Rezension über:

Antoine Schnapper: Le métier de peintre au Grand Siècle (= Bibliothèque des Histoires), Paris: Éditions Gallimard 2004, 397 S., ISBN 978-2-07-077043-4, EUR 21,50
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Rezension von:
Elisabeth Hipp
Staatliche Kunstsammlungen, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Elisabeth Hipp: Rezension von: Antoine Schnapper: Le métier de peintre au Grand Siècle, Paris: Éditions Gallimard 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/8275.html


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Antoine Schnapper: Le métier de peintre au Grand Siècle

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Der 2004 verstorbene Antoine Schnapper hat mit einer Vielzahl von Publikationen wesentlich zur Erforschung des sozioökonomischen Kontextes der Kunstproduktion und -rezeption im Frankreich der Frühen Neuzeit beigetragen. Le métier de peintre au Grand Siècle, sein letztes Buch, schließt insbesondere an seine in zwei getrennten Bänden publizierte Arbeit über französische Sammlungen und Sammler im 17. Jahrhundert an. [1] Nach der dort vorgenommenen Konzentration auf die Konsumentenseite des Kunstmarktes wendet sich Schnapper in dem vorliegenden Werk nun den Produzenten, den Malern, zu. Das Buch behandelt insbesondere die institutionellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Malerberufes in Paris im 17. Jahrhundert, dem "Grand Siècle", das mit dem Tod Ludwigs XIV. (1715) endete.

Der Band liefert hierzu einen Gesamtüberblick, der über die wenigen Vorgänger-Studien [2] teilweise zeitlich hinausgeht und sie inhaltlich ergänzt, während zugleich manche frühere Sichtweise berichtigt werden kann. Schnappers Forschungen stützen sich, neben der relevanten Literatur, vor allem auf eine Vielzahl sowohl unpublizierter als auch bereits edierter Quellen, die der Autor systematisch auswertet, darunter insbesondere Nachlassinventare aus Malerhaushalten. Methodisch knüpft er unter anderem an die wirtschaftshistorisch ausgerichteten Arbeiten zu Kunstproduktion und Kunstmarkt in den Niederlanden von John Michael Montias an. [3]

Der mit "Institutions" überschriebene erste Teil des Buches widmet sich mit der Pariser Zunft der Maler und Bildhauer und der Académie royale de peinture et de sculpture jenen beiden Institutionen, die die konkreten Arbeitsbedingungen der Pariser Maler in der betrachteten Epoche bestimmten.

Schnapper zeigt hier, dass das Bild von der Pariser Zunft als einer strikten Organisation, die die Maler in ihrer Freiheit einschränkte, ein von den Gründern der Académie royale festgeschriebener Mythos ist: Zwar gab es in der Tat historisch gewachsene Zunftgesetze, zugleich aber auch eine ganze Reihe von Ausnahmeregelungen und damit Wege, diese zumindest teilweise zu umgehen ("échappatoires") - so etwa durch verschiedene verbriefte königliche Privilegien, wozu unter anderem die Ernennung zum "peintre du roi" gehörte. Solche Möglichkeiten konnten freilich zum Missbrauch verführen: So bezeichneten sich laut Schnapper auch Maler als "peintres du roi", die gar keine rechtliche Legitimation zur Führung des Titels besaßen. Dass die Zunft als Kontrollinstanz erst relativ spät, 1645/46, in vehementerer Weise Gegenmaßnahmen durchzusetzen versuchte, begründet Schnapper damit, dass viele der tatsächlichen und auch der scheinbaren Inhaber entsprechender Privilegien selbst bereits Zunftmeister waren (42, 80).

Zugleich verdeutlicht seine Darstellung, dass das Pariser Zunftsystem mitsamt vieler Ausnahmeregelungen auch nach Gründung der Académie royale fort bestand, ja dass die Institution sogar in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts expandierte, als die Anzahl der Maler im Verhältnis zur wachsenden Pariser Bevölkerung überproportional zunahm. Das historische Bild, das Schnapper in seiner detaillierten Analyse der Pariser Zunft der Maler und Bildhauer entwirft, wird noch komplexer, indem er immer wieder auf Zünfte in anderen Regionen und Städten Frankreichs und ihre teilweise von Paris abweichenden Regeln Bezug nimmt.

Die Entwicklungen, die aus der Infragestellung der königlichen Privilegien durch die Zunft 1645/46 erwuchsen und zur Gründung der Académie royale führten, werden genau untersucht, den Hauptakteuren dieses Prozesses gilt ein besonderes Augenmerk. In der Akademiegründung erkennt Schnapper vor allem das Anliegen einer selbstbewussten und ehrgeizigen Malerelite, der es eben nicht primär um eine Befreiung von der Last der Zunftregeln, sondern vielmehr um eine grundsätzliche soziale Abgrenzung vom Stand der Handwerker gegangen sei (57, 123). Die Geschichte der Académie royale nach ihrer Gründung untersucht Schnapper im Wesentlichen unter der Fragestellung, wie sich das Verhältnis zu der in der fortbestehenden Zunft organisierten Pariser Malerschaft entwickelte. Dabei werden nicht nur die zeitweiligen institutionellen Verflechtungen in den Blick genommen, sondern unter anderem auch der Einfluss die Académie royale im Hinblick auf bestimmte Neuerungen in der Zunft.

