Andreas Dornheim: Forschergeist und Unternehmermut. Der Kölner Chemiker und Industrielle Hermann Julius Grüneberg (1827-1894), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, 331 S., ISBN 978-3-412-03006-3, EUR 24,90
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"Wissenschaftsgeschichte meets Unternehmensgeschichte." So ließe sich das vorliegende Buch von Andreas Dornheim angemessen ankündigen. Der Verfasser hat sich mit seiner Biographie über den Kölner Chemie-Pionier Hermann Grüneberg an der "Schnittstelle zwischen Forschung und Industrie" (111) eine reizvolle Aufgabe gestellt, die derzeit mit einer hohen Nachfrage rechnen kann.
Einbetten lässt sich Dornheims Buch in die gegenwärtig sehr lebhafte Forschungslandschaft zur Geschichte des Wirtschaftsbürgertums, das im vergangenen Jahrzehnt im Fokus zahlreicher Betrachtungen stand, wie sie etwa von Ulrich Soénius [1], Carola Groppe [2] oder Gabriele Oepen-Domschky [3] vorgelegt wurden. Sie alle stehen für die Annäherung der Bürgertumsforschung an die Unternehmensgeschichte, die seit den letzten Jahren einen erheblichen Aufschwung erfahren hat und als Bestandteil einer anhaltenden Debatte über methodische Zugänge und theoretische Erklärungsansätze in dieser Disziplin längst noch nicht beendet ist.
Zu den gegenwärtig diskutierten Ansätzen wie der Neueren Institutionenökonomie oder der Netzwerktheorie kommt ein erneut aufflammendes Interesse an der biografischen Forschung. Gerade im Zusammenhang mit dieser Forschungsdiskussion könnte die Biografie Hermann Julius Grünebergs (1827-1894), dem Mitbegründer der späteren Chemischen Fabrik Kalk (CFK) in Köln und einem der führenden Chemiepioniere seiner Zeit, einen besonderen Beitrag darstellen. Unter den Unternehmen der Großchemie stellte die CFK, die die chemische Industrie über das Rheinland hinaus über ein Jahrhundert als Zulieferer geprägt hat, einen der innovativsten Betriebe dar.
Auf der Grundlage privater Quellen wie Briefen und Tagebüchern als auch unternehmerischer Materialien wie Geschäftsunterlagen, die sich überwiegend im Privatarchiv Walther Brügelmann sowie, für die CFK, im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln befinden, liefert Dornheim detaillierte Einblicke in das private und öffentliche Leben eines Unternehmers des 19. Jahrhunderts. Dieser hat als Naturwissenschaftler die Weiterentwicklung der (Agro-)Chemie maßgeblich vorangetrieben und kann daher in einem Atemzug mit führenden Chemikern wie Justus von Liebig genannt werden.
Dornheim folgt der konventionellen biografischen Vorgehensweise, wenn er in den ersten Kapiteln das familiäre Umfeld, Jugend und Werdegang Grünebergs nachzeichnet. Die darauffolgenden Kapitel befassen sich mit der Forschungsleistung des Chemikers als Wegbereiter der chemischen Düngung und seiner unternehmerischen Tätigkeit als Mitbegründer der CFK und ihrer Vorläuferfirma, der Kommanditgesellschaft Vorster und Grüneberg in Köln. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit den wirtschafts- und berufsständischen Aktivitäten Grünebergs sowie seinem sozialpolitischen Engagement auf Verbands- bzw. Vereinsebene. Im Gegensatz dazu stehen im achten Kapitel Mentalität und private Lebensführung im Mittelpunkt, womit die Arbeit an die Fragestellungen der Bürgertumsforschung (wie etwa konfessionelle Bindung, Heiratsverhalten, Lebensverhältnisse, Sozialisation der Nachkommen) anknüpft. Ein abschließendes Kapitel befasst sich, konzeptionell wie sprachlich ungeschickt, mit "Tod, Testament, Ausblick".
