Rezension über:

Linda C. Hults: The Witch as Muse. Art, Gender, and Power in Early Modern Europe, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2005, xiv + 345 S., ISBN 978-0-8122-3869-3, GBP 32,50
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Rezension von:
Vera Mamerow
Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Vera Mamerow: Rezension von: Linda C. Hults: The Witch as Muse. Art, Gender, and Power in Early Modern Europe, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/9876.html


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Linda C. Hults: The Witch as Muse

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Die amerikanische Kunsthistorikerin Linda Hults, die bisher mit Veröffentlichungen zur europäischen Druckgrafik hervorgetreten ist, untersucht in ihrer jüngsten Arbeit Hexenbilder der Frühen Neuzeit und stellt diese in einen breiten historischen und kunsttheoretischen Kontext. Dabei ist ihre leitende These, dass die Hexe ein beliebtes Sujet war, das Malern und Kupferstechern die Möglichkeit bot, mit ingeniösen Bilderfindungen bei einem gelehrten Publikum zu reüssieren. Mit einem gender-orientierten Blick möchte die Autorin zeigen, dass die misogyne Grundhaltung zeitgenössischer Diskurse über den Hexenglauben mit kunsttheoretischen Fragestellungen verquickt und das Bild der Hexe so zum Ausdruck künstlerischer Inventio gemacht wurde. Demnach wussten Künstler seit dem 15. Jahrhundert das Potenzial des Hexenthemas zu schätzen. Die Hexenmotivik "became an index of the inventive capacity, intellect, and thus the heightened status of the male artist in the early modern period [...]" (16). Die von Hults exemplarisch vorgestellten Maler und Grafiker - Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien, Frans Francken II, Jacques de Gheyn, Salvator Rosa und Francisco de Goya - blieben alle, unabhängig von ihrer Herkunft und persönlichen Haltung zum Hexenglauben, der damals vorherrschenden Vorstellung von der physischen wie psychischen Minderwertigkeit der Frau und ihrer daraus resultierenden Anfälligkeit für Zauberei verhaftet. Mit zuweilen grotesken Bilderfindungen trugen sie zum Hexereidiskurs bei und bereiteten nicht selten den Boden für den Verfolgungseifer ihrer Zeitgenossen.

Mehrere Jahre hat Hults an der vorliegenden Studie gearbeitet. Dies wird vor allem an ihrem detaillierten Bericht zur Hexenforschung deutlich, der zeigt, wie komplex das Phänomen des europäischen Hexenglaubens ist und wie vielfältig die methodischen Annäherungen an dieses Thema. Nicht ohne Grund nennt Gerd Schwerhoff den derzeitigen Forschungsstand einen "Hexen-Dschungel". [1]

Hults positioniert sich mit ihrer Untersuchung innerhalb einer feministischen Hexenforschung, die schon lange nicht mehr von der radikalen Annahme ausgeht, Hexenverfolgungen seien "Frauenverfolgungen" gewesen. Die Feststellung der britischen Historikerin Christina Larner, die Hexenjagden seien als "geschlechtsbezogen", nicht aber als "geschlechtsspezifisch" zu verstehen, dass sie also nicht als "Gynozid" interpretiert werden können, ist heute allgemein anerkannt. [2] Viele der zahlreichen historischen Untersuchungen zum Thema gehen der Frage nach, warum 75-80 Prozent der Opfer des Hexenwahns vom 15. bis 18. Jahrhundert Frauen waren. Dass dies nicht einfach zu beantworten ist und hier weit mehr Faktoren eine Rolle spielten, als nur die immer wieder bemühte christliche Tradition der Misogynie, auf welcher noch der "Malleus Maleficarum" Heinrich Kramers fußte, zeigen u. a. die Studien von Lyndal Roper und Heide Wunder. Hults referiert dies in ihrem Forschungsüberblick ausführlich, dennoch stehen für sie die über Jahrhunderte tradierten misogynen Topoi der Theologen und Gelehrten im Mittelpunkt. Schließlich waren alle von ihr behandelten Künstler gebildete Männer, die ihre Kunst an einen ebensolchen männlichen Rezipientenkreis adressierten.

Im zweiten Kapitel ihrer Untersuchung legt die Autorin dar, wie Hexen-Bilder im zeitgenössischen Kunstdiskurs verortet wurden. Sie boten besonders den Künstlern des frühen 16. Jahrhunderts die Möglichkeit, die Grenzen des Dekorums und somit ihre künstlerische Freiheit auszureizen und mit neuen Bilderfindungen ihre Inspiration und Fantasie unter Beweis zu stellen. Besonders die Werke von Hieronymus Bosch, dessen groteske Figuren Carel van Manders ästhetischem Kriterium des "uyt den gheest" entsprachen, ebneten den nordalpinen Hexendarstellungen den Weg. Nach dem Konzil von Trient wuchs jedoch das Misstrauen gegenüber der künstlerischen Fantasie, und ein akademisches Kunstverständnis schränkte allzu freie Bildschöpfungen ein, welche dann im Capriccio des 17. und 18. Jahrhunderts fortlebten.

