Rolf Kurda: Michael Wagmüller. Ein Bildhauer im Dienste König Ludwigs II. München - Linderhof - Herrenchiemsee. http://edoc.ub.uni-muenchen.de/archive/00003157/, München: Universitätsbibliothek 2004
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Das Werk des Bildhauers Michael Wagmüller (1839-1881) "der Vergessenheit zu entreißen" (1), hat Rolf Kurda sich mit seiner 2004 vorgelegten Dissertation zum Ziel gesetzt. Dies sei, so der Autor in seiner Einleitung, ein Forschungsdesiderat, da Wagmüller "als einer der bedeutendsten Münchner Bildhauer unter den bayerischen Königen Maximilian II. und Ludwig II." (1) gelte. Dass er heute dennoch kaum bekannt ist, führt Kurda auf das nicht besonders umfangreiche Werk des früh verstorbenen Bildhauers zurück sowie auf "die allgemeine Missachtung, die man bis auf wenige Ausnahmen der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts jahrelang entgegenbrachte" (1). Letztere Aussage ist allerdings - beginnend mit dem immerhin schon seit 1965 von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderten Forschungsunternehmen "Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts" - zumindest in kunstwissenschaftlichen Kreisen spätestens seit den 1970er-Jahren wohl nicht mehr ganz zutreffend.
Der wachsenden Zahl von Arbeiten über mehr oder weniger bedeutende Bildhauer des 19. Jahrhunderts fügt Kurda nun eine gut aus den erhaltenen Akten recherchierte Studie hinzu, die vor allem mit ihrem bebilderten Werkverzeichnis und den abgedruckten Quellen (Verträge, Rechnungen, Briefe) die Forschungslücke um einen weiteren Künstler dieser Zeit schließt. Die Tatsache der relativen Unbekanntheit Wagmüllers, der insbesondere die Schlösser des "Märchenkönigs" mit Kunstwerken ausstattete, die sich an den Skulpturen in Versailles orientierten, sowie eine - durchaus verständliche - Begeisterung für sein Forschungsobjekt führen dazu, dass der Autor leider gelegentlich Zitate aus der spärlichen, älteren Literatur unkommentiert übernimmt. So liest man geradezu hymnische Einordnungen eines doch eher durchschnittlichen bayerischen Künstlers, die zum Beispiel von Alexander Heilmeyer aus dem Jahr 1931 stammen: "Schon früh bestätigt er sich als Porträtist, der es in seinem kurzen Leben zu einer 'Virtuosität der malerischen Darstellung' brachte' wie ähnlich nur noch Houdon oder Carpeaux." (4) [1]
Die frühesten, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordenen Skulpturen Wagmüllers waren zwei bronzene Mädchenfiguren, von denen die eine versucht einen Schmetterling zu fangen, während die andere vor einer Eidechse erschrickt (16-18). Kurda dienen diese beiden, leicht erotisch konnotierten Genrefiguren zur Illustration seiner Einordnung des Bildhauers in die - vom Autor gegenüber dem Neubarock offenbar favorisierte - klassizistische Richtung: "Bemerkenswert scheint mir auf jeden Fall, dass der Bildhauer, dem ständig von klassizistischer Seite ein Zopfstil zum Vorwurf gemacht wurde, mit diesen beiden anmutigen Statuetten der, allerdings hellenistischen, Antike sehr nahe steht." (18)
Für das Verständnis der öffentlichen Auftragskunst jener Zeit ist die von Kurda wiedergegebene Geschichte des 1879 bis 1881 von Wagmüller geschaffenen Ludwigbrunnens in Ingolstadt (27-35) sehr aufschlussreich. Während man für die Neugestaltung des Ingolstädter Rathausplatzes zunächst an eine Erneuerung des barocken Brunnens mit der Figur des Stadtpatrons Mauritius gedacht hatte, führte die Aussicht auf Fördergelder aus dem Budget zur "Pflege und Förderung der Kunst im Königreich Bayern" schließlich zu einer grundlegenden Neukonzeption, da "das staatliche Budget zur Förderung junger talentvoller Künstler dienen sollte und nicht zur fabrikmäßigen Herstellung einer Kopie" (28). Dieser Art von historischen Vorbildern entbunden, wählte man mit Wagmüller nicht nur neue stilistische Formen, sondern gleich auch einen ganz neuen Helden als Brunnenfigur. Anstelle des Heiligen fiel die Entscheidung nun mit Kaiser Ludwig dem Bayern (1281/82-1347) auf eine historische Figur, die - wohl nicht ganz ohne Einwirkung des in der Festungsstadt ansässigen Militärs - in kriegerischer Pose mit gezücktem Schwert dargestellt wurde.
