Rezension über:

Clive Edwards: Turning Houses into Homes. A History of the Retailing and Consumption of Domestic Furnishings (= The History of Retailing and Consumption), Aldershot: Ashgate 2005, IX + 294 S., ISBN 978-0-7546-0906-3, GBP 52,50
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Rezension von:
Christoph Heyl
Institut für England- und Amerikastudien, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Heyl: Rezension von: Clive Edwards: Turning Houses into Homes. A History of the Retailing and Consumption of Domestic Furnishings, Aldershot: Ashgate 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/12085.html


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Clive Edwards: Turning Houses into Homes

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Das von Clive Edwards vorgelegte Buch vereint zwei Forschungsfelder, die seit einiger Zeit Konjunktur haben. Zum einen handelt es sich dabei um die Kulturgeschichte der Waren und des Konsums, zum anderen um die gleichfalls kulturhistorisch ausgerichtete Erforschung der häuslichen Privatsphäre. Hinter solchen Untersuchungen steht letztlich die Frage nach der Bedeutung, die die Objekte der materiellen Kultur für das Selbstbild und die gegenseitige Wahrnehmung von Menschen haben. In der Regel wird dabei auch die Relation zwischen Dingwelt und Geschlechterrollen betrachtet.

Die spezifischeren Ziele des Buches werden ganz im Sinne solcher Forschungsansätze benannt, nämlich "to map the history [...] of the retail furnishing industry and to consider its role in the home-making process." (1) Geographisch bilden die britischen Inseln den Ausgangspunkt der Betrachtung; dann soll eine Erweiterung auf einen "wider Western point of view" (1) für das 20. Jahrhundert erfolgen. Dabei soll eine multidisziplinäre methodologische Synthese vorgenommen werden, um beispielsweise auch anthropologische und kulturgeographische Ansätze für die Untersuchung nutzbar zu machen.

Nach einigen einführenden Anmerkungen zur Unterscheidung von "domicile" (also dem bloßen Dach über dem Kopf) und dem eng mit der eigenen Identität verbundenen, als privatem Raum gedachten "home" sowie den Begriffen "retailing" (Verkauf von Objekten und der damit verbundenen Projektion einer Wunschidentität) und "consumption" (Identitätsbildung/dingliche Manifestation von Identität durch Auswahl aus einem breiten Warenangebot) beginnt die Darstellung mit einer Betrachtung der Entwicklung einer Kultur des Verbrauchs. Dabei wird die These vertreten, dass im Mittelalter die Ausstattung des Hauses nicht primär dazu gedient habe, den Status seiner Bewohner aufzuweisen, und dass den Objekten diese Funktion erst nach und nach zugewachsen sei. Dies sei erst ab dem 16. Jahrhundert geschehen; erst ab dieser Zeit habe man Einrichtungsgegenstände bewusst im Kontext der Vorstellung einer eigenen Identität ausgewählt. Dies sei mit einer differenzierteren Stratifizierung der Gesellschaft einhergegangen; eine wichtige Rolle habe dabei auch der Prozess der Urbanisierung (vor allem in London) gespielt. In London habe sich ab dem späten Mittelalter eine Vielzahl von Läden etabliert, darunter auch solche, in denen man Textilien anbot, die zur Innenausstattung von Wohnhäusern verwandt wurden.

Im 18. Jahrhundert verfolgt der Verfasser den Aufstieg des "retail tastemaker" (38), des Anbieters von Einrichtungsgegenständen, dessen Tätigkeit sich stilbildend auswirkte. Herstellung und Darbietung der Einrichtungsgegenstände wurden zunehmend separiert; es sind Differenzierungs- und Spezialisierungsprozesse zu beobachten. Dabei habe sich allerdings - selbst im Zusammenhang mit großen, bekannten Geschäften - noch kein Markenbewusstsein entwickelt. Welche Rolle Männern bzw. Frauen beim Kauf von Möbeln und sonstigen Innenausstattungsgegenständen zukam, ist in der Forschung umstritten; aus den Quellen ergibt sich kein einheitlicher Befund. Klar ist dagegen, dass die in London aktuellen Moden in der Inneneinrichtung noch in den 1790ern in Nordamerika den Ton angaben und dass bis in diese Zeit Möbel in großem Umfang dorthin exportiert wurden.

Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden zunehmend höhere Anforderungen an das gestellt, was in englischen Texten der Zeit als "comfort" bezeichnet wird (der Begriff umfasst neben dem deutschen "Komfort" auch den Aspekt der Wohnlichkeit). Die bürgerlichen Mittelschichten kauften immer mehr Einrichtungsgegenstände und konnten aus einem ständig wachsenden, sich durch Modewellen beständig umschichtenden Angebot auswählen. Dabei nutzten sie zunehmend die Ausstattung ihrer Wohnung zur Selbstdarstellung.