Die fünf folgenden Kapitel sind Fallstudien zu den oben erwähnten Künstlern. Hults beginnt mit den Hexendarstellungen Albrecht Dürers, der in seinen, von der Forschung unterschiedlich gedeuteten, Kupferstichen Die vier Hexen und Hexe auf einem Ziegenbock reitend eine vom nackten weiblichen Körper ausgehende Bedrohung der patriarchalen Autorität visualisiert. Diese Gefahr einer verkehrten Welt wird in den Werken seines Schülers Baldung Grien noch radikaler vor Augen geführt. Die sinnlichen Verlockungen dieser erotischen, ja zuweilen pornografischen Bilder wurden offenbar als Herausforderung männlicher Betrachter verstanden, vor ihnen einen kühlen Kopf zu bewahren.

Auch wenn die großen Hexenverfolgungen erst ein Jahrhundert später einsetzten, waren die Werke dieser beiden Künstler für die Ausformulierung einer Bildsprache der Hexerei wegweisend. Ihre Interpretation im Kontext der Misogynie des 16. Jahrhunderts erweitert den bisherigen Forschungsstand zwar nur punktuell. Doch macht Hults auch darauf aufmerksam, dass Baldung Grien das Hexenthema nutzte, um sich ironisch von der idealen, regelgerechten Kunst seines großen Lehrers zu distanzieren. [3]

Zeitgenossen der Hexenjagden waren die niederländischen Künstler Frans Francken II und Jacques de Gheyn. Ihre Bilder gewannen im Zuge eines gesellschaftlichen Mentalitätswandels und einer fortgeschrittenen Theorie der Hexerei - die Traktate Jean Bodins (1580) und Pierre de Lancres (1612) sind hier zu nennen - eine zunehmend politische Aussagekraft. Hults kann zeigen, wie unterschiedlich die Bilder Franckens und de Gheyns motiviert waren. So stellte Francken so genannte Hexereidelikte in geradezu didaktischen Genredarstellungen dar, die mit der streng religiösen Haltung der habsburgischen Herrschaft in den Südniederlanden korrespondierten und einen entsprechenden Sammlerkreis ansprachen. Jacques de Gheyn, aufgewachsen in den reformierten nördlichen Niederlanden, war dagegen dem pragmatisch wissenschaftlichen Geist seines Umfeldes verpflichtet und widmete sich in seinen Werken unter anderem der Frage nach einer angemessenen Beweisführung in Hexenprozessen.

Im sechsten Kapitel und siebten Kapitel verlässt Hults den nordalpinen Bereich und zeigt an Beispielen aus dem Œuvre Salvator Rosas beziehungsweise Francisco de Goyas, wie das Hexenthema zum Gegenstand satirischer Capricci wurde. Goyas Osuna-Gemälde und die Caprichos machen deutlich, dass der Hexenglaube nun im Lichte der Aufklärung als Aberglaube entlarvt wurde und hier zudem die spanische Inquisition lächerlich gemacht werden sollte.

Ein zusammenfassendes Resümee nach diesen Fallstudien bleibt die Autorin schuldig. Allerdings bekräftigt sie jeweils am Ende der einzelnen Kapitel noch einmal ihre zentrale These. Dennoch zeigt sich an dem von ihr behandelten Material aus drei Jahrhunderten eher die Unterschiedlichkeit der einzelnen Werke und der jeweiligen Diskurshorizonte als die Tragfähigkeit ihrer zentralen These von der Hexendarstellung als einem Prüfstein künstlerischen Ingeniums. Vielfach bleiben die Erläuterungen der Autorin zur Einordnung des Hexenmotivs in den historischen Kontext zu allgemein. Aus kunsthistorischer Sicht ist anzumerken, dass die Bildanalysen, besonders bei Francken, etwas unscharf ausfallen und Forschungsstände zuweilen langatmig referiert werden. Alles in Allem erfüllt die Studie aber ihren Zweck einer interdisziplinär angelegten Überblicksdarstellung zur Hexenthematik in der Kunst der Frühen Neuzeit.


Anmerkungen:

[1] Zit. nach Monika Neugebauer-Wölk: Wege aus dem Dschungel, siehe http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/art/Wege_aus_dem_DS (zuletzt abgerufen: 24.09.07)

[2] Eine Einführung in die Thematik bei Uschi Bender-Wittmann: Gender in der Hexenforschung. Ansätze und Perspektiven, in: Geschlecht, Magie und Hexenverfolgung, hrsg. von Ingrid Ahrendt-Schulte u. a., Bielefeld 2002, 13-39. Einen Forschungsüberblick gibt Wolfgang Behringer, in: Wider alle Hexerei und Teufelswerk. Die europäische Hexenverfolgung und ihre Auswirkungen auf Süddeutschland, hrsg. von Sönke Lorenz/Jürgen Michael Schmidt, Ostfildern 2004, 485-668.

[3] Auf diesen Punkt machte auch jüngst Berthold Hinz aufmerksam, in: Hexenlust und Sündenfall. Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien, hrsg. von Bodo Brinkmann, Ausst. Kat. Städel-Museum, Frankfurt a. M., 24. Februar - 13. Mai 2007, 203 ff.

Vera Mamerow