Margrit Schulte-Beerbühl: Deutsche Kaufleute in London. Welthandel und Einbürgerung (1660-1818) (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London; Bd. 61), München: Oldenbourg 2006, 512 S., ISBN 978-3-486-58038-9, EUR 54,80
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Deutsche Kaufleute in England werden meist mit dem hansischen Stalhof in London in Verbindung gebracht. Margit Schulte Beerbühl hat hingegen ihr Augenmerk auf jene Deutschen gerichtet, die im 17. und 18. Jahrhundert Handel in der englischen Metropole trieben. Ihre Studie, die sich insbesondere mit Strategien bezüglich Staatsangehörigkeit und Einbürgerung beschäftigt, ist in drei Hauptkapitel unterteilt.
Im ersten Teil erläutert Schulte Beerbühl die Rolle von Einwanderung und Einbürgerung in der englischen Wirtschaftsförderungspolitik des 17. und 18. Jahrhunderts. Zudem werden Grundlagen des frühneuzeitlichen englischen Einbürgerungsrechts und der politischen Debatte um Einbürgerung und Staatsbürgerschaft erörtert. Vor allem die Darstellung des letzten Punktes liest sich äußerst spannend und lässt durchaus Parallelen zur aktuellen Einwanderungsdebatte erkennen. In einer einleitenden Erfassung der im Untersuchungszeitraum nach England Eingewanderten gemäß geographischer Herkunft und beruflicher Struktur wird nicht nur auf die zahlenmäßige Bedeutung deutscher Kaufleute hingewiesen. Die Autorin beschreibt hier auch deren unterschiedliche Strategien und Probleme bei der Einwanderung und Einbürgerung im Königreich.
Im zweiten Kapitel erläutert Schulte Beerbühl die Bedingungen, unter denen die deutschstämmigen Kaufleute in England agierten. Nach der Schließung des hansischen Stalhofs im Jahre 1598 war in den Folgejahren zunächst ein deutlicher Rückgang in der Aktivität deutscher Kaufleute in England erkennbar. Viele der deutschen Kaufleute in London standen in engem Kontakt zur niederländischen Kaufleutegemeinde, der im 17. Jahrhundert dominierenden Ausländergruppe in der englischen Hauptstadt. Ein kleiner Kern deutscher Kaufleute in London hielt das aus der Hansezeit resultierende Wissen und das wirtschaftliche und soziale Netz aufrecht. Einigen dieser deutschen Kaufleute gelang sogar der Aufstieg in die Reihen jener wenigen Großkaufleute, die einen Großteil des Im- und Exports in der englischen Hauptstadt kontrollierten. Für das Ende des 17. und den Anfang des 18. Jahrhundert kann Schulte Beerbühl einen deutlichen Anstieg der Zahl der Naturalisation deutscher Kaufleute in London nachweisen.
Ab dem 18. Jahrhundert überflügelte England Spanien als Hauptlieferant für Kolonialwaren nach Deutschland. Der Handel wurde zu einem großen Teil über Hamburg abgewickelt, wie aus den Londoner Hafenbüchern von 1683/1684 und 1695/1696, die eine Hauptquelle der Autorin für diesen Zeitraum darstellen, hervorgeht.
Die Verfasserin verdeutlicht im Zusammenhang mit der vermehrten Naturalisierung deutschstämmiger Kaufleute in England, dass Auswanderung häufig auch Teil der familiären Handelspolitik war. London als Drehscheibe des Kolonialhandels kam hierbei eine besondere Bedeutung zu. Unterschiedliche Handels- und Ausbildungstraditionen im deutschen und englischen Raum ließen es als sinnvoll erscheinen, Kontakte auch ins Ausland vor allem über Verwandte und Landsleute aufzubauen. "Vertrauen" kam dabei eine Schlüsselfunktion zu. Für viele deutsche Familien konnte eine lange Tradition im Englandhandel nachgewiesen werden, was ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung langjähriger Erfahrungen, Kontakte und Informationsansammlung ist.
Im letzten Teil dieses Kapitels zeigt Schulte Beerbühl anschaulich die Beteiligung der deutschstämmigen Kaufleute am (wirtschafts-)politischen Geschehen in London auf. Sie nahmen am Kampf gegen das Monopol der Merchant Adventurers und anderer alter Handelskompanien teil. Einige deutschstämmige Kaufleute gelangten sogar in Positionen, in denen sie direkten Einfluss auf die Politik der englischen Regierung nehmen konnten. Bei Beteiligungen an den im 17. Jahrhundert neu entstandenen joint-stock companies verhielten sich die deutschen Kaufleute zunächst eher zurückhaltend. Schulte Beerbühl weist auf die mögliche dreifache Funktion einer solchen Beteiligung als kurzfristige Geldparkmöglichkeit, als Einnahmequelle aus dem Aktienhandel und als langfristige Spareinlage hin, und macht anhand zahlreicher Beispiele auch deutlich, dass Vermögenstransfers zwischen unterschiedlichen Banken und companies und variierende Einlagenbeträge eher die Regel als die Ausnahme darstellten.