Im 19. Jahrhundert vollzog sich, so Edwards, eine "retail revolution". Neue Strukturen etablierten sich. Das Warenangebot verbreiterte sich nochmals drastisch; durch neue Methoden der Massenproduktion wurden Objekte in höheren Stückzahlen angeboten als zuvor, und Moden wechselten sich immer schneller ab. Kaufhäuser wurden gegründet; sie lockten mit einem breiten Warenangebot und präsentierten Musterausstattungen für Räume. Auch die unterbürgerlichen Schichten wurden von dem Wunsch erfasst, die Ausgestaltung der bürgerlichen Privatsphäre zumindest fragmentarisch nachzuvollziehen. Die bürgerliche Frau wurde als "home-maker" angesehen, die materielle Ausgestaltung der häuslichen Privatsphäre beispielsweise durch dekorative Handarbeiten galt als eine legitime und wünschenswerte weibliche Beschäftigung.

Im 20. Jahrhundert wuchs die Bedeutung der Kaufhäuser weiter; eine besonders wichtige Rolle spielten dabei die Co-Operative Stores. Durch ihre sorgfältig arrangierten Mustereinrichtungen wirkten die Kaufhäuser weiter stilbildend. Einen ähnlichen Einfluss übten die vom Publikum stark beachteten "Ideal Home Exhibitions" aus, die ab 1908 veranstaltet wurden. In der Zwischenkriegszeit etablierten sich Versandhäuser, die ihr Angebot durch günstige Kredite attraktiv machten. Im 20. Jahrhundert hatten sich Käufer zwischen Modernismus und älteren Gestaltungsmustern zu entscheiden. Der Materialmangel der Kriegszeit brachte dabei notgedrungen eine neue, minimalistische Ästhetik mit sich. In den 1950ern und 60ern begannen Markennamen eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Ab den 1960ern etablierten sich "furniture superstores" fernab der Wohngebiete; sie boten kaum noch Service an, lockten dafür aber mit niedrigen Preisen.

Einerseits bestand eine zunehmende Wahlfreiheit beim Kauf von Einrichtungsgegenständen, was auf zunehmende Individualisierungsmöglichkeiten schließen lassen könnte, andererseits relativierte sich die scheinbare Individualität des Verbrauchers dadurch, dass sich seine Auswahl auf mehr oder weniger vorgegebene Identitätsschablonen reduzierte. Zusammenfassend operiert Edwards mit den Begriffen "user-value" und "identity-value". Zwar habe die Zweckdienlichkeit von Einrichtungsgegenständen konstant eine wichtige Rolle gespielt, aber es sei ihr "identity-value", also ihre Zeichenfunktion, gewesen, die als Motor des Wandels gewirkt habe. Die zunehmende Breite des Angebots und dessen immer sorgfältigere Präsentation sei vor allem auf diesen "identity-value" der Objekte zurückzuführen.

Abschließend liegt die Frage nahe, ob im Mittelalter tatsächlich jedes Bewusstsein von der Zeichenhaftigkeit der häuslichen Einrichtungsgegenstände fehlte. Sicherlich gab es nicht ein Überangebot an vorgefertigten Waren, aus denen man hätte auswählen können; es gab noch keine schnellen Modezyklen in der Innenausstattung, und Häuser enthielten, verglichen mit späteren Zeiten, relativ wenig Gegenstände. Aber es ist dennoch denkbar, dass die wenigen, lange genutzten Objekte einen nicht unerheblichen Statuswert haben konnten. Die Ausführungen zum Mittelalter bleiben skizzenhaft; sehr schnell wird ein Übergang zum 17. Jahrhundert und den einschlägigen Quellen (z.B. dem Tagebuch des Samuel Pepys) vollzogen. Die Folgen des Great Fire von 1666, nach dem in London Häuser auf neue Weise gebaut und Wohnraum auf neue Weise organisiert und genutzt wurde, werden nicht eigens thematisiert. Bilddokumente werden nur punktuell berücksichtigt; das für das Thema enorme Potential dieser Quellengattung, insbesondere ab dem 18. Jahrhundert, deutet sich hier lediglich an. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass Edwards mit diesem Buch einen sachkundigen Beitrag sowohl zur Kulturgeschichte der Dinge als auch zur Geschichte der Privatsphäre geliefert hat.

Christoph Heyl