Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts (= Presse und Geschichte - Neue Beiträge; Bd. 17), Bremen: edition lumière 2007, 534 S., ISBN 978-3-934686-28-1, EUR 39,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Michael Kempe / Thomas Maissen: Die Collegia der Insulaner, Vertraulichen und Wohlgesinnten in Zürich 1679 - 1709. Die ersten deutschsprachigen Aufklärungsgesellschaften zwischen Naturwissenschaften, Bibelkritik, Geschichte und Politik. Ausstellung Zentralbibliothek Zürich, Januar - Februar 2002, Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2002
Sebastian Kühn: Wissen, Arbeit, Freundschaft. Ökonomien und soziale Beziehungen an den Akademien in London, Paris und Berlin um 1700, Göttingen: V&R unipress 2011
Julia Haas: Die Reichstheorie in Pufendorfs "Severinus de Monzambo". Monstrositätsthese und Reichsdebatte im Spiegel der politisch-juristischen Literatur von 1667 bis heute, Berlin: Duncker & Humblot 2007
Ein Autor aus der Mitte des 18. Jahrhunderts definiert als Aufgabe der Rezension, den Gelehrten zu unterrichten, bei welchen Büchern er Zeit "auf ihre Durchlesung wende, und welche Bücher hingegen so beschaffen sind, daß es einen vernünftigen Mann reuen muß, sie gelesen zu haben, weil ihn ein scheinbarer Tittel verführet hat." (152). Der Rezensent kann versichern, dass vorliegendes Buch nicht zu der Literatur zu rechnen ist, deren Lektüre bereut werden müsste. Wer nähere und vor allem gesicherte Informationen über die Frühgeschichte des Rezensionswesens erfahren möchte, wird mit Habels Buch gut bedient. Es handelt sich um die erste wirklich repräsentative Untersuchung zur Entstehung und Entfaltung einer literarischen Gattung, die alle Zeitläufe überstanden hat und auch, der Erscheinungsort der vorliegenden Rezension belegt dies, den Eintritt ins Zeitalter der elektronischen Publikationen bewältigen konnte.
Rezensiert wird nunmehr seit fast 350 Jahren. Bis heute ist das Rezensionswesen aus dem wissenschaftlichen und literarischen Leben nicht wegzudenken, seine Notwendigkeit wird immer wieder konstatiert, und doch haftet ihm von Anfang an mitunter ein gewisser unguter Geruch an: Ein selbsternannter Richter urteilt über Publikationen, die zu verfassen er selbst vielleicht gar nicht in der Lage wäre, wie es überhaupt dem eigenen Rufe zuträglicher sei, originäre Schriften zu produzieren als sich über die Texte anderer auszulassen, zumal noch in kritischer Intention. Die weitgehende Anonymität der Rezensionen in der Epoche der Aufklärung hat hier eine ihrer Begründungen: Als seriöser Wissenschaftler sollte man seine Zeit nicht mit dem Besprechen von Büchern anderer Gelehrter verbringen. Christian Thomasius, immerhin einer der Begründer der Rezensionszeitschrift in Deutschland, schreibt selbstkritisch in der letzten Nummer der von ihm herausgegebenen berühmten "Monatsgespräche": "Es ist wohl ein elender Koch, der die Speisen nicht selber zurichten kan, sondern die bey andern auffgekauffte Speisen nur wieder auffzuwärmen weiß." [1]. Allerdings pflegten die "Monatsgespräche" einen ausgesprochen satirischen Ton, der keinesfalls für alle Rezensionszeitschriften typisch war. Die "Acta Eruditorum", das frühste entsprechende Organ in Deutschland, hielt sich dagegen im Urteilen sehr zurück und darin folgten ihr nach Habels Darstellung über eine lange Zeit hinweg die meisten Zeitschriften. Im 7. Kapitel seiner Untersuchung, nach Auffassung des Rezensenten das Kernstück der Arbeit, behandelt Habel alle eben angedeuteten Problemfelder: inhaltlicher Aufbau und Objektivität der Rezensionen, Notwendigkeit der Kritik, Kompetenz der Rezensenten, die Reaktionen der besprochenen Autoren. Zu allen diesen Fragen erteilen die Rezensionszeitschriften selbst (zumeist in programmatischen Vorreden) oder auch an anderer Stelle veröffentlichte Literatur reichhaltige Auskunft.
