Gert Gröning / Joachim Wolschke-Bulmahn (Hgg.): Naturschutz und Demokratie!? (= CGL-Studies; 3), München: Martin Meidenbauer 2006, 320 S., ISBN 978-3-89975-077-5, EUR 44,00
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Wie eng waren die Verbindungen zwischen dem deutschen Naturschutz und dem Nationalsozialismus? Gab es starke Affinitäten? Gab es gar strukturelle Verbindungen oder handelt es sich im Vergleich zum massiven Engagement beispielsweise der Schwer- und Maschinenindustrie doch eher um "Pritzelkram"? [1] Unterschiedliche Antworten auf diese Fragen sind der inhaltliche Kern einer Auseinandersetzung in der bundesdeutschen Naturschutzgeschichte. Auf dem Hintergrund dieses Streites fand im November 2004 die Tagung "Naturschutz und Demokratie!?" statt, nachdem im Jahre 2002 der Fachkongress "Naturschutz und Nationalsozialismus" bereits den Verbindungen zwischen Nationalsozialismus und Naturschutz in Deutschland nachgegangen war. [2]
Der vorliegende Sammelband dokumentiert die Veranstaltung im Jahre 2004, die im Haus der Stiftung Naturschutzgeschichte auf der Vorburg von Schloss Drachenburg in Königswinter stattfand. Die Herausgeber des Tagungsbandes, Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, waren 2002 nicht als Referenten berücksichtigt worden, obwohl sie schon seit längerem wichtige Beiträge zu dem Thema geliefert hatten. [3] Das vermittelnde Grußwort des Vorsitzenden der Stiftung Naturschutzgeschichte (13-16) und der Beitrag des Herausgebers Wolschke-Bulmahn (91-114) weisen auf die Vorgeschichte beider Veranstaltungen hin.
Wolschke-Bulmahn will einer Verharmlosung der Verbindungen und Aktivitäten wichtiger Naturschützer im Dritten Reich entgegenwirken. Insbesondere die ausgebliebene Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Protagonisten des Naturschutzes in der eigenen Fachdisziplin sowie die Relativierung ihrer Bedeutung reizen ihn zum Widerspruch. In ähnliche Richtungen weisen u.a. die Beiträge von Bernd Schütze zur Erinnerungspolitik des Naturschutzes (83-90) sowie von Annette Voigt und Axel Zutz zur so genannten "guten Sache" Naturschutz im Nationalsozialismus (193-198). Darüber hinaus finden sich Untersuchungen zum Naturschutz und Nationalsozialismus in Bayern (63-72) von Richard Hölzl oder biografische Untersuchungen beispielsweise zum Leiter der Reichsstelle für Naturschutz, Hans Klose (221-249) von Helmut Behrens. Darüber hinaus wird von Johannes Fechner untersucht, wie das Naturphänomen Wald von den Nationalsozialisten als "geordnete Lebensgemeinschaft" ideologisiert wurde (115-120).
Die Frage nach den Zusammenhängen zwischen Naturschutz und Nationalsozialismus ist jedoch nur ein Themenkomplex des besprochenen Bandes, der ungefähr ein Drittel der Beiträge bestimmt. Die weitergehende Fragestellung, wie die Bedingungen in verschiedenen politischen Systemen auf den Naturschutz gewirkt haben, wird u.a. in Aufsätzen zum Naturschutz in der SBZ/DDR von 1945 bis 1961 von Hans-Werner Frohn (255-264), der Bundesrepublik der 1950er- und 1960er-Jahre von Ulrich Linse (273-278) oder zum Ehrenamt im demokratischen und autoritären Staat von Wolfgang Gerß (265-272) untersucht. Zum Einfluss des politischen Systems auf den Naturschutz ist darüber hinaus der Vergleich zwischen Naturschutz und Nachhaltigkeit im Nationalsozialismus und im Amerika des New Deal von Kiran Klaus Patel (183-192) sehr wichtig. Patel gelangt zu dem Ergebnis, dass ein demokratisches System eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für einen wirksamen Naturschutz ist. Weitere Beiträge sind geistesgeschichtlichen Hintergründen verschiedener Naturschutzkonzepte gewidmet wie etwa Paul Sarasins "anthropologischem Naturschutz" (207-214) oder Walther Schoenichens Monoklimaxtheorie (169-174).
