Hubertus Knabe: Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur, 3. Aufl., Berlin / München: Propyläen 2007, 384 S., ISBN 978-3-549-07302-5, EUR 22,00
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Hubertus Knabe zählt in Sachen DDR-Aufarbeitung zu den emsigsten Publizisten im Lande. Neben fast täglichen Medienbeiträgen legt er alle zwei Jahre ein neues Buch vor, und alle erweisen sich als Bestseller. In seinem neuesten Band widmet er sich der Aufarbeitung der SED-Diktatur, und dabei kommt er zu einem vernichtenden Befund: Während die Opfer von politischer Verfolgung von Politik und Gesellschaft allein gelassen würden, seien die einstigen Täter heute auf dem besten Wege, ihre Version der DDR-Geschichte in der öffentlichen Wahrnehmung durchzusetzen. Die ehemaligen SED-Kader würden spüren, "dass ihre Untaten immer weniger präsent" seien, weil Historiker und Journalisten "lieber vom Alltag im Sozialismus als von den Unterdrückungsapparaten sprechen" wollten. "Täter, Mitläufer und wohlwollende Betrachter" würden an Zustimmung gewinnen, während sich "Opfer und Kritiker in der Defensive" befänden (8).
Die Ostdeutschen hätten ein "Gefühl dauerhaften Gekränkt-Seins" und "Selbsthasses" (16) entwickelt, um die Unsicherheiten des westlichen Systems zu kompensieren, statt sich auf ihre aus dem Sturz der SED resultierende moralische Überlegenheit gegenüber den Westdeutschen zu besinnen. Deshalb würden sie sich jetzt mit der DDR identifizieren und damit der Apologetik der alten Unterdrücker Tür und Tor öffnen. Auf dieser Welle würden die PDS und ihre Umfeldorganisationen reiten und sich dabei "hemmungslos der Vorzüge der Demokratie" (7) bedienen: "Längst hat sich im Osten Deutschlands ein hartgesottener Geschichtsrevisionismus breitgemacht, der das demokratische System der Bundesrepublik lieber heute als morgen scheitern sehen möchte." (331)
Im Zentrum der Argumentation von Knabe stehen der laue Umgang mit den Tätern einerseits und die Ignoranz gegenüber den Opfern der SED-Diktatur andererseits. Die Täter seien "ohne Strafe" (79) geblieben, weil sich die rechtsstaatliche Justiz als zahnlos, unfähig und unwillig erwiesen habe. Die Unterzeichner des Einigungsvertrages hätten es versäumt, die SED als verbrecherische Organisation zu verbieten, Gerichte hätten "Strafvereitelung" betrieben und nur einen einzigen MfS-Mitarbeiter ins Gefängnis gebracht.
Noch bitterer sei die ideelle und materielle Benachteiligung von Opfern kommunistischer Herrschaft. Im Vergleich zu den NS-Opfern seien sie zweitklassig behandelt und bis heute, trotz zögerlicher Nachbesserungen, nicht angemessen entschädigt worden. Knabe schlägt den Bogen von fehlenden Straßenbenennungen nach Helden des antikommunistischen Widerstands über den Kampf um die Anerkennung von Haftschäden bis hin zur ausgebliebenen Rückgabe von enteignetem Vermögen aus der sowjetischen Besatzungszeit.
Sein abschließendes Kapitel zählt einige Organisationen wie das MfS-Insiderkomitee und die Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung (GRH) auf, in denen die Altgenossen ihren Lobbyismus betreiben. Schließlich hat Knabe auch Rezepte parat, mit denen er all jene "aufrütteln" will, die sich um die "politische Kultur in Deutschland" sorgen. Dabei setzt er vornehmlich auf Verbote: die SED und ihre Nachfolgerinnen stehen hier auf der Liste, aber auch die einschlägigen Umfeldorganisationen wie die Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR (ISOR), die Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung e.V. (GRH) oder das Insiderkomitee usw. Die Leugnung des Massenmordes im GULAG möchte er analog zur Auschwitzlüge ebenso unter Strafe stellen wie das Tragen von Hammer und Sichel oder Roten Sternen in der Öffentlichkeit: "Während man in Deutschland mit Hingabe über Maßnahmen gegen Gammelfleisch, Passivrauchen oder Gewaltvideos debattiert, hat bislang niemand ernsthaft die Frage aufgeworfen, wie man die Opfer des Staatssicherheitsdienstes - und die Gesellschaft - vor dem Geschichtsrevisionismus der Stasi-Kader schützen kann." (333)
So weit, so dezidiert die Botschaft. Wer den Band aufschlägt, sollte keine umfassende Analyse der aufarbeitungspolitischen Landschaft oder des Milieus der ehemaligen Geheimpolizisten und Parteifunktionäre erwarten. Fraglos sind hier eine Reihe von Schwächen benannt, die die Bilanz der Stasi-Aufarbeitung eintrüben: dies gilt für viele extrem milde Gerichtsurteile, die durchaus Erinnerungen an die Selbstaufarbeitung der westdeutschen Justiz nach 1945 wecken, und insbesondere für die beschämende Unfähigkeit der offenen Gesellschaft, eine angemessene Achtung für politisch Verfolgte zu entwickeln, die oft sperrig und unbequem oder einfach nur verzweifelt sind. Dieses Engagement verdient jede Unterstützung, aber ob Knabe ihm wirklich einen Dienst erweist, steht auf einem anderen Blatt. Dazu ist seine Analyse zu einseitig, zu oberflächlich und damit zu angreifbar.