Der Hauptteil von Kurdas Dissertation ist den Werken gewidmet, die Wagmüller für die Schlösser Linderhof und Herrenchiemsee anfertigte. Die glühende Verehrung des königlichen Bauherrn für Ludwig XIV. war die Grundlage für die dortigen Gartenskulpturenprogramme, an denen Wagmüller bedeutenden Anteil hatte. Laut Kurda sind jedoch vor allem "für die wichtigsten Brunnenplastiken (...) allenfalls Vorbilder auszumachen, sie sind keine Kopien" (48). Dennoch ist offensichtlich, dass Ludwig II. aus dem Versailler Programm bestellte "wie aus einem Katalog". [2] So wurde zum Beispiel am 17. Januar 1873 bekannt gegeben: "Von den Statuen aus den Versailler Gärten haben Majestät die vier Jahreszeiten und die vier Welttheile gewählt." [3]
Einen Großteil der Skulpturen im Garten von Linderhof schuf Johann Hautmann (1820-1903), dessen Werk Kurda ebenfalls in seine Betrachtungen einbezieht. Dies ist auch besonders interessant, da er nachweisen kann, dass dieser Künstler die barocken Vorbilder aus Versailles stilistisch seiner eigenen Zeit annäherte: "Die (...) weiblichen Versailler Figuren sind in Anlehnung an den Stil der griechischen Antike gestaltet, während Hautmanns Werke vom naturalistischen Stil des späten 19. Jahrhunderts geprägt sind. Auf der einen Seite sieht man idealisierte Venusgestalten und auf der anderen sehr lebendig wirkende Frauen mit betonten weiblichen Formen und porträthaft wirkenden Gesichtern." (80)
Während Hautmann zumindest stilistisch relativ frei mit den Versailler Vorbildern umgehen konnte, lässt sich für Wagmüllers Arbeiten - laut Kurda - sogar ein großer Anteil eigener Schöpfung nachweisen: "Die Zinkgußfiguren zeigen, daß sich Ludwig II. bei der plastischen Ausschmückung des Linderhofer Schloßgartens zuerst streng an Versailles orientierte, dann aber, mit der Floragruppe und auch dem zugehörigen Bassin, die enge Versaillesbindung löste." (110)
Vehement widerspricht Kurda der Interpretation von Monika Bachmayer [4], die Schloss Linderhof vor allem als individuelle Selbstdarstellung der Macht des Bayernkönigs deutet. Für ihn war Ludwig II. ein "durch und durch friedliebender Monarch" (117), weshalb zum Beispiel die Darstellungen der Viktoria und des Herkules seiner Interpretation nach allein der Idee des Ruhmestempels für Ludwig XIV. angehören. Auch eine von Ludwig II. gewünschte symbolische Übertragung des "Sonnenkönigtums" vom französischen Vorbild auf den bayerischen König hält Kurda für unwahrscheinlich (118). Eine mögliche - wenn auch natürlich (dem "Märchenkönig" entsprechend) etwas bizarre - Form der Herrschaftslegitimation, die vom bewunderten Vorbild direkt zur eigenen Monarchie führte, scheint der Autor nicht in Erwägung zu ziehen, obgleich sie sich aus seiner etwas widersprüchlichen Deutung, die auch Herrenchiemsee betrifft, ableiten ließe: "Die Wiederholung des Linderhofer Programms im Treppenhaus des allein dem französischen König geweihten Schlosses Herrenchiemsee könnte darauf hindeuten, daß sich auch alle Fassadenfiguren von Schloß Linderhof allein auf Ludwig XIV. beziehen. Doch das bayerische Wappen im Linderhofer Giebel, das man in Herrenchiemsee vergebens sucht, deutet unmißverständlich darauf hin, daß der bayerische König in diesem Schlößchen, nicht wie in Herrenchiemsee nur als Gast betrachtet werden möchte, sondern daß er hier, im Ruhmestempel Ludwigs XIV., seinen Wohnsitz hat." (129-130)
Insbesondere das Programm der Fassadenfiguren von Schloss Herrenchiemsee widerspricht der von Kurda behaupteten Zurückhaltung Ludwigs II., was die Verherrlichung seiner eigenen Person zugunsten der Verehrung Ludwigs XIV. angeht. Während die architektonischen Formen sich eng an das französische Vorbild anlehnen, sind beim Fassadenschmuck - wie vom Autor beschrieben - anstelle von Apoll und Diana mit den Monatsdarstellungen in Herrenchiemsee die vom Monogramm Ludwigs II. bekrönten Herrschertugenden dargestellt. Diese werden - und das ist besonders interessant - von Allegorien der Gewerbe und Berufsgruppen wie zum Beispiel "Forstwirtschaft", "Bergbau" und "Schifffahrt" (137-143) flankiert. So wird der mythologische Kosmos des französischen Vorbildes gewissermaßen in ein bürgerliches Programm umgeändert, das besser in die bayerische Gegenwart des Herrschers passt. Dies wird von Kurda leider nicht näher kommentiert. Er vermutet eher, dass es zu der Neuschöpfung kam, da "das Fassadenprogramm von Versailles (...) vom bayerischen König und seinem Baumeister Dollmann wohl nicht verstanden" (149) wurde.
Abgeschlossen wird die Dissertation von einer ausführlichen Beschreibung der Planungs- und Ausführungsgeschichte von Wagmüllers Denkmal für Justus Liebig auf dem Münchener Maximiliansplatz (151ff.). Hier setzte sich der heimische Bildhauer im Wettbewerb gegen namhafte Konkurrenz aus Berlin, wie Reinhold Begas, Gustav Eberlein und Emil Hundrieser, durch. Er konnte das Monument aber nicht mehr selbst vollenden, da er bereits im Alter von 42 Jahren starb.
Die Dissertation von Rolf Kurda bietet trotz der erwähnten Kritikpunkte eine ausführliche Darstellung dieses kurzen Künstlerlebens und dank des sorgfältigen Quellenstudiums auch einen guten Einblick in das Verhältnis zwischen Künstler und Auftraggeber in jener Zeit.
Anmerkungen:
[1] Alexander Heilmeyer: Die Plastik des neunzehnten Jahrhunderts in München, München 1931.
[2] Norbert Knopp: Gestalt und Sinn der Schlösser König Ludwigs II., in: Argo. Festschrift Kurt Badt, Köln 1970, 340-353, zitiert nach Kurda, 48.
[3] Korrespondenz Ludwigs II. mit Hofsekretär Düfflipp, aufbewahrt im Archiv des König Ludwig II.-Museums (SV), zitiert nach Kurda, 58.
[4] Monika Bachmayer: Schloß Linderhof. Architektur, Interieur und Ambiente einer "Königlichen Villa", Diss. München 1977.
Iris Benner