Der dritte und umfangreichste Teil beschäftigt sich mit den deutschen Handelshäusern in London im 18. Jahrhundert. Der Wandel in der Struktur des englischen Außenhandels mit seiner zunehmenden Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus dem Ostseeraum und dem atlantischen Handel als neuem dynamischem Element zwang viele Kaufleute zur Umstrukturierung ihrer Handelsaktivitäten. Mit Hilfe der Londoner Adressbücher gelingt es Schulte Beerbühl, zahlreiche deutsche Handelshäuser in ihrem wirtschaftlichen Geschick in London zu verfolgen. Interessant ist die Darstellung des typischen Karrierewegs eines deutschen Kaufmanns in London, der sich kaum von dem eines Hansekaufmanns im 15. Jahrhundert unterscheidet.
Die Handelshäuser mit ihren unterschiedlichen internationalen Zweigen waren nicht hierarchisch organisiert. Alle Handelshäuser auswärtiger Familienmitglieder waren organisatorisch selbstständige Einheiten, weshalb Schulte Beerbühl zu Recht auf das Netzwerkkonzept als Erfolg versprechendes Modell zu ihrer Beschreibung zugreift. Heirat und Patenschaft werden als besonders effektive Methoden zur Festigung wirtschaftlicher Bande hervorgehoben. Kriege, Aufstände und eine hohe Mortalitätsrate stellten die größten Probleme für die Aufrechterhaltung eines Handelshauses dar.
Ein weiterer Abschnitt ist dem an Bedeutung rasch gewinnenden Russlandhandel und dem Levantehandel, der traditionell stark, im 18. Jahrhundert aber rückläufig war, gewidmet. Deutschstämmige Kaufleute waren vor allem in der Russia Company aktiv. Sie stellten den mit Abstand größten Teil der ausländischen Mitglieder. Viele von ihnen gingen kurz nach der Einbürgerung und Aufnahme in die Company nach St. Petersburg. Bei einer genaueren Betrachtung der Identitätsentwicklung dieser Gruppe kommt Schulte Beerbühl zu dem Schluss, dass sich die deutschstämmigen Kaufleute nicht in die englische Kaufmannsgemeinschaft in der russischen Hauptstadt integrierten. Die Annahme der Staatsbürgerschaft war eine rein geschäftliche Angelegenheit.
Mit zahlreichen biographischen Beispielen belegt die Autorin ihre Erkenntnisse. Diese Vorgehensweise behält sie auch im abschließenden Abschnitt bei, in dem sie auf die konjunkturellen Auswirkungen auf das Wohl und Wehe deutscher Handelshäuser in London eingeht. Aufstiege und Bankrotts werden anhand von Versicherungspolicen und Konkursakten rekonstruiert und es wird eine statistische Auswertung des englischen Atlantikhandels und der deutschen Beteiligung an diesem vorgenommen. Ein Anhang mit einer chronologisch geordneten Liste der Naturalisationen von aus dem deutschen Raum stammenden Einwanderern rundet das Buch ab.
Der Vorteil und die Notwendigkeit der Konzentration auf wirtschaftliche Aspekte stellt zugleich auch die Schwachstelle des Buches dar. Die Kaufleute erscheinen als pure Homines Oeconomici, deren soziales Agieren in dieser methodischen Engführung zu geringe Beachtung finden muss. Trotz der Ankündigung in der Einleitung war es Schulte Beerbühl aus arbeitsökonomischen Gründen nicht möglich, eine wirklich tief greifende Netzwerkanalyse zu den deutschstämmigen Kaufleuten in London vorzunehmen. Dies soll jedoch keinesfalls als Kritik, eher als Anregung zu weiteren Forschungen zu verstehen sein, die mit Hilfe der Arbeit von Schulte Beerbühl und dem reichhaltigen von ihr präsentierten Quellenmaterial vorangetrieben werden kann.
Die in diesem Buch vorgelegten Ergebnisse sind Resultat einer beachtlichen Forschungsarbeit, die neue Fragen an die Quellen stellt. Sie stellt einen bemerkenswerten Beitrag zur Erforschung der Strategien deutscher Kaufleute in London im 17. und 18. Jahrhundert dar.
Mike Burkhardt