Cinzia Bearzot / Francia Landucci (a cura di): Contro le 'leggi immutabili'. Gli Spartani fra tradizione e innovazione, Milano: Vita e Pensiero 2004, VIII + 207 S., ISBN 978-88-343-1985-7, EUR 18,00
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Das ältere Bild vom "Militärstaat" Sparta gehört der Vergangenheit an. Die althistorische Forschung hat längst erkannt, dass die Entstehung des so genannten Kosmos Sparta im Rahmen der Entwicklung der griechischen Poliswelt gesehen werden muss und Kontinuität und Wandel für die Gemeinschaft der Spartiaten ebenso bestimmend waren wie für andere hellenische Gemeinwesen. In diesem Sammelband werden Tradition und Innovation am Eurotas an Beispielen bedeutender Spartaner thematisiert.
Im einleitenden Beitrag erläutert Cinzia Bearzot, wie Kriterien zur Charakterisierung "konservativer" und "fortschrittlicher" Spartiaten nach ihrer Auffassung anzuwenden sind (3-32). Sie geht davon aus, dass Kriterien wie "Besonnenheit" und "Aggressivität" bei antiken Vergleichen führender Spartaner sich in der Regel auch auf deren politische Konzepte beziehen. Im 4. Jahrhundert sei aber "unkonventionelles Verhalten" gegebenenfalls auch als Verpflichtung gegenüber den Traditionen verstanden worden, wie aus dem Bericht Xenophons (Hellenika 5,2,32) zur Stellungnahme des Agesilaos zum Coup des Phoibidas in Theben zu entnehmen sei. Die Argumentation des Agesilaos ist indes eher 'machiavellistisch'.
Zu den umstrittensten Spartanern zählt Kleomenes I., der längere Zeit bestimmenden Einfluss auf die spartanische Politik ausübte, aber ein rätselhaftes Ende fand. Pierre Carlier lässt es offen (33-52), ob der König ein Opfer von Intrigen wurde oder dem Wahnsinn verfiel. Überzeugend sind Carliers Ausführungen zur Bedeutung der spartanischen Volksversammlung in spätarchaischer Zeit.
Den Sturz des Regenten Pausanias behandelt Massimo Nafissi (53-90). Er hält den Bericht des Thukydides 1,128-135 über das Ende des Siegers von Plataiai in wesentlichen Punkten für zutreffend und versucht, das Geschehen im Licht der damaligen Wertvorstellungen der Spartaner zu analysieren. Nach seiner Auffassung fürchteten die Spartaner, dass Pausanias mit persischer Hilfe eine Tyrannis in Sparta errichten könnte. Die Überlieferung über das Scheitern des Pausanias, der offenbar von ranghohen Spartanern als Gefahr für ihre eigene Position gesehen und durch einen konspirativen Überraschungscoup beseitigt wurde, ist aber zweifellos deformiert.
Luisa Prandi führt aus (91-113), dass ein Urteil über die verschiedenen Handlungsweisen des Brasidas schwer ist, da Thukydides die Aktionen eines ihm 424 vor Christus überlegenen feindlichen Truppenführers darstellen musste, der dann 422 gegen Kleon, den innenpolitischen Gegner des Historikers, kämpfte und in der Zwischenzeit den Widerstand führender Kreise in Sparta gegen seine Pläne in Thrakien nicht überwinden konnte. Brasidas setzte während des zwischen Sparta und Athen 423 vereinbarten Waffenstillstandes seine Operationen fort, weil er offenbar glaubte, hierdurch den Interessen Spartas am besten dienen zu können. Frau Prandi zieht hieraus den Schluss, dass Brasidas nicht den Rahmen üblicher Verhaltensregeln der Spartaner sprengte. Natürlich war er kein Revolutionär, aber seine Gegner in Sparta waren doch wohl weitsichtiger, wenn sie tatsächlich das Ziel verfolgten, eine friedliche Koexistenz mit Athen anzustreben.