Hier können nur einige der Erkenntnisse referiert werden, die durch Auswertung dieser Texte gewonnen wurden. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte habe sich die Einsicht immer stärker durchgesetzt, dass Rezensieren auch Urteilen bedeutet. Dass dabei die Kritik immer allein der Sache zu gelten hat, nicht aber der Person, bildete zu allen Zeiten die einhellige Auffassung, wenn auch die Praxis über die Jahrhunderte hinweg zahlreiche andere Beispiele kennt. Bei Habel lassen sich beispielhaft mehrere solcher Fälle der heftigsten Kritik ad personam verfolgen. Ihr Leserpublikum haben solche Besprechungen freilich immer gefunden, im 18. wie im 21. Jahrhundert. Bereits 1691 meint Samuel Pufendorf Thomasius gegenüber: "... dergleichen censur publico" (gemeint sind die "Monatsgespräche") seien "denen einigen sehr anmuthig zulesen, die selbst nicht perstringiret werden." [2]. Fast ebenso alt wie das Rezensieren selbst ist die Praxis der Veröffentlichungen von Repliken seitens der kritisierten Autoren. Habel unterscheidet vier Grundformen der Erwiderung von Autoren: deren Schweigen (dann treten oft dritte Personen in Aktion), unveröffentlichte Zuschriften an die Redaktion, Abdruck von Erwiderungen in der betreffenden oder auch in anderen Zeitschriften, die Publikation einer Verteidigungsschrift außerhalb der Journale. Ein längeres Kapitel handelt dann über die Kritik am Rezensionswesen, wobei Goethes berühmtes Aperçu nicht fehlen darf: "Schlagt ihn todt den Hund! Es ist ein Recensent." Manche der im 18. Jahrhundert vorgebrachten Kritikpunkte haben bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren: Die Bücher werden bestenfalls in dürftigen Auszügen gelesen, das Interesse des Rezensenten konzentriert sich allein auf das Sammeln von Fehlern, nicht selten werden Besprechungen auf Bestellung verfasst. Trotz dieser immer wieder beklagten Mängel stand der Nutzen der Rezensionsjournale letztendlich nie im Zweifel. Das belegen u.a. die von Habel rekonstruierten Versuche des 18. und 19. Jahrhunderts, den von einem einzelnen schon längst nicht mehr überblickbaren Inhalt der Zeitschriften durch die Anfertigung aufwendiger Register zu erschließen.
Die diesem zentralen Teil der Arbeit vorangestellten Kapitel informieren auf Grundlage des noch näher zu charakterisierenden Quellenmaterials u.a. über die Entstehungsgeschichte der Rezensionszeitschriften (ausgehendes 17. Jahrhundert), über die Probleme der schon erwähnten Anonymität der Rezensionen, über die Periodizität der Blätter und über deren Erscheinungsdauer, über die ökonomischen Hintergründe, über die Verleger, über die Leserschaft, über die Kreise der Herausgeber und Rezensenten, die inhaltlichen Orientierungen der Zeitschriften, über ihre Illustration und schließlich nicht zuletzt über das Verhältnis zur Zensur.
Hervorgegangen ist die vorliegende Publikation aus der Arbeit an dem so genannten "Rezensionsindex". Dahinter verbirgt sich das ehrgeizige Projekt der Erstellung eines systematischen Registers zu einer breiten Auswahl (insgesamt 85) der deutschsprachigen Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts. Das Vorhaben ist seit 1988 an der Göttinger Akademie angesiedelt, befindet sich aber, was seine Fortsetzung angeht, gegenwärtig in akuter Gefahr. Zwar sind bisher bereits 64 Zeitschriften in ihrem Inhalt vollständig erfasst worden, zu den noch fehlenden Blättern gehören jedoch noch solche bedeutenden und langlebigen Organe wie z.B. die "Frankfurter gelehrte[n] Anzeigen" (1772 - 1790), die "Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen" (1774 - 1804), die "Hamburgische[n] Berichte von neuen Gelehrten Sachen" (1732 - 1757) und die besonders wichtigen "Neue[n] Zeitungen von gelehrten Sachen" (1715 - 1784). Es bleibt zu hoffen, dass Mittel und Wege gefunden werden, den Rezensionsindex doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss bringen zu können. Die Aufklärungsforschung würde davon außerordentlich profitieren. Der Rezensionsindex wird in seinem Aufbau von Habel in allen Dimensionen ausführlich vorgestellt (332 - 455). Den größten Teil dieses Abschnittes beanspruchen die für weitere Forschungen sehr hilfreichen bibliographischen Mitteilungen zu allen berücksichtigten 85 Rezensionsorganen. Geboten werden ausführliche Angaben zum Inhalt, zum Herausgeber- bzw. Mitarbeiterkreis und zur vorliegenden Sekundärliteratur. Habels vorangegangene oben skizzierte Darstellungen zu den Zeitschriften beruht im wesentlichen auf der Auswertung dieses Materials. Das Quellenmaterial kann natürlich erweitert werden. So bieten die Gelehrtenkorrespondenzen der Zeit höchst aufschlussreiche Informationen zu den Verfassern, zum Inhalt, zur Rezeption und zu anderen Fragen der Geschichte der Journale. Dies wäre jedoch bereits die Aufgabe eines weiteren Forschungsvorhabens.
Die Wahl des Buchtitels ist sicher der Intention geschuldet, einen möglichst breiten Interessentenkreis anzusprechen, aber es ist doch etwas misslich, dass erst der Untertitel den tatsächlichen Inhalt des Buches offenbart - die Rezensionszeitschriften. Die jedoch umfassen nur einen, wenn auch noch so wichtigen Teil der Journale des 18. Jahrhunderts überhaupt. Das ist jedoch letztendlich nur ein Schönheitsfehler. Habels Buch bildet in weiten Strecken ein Nachschlagewerk, man wird es kaum von Anfang bis Ende lesen, aber als solches besitzt es für die Forschung großen Wert. Jeder, der sich mit dem Zeitschriftenwesen des 18. Jahrhunderts beschäftigen wird, sollte künftig das Buch in Reichweite haben.
Anmerkungen:
[1] Christian Thomasius: Freymüthige, lustige und ernsthafte [...] Monats-Gespräche. Jg. 1690, 1159.
[2] Samuel Pufendorf: Briefwechsel. Hrsg. von Detlef Döring. Berlin 1996, 303 (Brief vom 17. Februar 1691).
Detlef Döring