Schon seine einleitende Gesellschaftsdiagnose gleicht einer Karikatur; er erweckt den Eindruck, als wolle er eine soziologische Analyse anhand des Verfassungsschutzberichts vornehmen. Über weite Strecken verwertet er Zitate aus der Tagespresse, allerdings sorgfältig selektiert nach Eignung für seine Argumentation. Zum Beleg für seine These, dass die revisionistische Propaganda der Altkader auf wachsende Akzeptanz in der ostdeutschen Bevölkerung stoße, führt er eine Meldung des "Hamburger Abendblattes" (!) an: 31 Prozent der Ostdeutschen würden die DDR nicht als Diktatur sehen und 74 Prozent hielten den Sozialismus noch immer für eine gute Sache (14). In der zitierten Meldung findet sich allerdings die erste Zahl überhaupt nicht. Hätte Knabe zudem den "Datenreport 2006" des Statistischen Bundesamtes und des Wissenschaftszentrums Berlin zur Hand genommen, über den der Artikel berichtet, so hätte er erkannt, dass die Charakterisierung des Sozialismus als gute Sache gerade nicht auf dessen DDR-Variante zielte. Als Beleg für DDR-Nostalgie oder gar Apologie für dessen Unterdrückungsapparat taugen diese Daten nicht. Knabe nimmt die ostdeutsche Gesellschaft allein aus der Bunkermentalität des von ihm geleiteten ehemaligen MfS-Untersuchungsgefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen wahr, das sich - so sagt er - wie "ein Pfahl im Fleische" (291) des größten MfS-Wohngebietes der ehemaligen DDR befindet. Aus dem Kleinkrieg mit den Revisionisten dort bezieht Knabe seine Energie, aber leider auch seine Weltsicht. Doch Hohenschönhausen ist nicht gleich Ostdeutschland.
Auch Ergebnisse der Aufarbeitungspolitik wie die Sicherung und Öffnung der Stasi-Akten, die relativ weitgehende Entfernung von MfS-Mitarbeitern aus dem öffentlichen Dienst oder die bis heute gekürzten Stasi-Renten interessieren ihn nicht. Stattdessen kommt er, ungeachtet aller Enquetekommissionen, Gedenkstättenkonzepte und oscargekrönten Spielfilme zu dem in seiner Verblendung bemerkenswerten Urteil, dass "im für Deutschland besonders wichtigen Geschichtsdiskurs über Totalitarismus und Gewaltherrschaft [...] die DDR ebenfalls kaum eine Rolle" spiele (27).
Zu den unangenehmen Begleiterscheinungen des Bandes gehört seine pseudo-aktuelle Trendrhetorik: "Von der Öffentlichkeit unbemerkt, haben sich die entmachteten Funktionäre des SED-Regimes wieder aufgerappelt und reorganisiert" (328), heißt es noch einmal zum Schluss, und: "Politik und Medien haben das Treiben der Funktionäre lange Zeit ignoriert" (331). Tatsächlich gibt es alle zum Beweis aufgeführten Interessenverbände der entmachteten SED-Funktionärskaste seit mindestens fünfzehn Jahren, und die meisten Aktivisten dieser Trupps gehen auf die Achtzig zu, ohne dass eine neue Generation von Stasi-Apologeten in Sicht wäre. Angesichts der Tatsache, dass die Gedenkstätte Hohenschönhausen von einem Besucherrekord zum nächsten eilt und sich dort Spitzenpolitiker die Klinke in die Hand geben, kann man über die Pose des Textes nur den Kopf schütteln. Sie ist nur aus einem Drang zur moralischen Eitelkeit zu erklären. Der Preis allerdings ist hoch. Die Leistungen der demokratischen Aufarbeitung wegzureden und sich dabei als einsamer Prophet zu stilisieren, birgt das Risiko, der politischen Kultur gerade jenen Knacks zu versetzen, den man zu bekämpfen sich zugute hält.
Jens Gieseke