Mit Blick auf seine unternehmerische Tätigkeit und seine Forschungsleistungen scheint Hermann Julius Grüneberg hervorragend auf das Schumpeter'sche Theorem des innovativen Unternehmers zu passen. Desungeachtet löst der Verfasser gleich zu Beginn seines Buches Verwunderung aus, wenn er an traditionelle oder auch aktuelle Forschungsdiskussionen eine Absage erteilt. Diese Biografie, so lässt er den Leser wissen, stelle keine "wissenschaftliche Qualifikationsarbeit" (15) dar, sondern sei vielmehr mit dem Ziel verfasst worden, die Person und das Leben Grünebergs möglichst nahe an der Realität zu beschreiben. Damit leiste er einer Anregung Folge, die bis auf eine in die 1920er Jahre zu datierende, persönliche Initiative der Erben des Chemikers zurückgeht. So vergibt Dornheim, Privatdozent für Neuere Geschichte und Landesgeschichte an der Universität Erfurt und Begründer eines privatwirtschaftlichen Forschungsinstituts, naheliegende Chancen für den wissenschaftlichen Diskurs, wenn er das Bild des Unternehmers im konventionellen biographischen Stil unter Verzicht auf eine theoretisierende Fragestellung und/oder eine vergleichende Methode entwirft und damit Unternehmer wie Unternehmung weitgehend im "luftleeren Raum" präsentiert.
Offenkundig mit Blick auf eine breitere Leserschaft ist die Sprache des reich und vierfarbig illustrierten Bandes einfach, stellenweise salopp gehalten. Kurz gefasste Kapitel und die Beschränkung des Fußnotenapparates auf ein Minimum zielen ebenfalls darauf ab, die Lesbarkeit für ein breites Publikum zu erhöhen (15). Umso überraschender, und für die Wissenschaftlerin erfreulich, ist das umfangreiche Sach- und Ortsregister, das deutlich über den Anspruch eines Laienpublikums hinausgeht.
Inhaltlich hält sich der Band an die vorgefassten Intentionen. Wie aus dem Vorwort hervorgeht, liegt die vorrangige Absicht darin, "... das Andenken an Dr. Hermann Grüneberg ... lebendig zu erhalten und späteren Generationen als Vorbild zu zeigen" (10). Dazu präsentiert der Verfasser eine detailreiche biographische Darstellung, die minutiös und in zahlreichen, mitunter langatmigen Zitaten, den Werdegang des Protagonisten wiedergibt. Dass die Figur Grünebergs als Forscher, Unternehmer und Privatmann am Ende blass bleibt, hat indessen nicht nur mit den etwas ermüdenden, teilweise auch redundanten Schilderungen des Autors zu tun (die Tatsache, dass zwei seiner Kinder noch im jungen Alter verstarben, findet sich gleich an drei Stellen, vgl. 165, 196 und 207). Denn leider thematisiert der Verfasser eine ganze Reihe von relevanten Punkten nicht: Während die Forschungsleistungen Grünebergs vergleichsweise eingehend dargestellt werden, bleibt die Frage nach dem "Unternehmermut" des Industriellen, die gleichfalls einen zentralen Aspekt der Arbeit darstellen soll (137), offen.
Insgesamt wird Andreas Dornheim seinem Anspruch, die Bedeutung Hermann J. Grünebergs als Chemiker und dessen Rolle bei der Durchsetzung der mineralischen Düngung in Deutschland und Entwicklung der Kaliindustrie herauszuarbeiten, nur teilweise gerecht. Dabei erscheint auch die weitgehende Negierung der Forschungsdiskussion aus Sicht der Unternehmensgeschichtsforschung überaus bedauerlich, da unternehmerische Fallbeispiele wichtige neue Erkenntnisse für die aktuellen Forschungsdiskurse liefern können. Die eindimensionale biographische Sichtweise hingegen eröffnet zwar wertvolle Hinweise, beispielsweise zur Einbindung Grünebergs in lokale Netzwerke (188 f.) oder auch zu den Schwierigkeiten, eine Personengesellschaft angesichts einer internen Konkurrenzsituation zwischen den Anteilseignern zu führen.
Doch bleibt der Erkenntnisgewinn insgesamt gering, weil sich Dornheim auf die reine Darstellung beschränkt. Dies gilt auch für die Schilderung der Umsatz- und Finanzsituation des Unternehmens (152 ff.). Die aufgelisteten Zahlenreihen werden in keiner Weise zueinander in Bezug gesetzt. Und auch die Zwischenfazits zu einzelnen Kapiteln ändern wenig daran, dass die wissenschaftliche Bewertung des Unternehmers Grüneberg noch zu leisten sein wird.
Anmerkungen:
[1] Wirtschaftsbürgertum im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Familie Scheidt in Kettwig 1848-1925, Köln 2000.
[2] Der Geist des Unternehmertums. Eine Bildungs- und Sozialgeschichte. Die Seidenfabrikantenfamilie Grolsmann, Bd. 1 und 2, Köln 2004 und 2005.
[3] Kölner Wirtschaftsbürger im Deutschen Kaiserreich: Eugen Langen, Ludwig Vollwerck, Arnold von Guilleaume und Simon Alfred von Oppenheim, Köln 2003.
Susanne Hilger