Marta Sordi untersucht die Quellen zu den Feldzügen des Königs Pausanias aus dem Agiadenhaus und zu den beiden 403 und 394 gegen ihn angestrengten Prozessen (115-125). Ihr Ergebnis lautet, dass er ein "Konservativer" war, der sich gegen die weit ausgreifenden und aus seiner Sicht riskanten Pläne Lysanders wandte. Nur die Schrift, die von Pausanias im Exil verfasst wurde und sich gegen das Ephorat richtete, sei revolutionär gewesen. Nach dem zweiten Prozess, der mit einem Todesurteil endete, konnte Pausanias bekanntlich flüchten. Die Anklage lautete, dass er 394 vor Haliartos nicht rechtzeitig Lysander unterstützt habe, der freilich zu früh den Kampf begonnen hatte. Dieser Prozess hatte innenpolitische Gründe und war vermutlich von einer Gruppe inszeniert worden, zu der auch der Eurypontidenkönig Agesilaos zählte. Das Pamphlet des Pausanias sollte das Ephorat wohl nicht zuletzt deshalb in Frage stellen, weil der legendäre Lykurgos als Eurypontide und Begründer der genannten Institution galt. Die Flugschrift richtete sich gegen die Gegner des Pausanias, der aber schwerlich aus dem Exil eine Revolution in Sparta anzetteln konnte.
Cinzia Bearzot versucht zu klären, ob Lysander eher mit dem Regenten Pausanias oder mit Brasidas zu vergleichen ist (127-160). Sie vermutet, dass Lysander von seinen Gegnern beschuldigt wurde, ein "neuer Pausanias" zu sein. In Wirklichkeit sei aber eher Brasidas sein Vorbild gewesen. Nachrichten über hochfliegende imperiale Pläne (Xenophon, Hellenika 3,4,2) und Bestrebungen Lysanders, eine Wahlmonarchie in Sparta zu konstituieren (Diodor 14,13,2-4; Plutarch, Lysandros 24-26; Agesilaos 20), lassen sich aber nicht verifizieren. Andererseits sollten die von ihm in einer Reihe von Poleis eingerichteten Dekarchien wohl auch seine eigene Position in Sparta stärken. Er hat indes seine eigenen Handlungsmöglichkeiten nach seinem Sieg bei Aigospotamoi überschätzt.
Franca Landucci Gattinoni verweist in ihrer Skizze der Entwicklung Spartas nach der Schlacht bei Leuktra (161-190) auf die von Stephen Hodkinson revidierte These von einem angeblich "staatlichen" Eigentum am Grund und Boden in Sparta [1] und betrachtet die Situation nach der Intervention Thebens in Messenien 370/69 als Hauptursache für den Rückgang der Zahl der Vollbürger Spartas, weil viele Spartiaten durch den Verlust ihrer messenischen Klaroi in wirtschaftliche Not geraten seien und sich als Söldner verdingt hätten. König Agis III. habe sich nach der Schlacht bei Issos 331 v. Chr. vergebens bemüht, den "brotlos" gewordenen Söldnern, die bis dahin im persischen Dienst standen, neuen Landbesitz zu verschaffen. Diese These vereinfacht das Problem. Für einen großen Krieg griechischer Poleis gegen Makedonien waren die Voraussetzungen 331 nicht mehr gegeben.
Dies bestätigt der abschließende Essay von Gabriele Marasco (191-207), der zeigt, dass Kleomenes III. von Sparta nach Lage der Dinge nicht mehr eine Machtpolitik im Stil hellenistischer Monarchen verfolgen konnte.
Der Band bildet eine Fülle von Anregungen für künftige Forschungen zur Politik und Gesellschaft Spartas. Dennoch sind auch Zweifel an allzu weitgehenden Thesen anzumelden, die in der Überlieferung keine hinreichende Stütze finden.
Anmerkung:
[1] Stephen Hodkinson: Land Tenure and Inheritance in Classical Sparta, in: Classical Quarterly 36 (1986), 378-406.
Karl-Wilhelm Welwei