Ein Komplex, der einen vierten Schwerpunkt des Sammelbandes bildet, ist das Thema Religion und Naturschutz, dass beispielhaft anhand des Judentums behandelt wird (37-42, 121-154 und Anhang). Damit wird ein thematisch vielseitiger und anregender Bogen gespannt, der weit über geschichtswissenschaftliche Fragen und Methoden hinausgeht. Gerade religiöse Einflüsse auf den Naturschutz stellen eine zentrale Fragestellung dar, die wichtige Beiträge zu den Ursprüngen des Naturschutzes erwarten lässt.
Die Beschränkung auf das Beispiel "Judentum" ist auf dem Hintergrund des kritischen Umgangs mit der (Eigen-)Geschichtsschreibung des Naturschutzes und der besonderen Bedeutung des Verhältnisses von Naturschutz und Nationalsozialismus nachvollziehbar. Beiträge jüdischer Autoren zu den Grundlagen des Naturschutzes in Deutschland sollen daher besonders gewürdigt werden. Dies kommt auch durch den faksimilierten Nachdruck eines Textes von Siegfried Lichtstaedter zum Verhältnis von Judentum und Naturschutz aus dem Jahr 1932 zum Ausdruck. Die isolierte Betrachtung jüdischer Naturschützer und die Fokussierung auf den Religionsaspekt in ihren Arbeiten wirken jedoch außerordentlich problematisch. Inwieweit fühlten sich diese Naturschützer überhaupt dem Judentum verpflichtet? Wird man durch die religiöse Interpretation den Autoren gerecht? Lassen sich jüdische und christliche Einflüsse auf den Naturschutz eindeutig voneinander trennen oder handelt es sich nicht um das gleiche Wertefundament?
Gerade die letzten beiden Fragen lassen sich eigentlich nur klären, wenn man zu dem Judentum weitere Religionen in die Betrachtung einbezieht. Außerdem kann es nicht schaden, Theologen und Philosophen heranzuziehen, wie die Wortmeldung von Hermann Josef Roth (37-42) zum Beitrag von Aloys P. Hüttermanns Beitrag zum Naturschutz in der jüdischen Tradition (31-36) zeigt. Da sie so zentral ist, findet sie sich auch im Tagungsband. Auf wissenschaftliche Nachweise wurde jedoch leider auch bei der Drucklegung verzichtet.
Alles in allem zeigt der Band, wie vielfältig politische Systeme, religiös motivierte Wertvorstellungen und die jeweiligen persönlichen Lebenserfahrungen auf die Landschaftsplanung und den Naturschutz in Deutschland eingewirkt haben. Insofern ist er ein beeindruckendes Plädoyer für jeden Landschaftsplaner und Naturschützer, sein eigenes Handeln zu reflektieren und sich in der tagtäglichen Praxis der politischen Brisanz seines Handelns bewusst zu sein. Auch der Umwelthistoriker findet viel Interessantes und Anregendes, jedoch geht die Themenvielfalt zu Lasten eines kohärenten Konzepts. Gerade die Beiträge zum Themenbereich Religion und Naturschutz sind nur schwer unter das Tagungsthema "Naturschutz und Demokratie?!" zu bringen, auch wenn es mit Frage- und Ausrufezeichen versehen wurde. Andererseits macht gerade die Vielfalt der Themen und Methoden deutlich, wie vieles noch umfassender zu erforschen ist. Aus jedem Themenkomplex ergeben sich Ansätze für weitere Forschungen, so dass man auf weitere Tagungen gespannt sein darf.
Anmerkungen:
[1] Joachim Radkau: Zwanzigstes Jahrhundert - ein Jahrhundert des Naturschutzes? Historische Reflexionen zu hundert Jahre Naturschutz, in: Bundesverband beruflicher Naturschutz (Hg.): Grenzenloser Naturschutz - Herausforderung für Europa, Jahrbuch für Naturschutz und Landschaftspflege 53 (2001), 296.
[2] Zur 2002er Tagung: Joachim Radkau / Frank Uekötter (Hgg.): Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt/Main 2003; dazu Rezension von Charles E. Closman, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 11 [15.11.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/11/4499.html.
[3] Joachim Wolschke-Bulmahn / Gert Gröning: Naturschutz und Ökologie im Nationalsozialismus, in: Die Alte Stadt (1983), 1-17.
Anselm Tiggemann