geschlossenheit und Argumentationsdichte der Arbeit aus.
Nach einer kurzen historischen Einleitung zur Geschichte des Judentums in Kleinasien erläutert die Verfasserin die Rechtsinstanzen und Rechtsverfahren des spätrepublikanisch-frühkaiserzeitlichen Rom, in die sie dann die besonderen, an die römischen Autoritäten herangetragenen Klagen der Juden über die Nichteinhaltung verbriefter Rechte seitens der griechischen Poleis einbettet. Die fast ausschließlich bei dem jüdischen Historiker Flavius Iosephus überlieferten amtlichen Bescheide römischer Statthalter und Machthaber wie Caesar und Augustus, denen sie völlig zu Recht grundsätzliche Authentizität zuerkennt, bieten die Quellenbasis, die sie inhaltlich (Klagepunkte), verfahrenstechnisch (Formular-/ Kognitionsverfahren) und in machtpolitischer Hinsicht (Einflussmöglichkeiten der Juden) analysiert.
Es ist offenkundig das besondere rechtshistorische Interesse der Verfasserin, das die Darstellung über den kleinasiatischen Raum und die Epoche des Augustus weit hinausträgt. Die Prozessverfahren vor dem Kaisergericht gegen die Herodessöhne, dann kaiserliche/ statthalterliche Eingriffe in die lokalen Belange auch jenseits der die Juden betreffenden Probleme, das römische Prozessverfahren überhaupt, exemplifiziert am Prozess gegen Verres, dann angewendet auf den Prozess Jesu und des Apostels Paulus bis hin zu den Texten des Babata-Archivs aus der Provinz Arabia in hadrianischer Zeit - für sich genommen sind dies alles lehrreiche Miszellen zum römischen Verfahrensrecht, die aber in keinem erkennbaren thematischen Zusammenhang zu den Diasporajuden in Kleinasien stehen. Am Schluss der Arbeit häufen sich Wiederholungen, wenn die Verfasserin noch einmal einen historischen Rückblick auf die jüdisch-römischen Beziehungen erstellt, um die Frage zu beantworten, ob hinter Augustus' Entscheidungen "selbstloses Entgegenkommen oder politisches Kalkül" standen, oder wenn sie die augusteische Herrscherideologie aufrollt, um die an sich selbstverständliche Tatsache zu erweisen, dass auch die Juden wie alle Reichsbewohner an die patronale Fürsorge des Prinzeps zwecks Durchsetzung ihrer Anliegen appellierten.
Mit Blick auf die resümierenden Aussagen der Arbeit stellt man paradoxerweise fest, dass die an sich vorbildhafte Materialvorlage die Verfasserin zu gelegentlich "schiefen" Fragestellungen verleitete. Ob es eine "einheitliche Linie römischer Judenpolitik" (237) gab, möchte ich im Gegensatz zur Verfasserin gerade nach der Lektüre dieser Arbeit durchaus bejahen und sehe nicht, warum die wiederholte Geltendmachung jüdischer Ansprüche in den verschiedenen Städten diesem Grundsatz widerspricht. Die römische Toleranz gegenüber fremden Religionen bildete einen zentralen Baustein des obersten Prinzips, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, und war weniger eine Frage der Priorität des einen oder des anderen Grundsatzes. Ebenso war "Entgegenkommen" bei Augustus so wenig wie bei heutigen Politikern in aller Regel "selbstlos", sondern immer mit einem politischen Kalkül verbunden.
Als Gründe für die Rücksichtnahme römischerseits auf jüdische Sonderrechte in den Poleis nennt die Verfasserin zu Recht den schlichten Respekt vor dem Alter der Religion (so auch Tacitus, hist. 5,5: hi ritus quoquo modo inducti antiquitate defenduntur), die Aufrechterhaltung des inneren Friedens in den Städten und die guten Beziehungen zwischen Herodes einschließlich seiner Nachkommen und der iulisch-claudischen Dynastie. Für Letzteres ließen sich noch mehr Indizien als die in der Arbeit genannten anführen, etwa die an Namen des Kaiserhauses angelehnte Nomenklatur in seiner Familie und von Städten und Plätzen in seinem Königreich, vor allem sei aber auch umgekehrt an die sicher partielle, aber starke Sympathie für das Judentum innerhalb der römischen Aristokratie erinnert. Der Historiker Asinius Pollio, Konsul 40 v.Chr., gehörte dazu, Poppaea Sabina, die Gattin Neros, war erste Anlaufstation jüdischer Gesandtschaften in Rom, der spätere Kaiser Titus, obwohl er Jerusalem zerstört hatte, dachte ernsthaft daran, die jüdische Prinzessin Berenike zu heiraten. Dementsprechend dürfte die Verfasserin, obwohl sie das Quellenproblem als solches erkannt hat (73,103 f.), zu bereitwillig der in diesem Punkte einseitigen überlieferung des Iosephus gefolgt sein und den Gegensatz zwischen städtischer Oberschicht auf der einen und jüdischen Mitbewohnern auf der anderen Seite (und dazwischen die römischen Autoritäten) etwas zu scharf gezeichnet haben. Was für Rom die literarischen Quellen bezeugen, wird sich analog in den Provinzstädten gefunden haben, nämlich Sympathien der lokalen Notablen für die Juden und Respekt vor ihren garantierten Rechten. Ein herausragendes Beispiel bietet die Stiftung einer jüdischen Synagoge durch die vornehme Iulia Severa, Gattin eines römischen Senators neronischer Zeit, im phrygischen Akmonia [1]; in Apamea Kibotus findet sich jüdische Symbolik in der städtischen Münzprägung [2]; für Smyrna konstatiert die Verfasserin selbst (105 f.) ein durchweg entspanntes Verhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen, wo auch die Juden in einer langen Spenderliste für Belange der Gemeinde auftauchen [3]. Mit Sicherheit bestimmten das soziale, wirtschaftliche und geschichtliche 'Profil' einer jeden Stadt, auch das bekannte Konkurrenzdenken vor allem benachbarter Städte, die jeweils konkrete Situation der jüdischen Diaspora, die nicht überall von einer latenten und permanenten Feindseligkeit geprägt war.
Die Arbeit vermittelt zusammengefasst einen umfassenden und soliden Überblick über die Rechtsstellung der kleinasiatischen Juden und ihre Probleme mit der heidnischen Umwelt im Kontext der römischen Reichsadministration, sie wird flankiert von zahlreichen ergänzenden und erhellenden Detailstudien, die der Titel nicht vermuten lässt, sie rückt jedoch etwas einseitig die zweifellos vorhandenen Probleme des Miteinander in den Fokus, nicht die Alltagswirklichkeit schlechthin.
Anmerkungen:
[1] IGR IV 655 = MAMA VI 264; E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C.-A.D. 135), 3,12 herausgegeben von G. Vermes; F. Millar; M. Goodman, Edinburgh 1986, 30 f.
[2] A.H.M. Jones, The Cities of the Eastern Roman Empire, Oxford 1971, 69 f.; E. Schürer (Anm. 1), 28-30.
[3] IGR IV 1431 Z. 30 = G. Petzl (Hg.), Die Inschriften von Smyrna (IK 24,1), 1987, 697.
Helmut Halfmann