Im zweiten Teil des Buches ("Argent et niveau de vivre") stehen die ökonomischen Rahmenbedingungen im untersuchten Zeitraum im Allgemeinen, der Kunstmarkt sowie die Einkünfte der Künstler im Besonderen im Mittelpunkt. Einem Abschnitt zum wirtschaftsgeschichtlichen Hintergrund, der Aspekte der Geldgeschichte einschließt, folgt eine Betrachtung der unterschiedlichen Einkommensarten, die für die Pariser Bürger und damit auch die Maler im 17. Jahrhundert relevant waren. Dazu gehörten neben Löhnen auch Erträge aus Mieten und Rentenkauf bzw. Rentenkredit. Nach Schnapper sicherten die Künstler ihr Einkommen wesentlich über den direkten Verkauf von Kunstwerken (187).

Umso nötiger erscheinen Einsichten in die Gemäldepreise, die der Autor sodann im Hinblick auf Werke unterschiedlicher Funktionen und Gattungen sowie unter dem Gesichtspunkt, inwieweit es sich bei ihnen um Auftragsarbeiten handelte oder nicht, untersucht. Die Ergebnisse mögen teilweise wenig spektakulär erscheinen, erhalten aber durch Schnappers methodisch präzises, Erkenntnishindernisse immer wieder abwägendes Vorgehen und die vielen Belege neues Gewicht - so auch der Nachweis, dass Preise für Gemälde, die ohne Auftrag für den Angebotsmarkt entstanden, im Allgemeinen niedriger angesiedelt waren als Preise für im Auftrag entstandene Gemälde (232f., 240). Der Schwierigkeit einer angemessenen Beurteilung der Preise und anderer Einkünfte nicht nur im Verhältnis zueinander, sondern auch im Hinblick auf Geldwert und Kaufkraft begegnet Schnapper, indem er Überlegungen zu den Lebenshaltungskosten und dem Existenzminimum im betrachteten Zeitraum einbezieht.

Die materiellen Verhältnisse der Pariser Künstler werden im letzten Abschnitt des Buches gesondert analysiert, auf der Grundlage von Nachlassinventaren und anderen notariellen Dokumenten, wie zum Beispiel Eheverträgen. Hier entwickelt Schnapper die These einer Besserstellung der Gesamtheit der Pariser Künstler in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegenüber den ersten Jahrzehnten, die vor allem ein Ergebnis der günstigen Marktentwicklung gewesen sei und weniger eine direkte Folge der Etablierung der Académie royale (283). Im Zuge der Untersuchung kann Schnapper weitere Aussagen zur gesellschaftlichen Stellung der Pariser Künstler machen: Etwa dass sie in durchaus heterogenen ökonomischen Verhältnissen lebten, wobei die Akademiemitglieder zu den Spitzenverdienern zählten, aber auch, dass die meisten Maler offenbar lesen und schreiben konnten.

Am Ende des Buches findet sich ein umfangreicher Quellenanhang mit den wichtigsten untersuchten Zunft- und Akademiestatuten, ferner eine Liste mit den geschätzten Vermögen ("patrimoines") der von Schnapper unter diesem Aspekt untersuchten Maler, ein Verzeichnis sämtlicher ausgewerteter Nachlassinventare und neben dem Literaturverzeichnis ein nützlicher Index.

Schnappers bemerkenswert differenzierte und methodisch äußerst reflektierte Studie eröffnet neue Wege zum Verständnis der ökonomischen Bedingungen, unter denen Kunstwerke in Frankreich im 17. Jahrhundert entstanden. Sie bereichert das Bild der untersuchten Epoche wesentlich durch eine Vielzahl aus Primärquellen gewonnener Beobachtungen. Hervorgehoben sei hier auch, dass häufig die Namen nicht nur der bekannten, sondern ebenso bislang seltener untersuchter Künstler fallen. Grundsätzlich wird das Buch Untersuchungen zur französischen Malerei auch dann viel Material und Anregung bieten, wenn das primäre Erkenntnisinteresse anders gelagert ist. Allen zukünftigen Arbeiten zu den institutionellen Bedingungen der Tätigkeit des Malers im "Grand Siècle" und zum Pariser Kunstmarkt wird es ein unverzichtbares Referenzwerk sein.


Anmerkungen:

[1] Antoine Schnapper: Le géant, la licorne, la tulipe, Paris 1988; Ders.: Curieux du Grand Siècle: œuvres d'art, Paris 1994 (2., bearb. Auflage Paris 2005). Das vorliegende Buch wurde auch besprochen von Alain Mérot in: Revue de l'art 147 (2005), 107-108.

[2] Schnapper nennt unter anderem ein Kapitel aus der Dissertation von Pierre Marcel (La peinture française. (...) 1690-1721, Paris 1906) sowie die von ihm betreuten Dissertationen von Evangélie Toliopoulou (L'art et les artistes des Pays-Bas à Paris au XVIIe siècle, Diss. Univ. Paris-IV 1991) und Isabelle Richefort (Le métier et la condition sociale du peintre dans le Paris de la première moitié du XVIIe siècle, Diss. Univ. Paris-IV 1989, publiziert in bearbeiteter Form unter dem Titel: Peintre à Paris au XVIIe siècle, Paris 1998).

[3] Vgl. etwa Montias' erste Studie zu diesem Fragenkomplex: John Michael Montias: Artists and Artisans in Delft. A Socio-Economic Study of the Seventeenth Century, Princeton 1982. Für einen Überblick über die Geschichte und den aktuellen Diskurs der Erforschung des Kunstmarktes und des Sammelwesens der frühen Neuzeit in verschiedenen europäischen Ländern siehe z. B. Neil de Marchi / Hans J. Van Miegroet: Introduction, in: dies. (Hg.): Mapping Markets for Paintings in Europe 1450-1750, Turnhout 2006. Vgl. hierzu die Rezension von Heiner Krellig, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11, URL: http://www.sehepunkte.de/2007/11/12424.html

Elisabeth Hipp