Thomas Schleper: Visuelle Spektakel und die Hochzeit des Museums. Über Chancen ästhetischer Bildung in der Wissensgesellschaft. Ein wissenschaftlicher Essay (= Einmischen und Mitgestalten; Bd. 4), Essen: Klartext 2007, 485 S., ISBN 978-3-89861-813-7, EUR 39,90
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Geschichte ist der Schlüssel zur Erinnerung. Wo könnten Erinnerung und Vergewisserung einfacher sein als in Museen? Welche Rolle kommt der Institution Museum im 21. Jahrhundert jedoch überhaupt noch zu? Welchen Stellenwert kann sie für die durch massenhaft gefertigte und künstlich erzeugte Bilder geprägte Wissensgesellschaft haben? Wie funktionieren Sehen und Wahrnehmen in Ausstellungen? Vermitteln Museen so etwas wie Bildung? Mit derlei Fragen setzt sich nun eine eloquente und kenntnisreiche Studie von Thomas Schleper auseinander.
Der Kulturhistoriker und Kunstwissenschaftler ist Museumsleiter und Kurator im Rheinischen Industriemuseum. Seine Untersuchung wurde 2005 von der Universität Wuppertal als Habilitationsschrift angenommen. Der Verfasser widmet sich einem nicht nur im Kulturbereich vielfach erörterten Thema. So wird überlegt, wie man angemessen auf veränderte Sehgewohnheiten reagieren und zugleich den klassischen Aufgaben eines Museums gerecht werden kann. Dabei wird auch über Faktoren wie inhaltliches Profil, Besucherorientierung, Architektur und Ausstellungsdesign als auch Marketing nachgedacht.
Bei der Einordnung seines Vorgehens verweist Schleper auf Goethes Figur des "Narren auf eigene Hand", um seinen transdisziplinären Ansatz zu umschreiben. Das Werk gliedert sich in sechs Hauptkapitel, denen eine "Anmoderation" als Appetizer und ein "Proszenium" über den Begriff der Bildung vorangestellt sind. Wie steht es um den Zusammenhang von Bild und Bildung? Der Autor bestreitet nicht, dass Bilder neue Perspektiven vermitteln können. Zugleich sieht er in ihnen jedoch auch die Gefahr der Horizonteinengung. Als Metapher für die teils zweifelhaften Versprechen "Visueller Kultur" dient ihm der Zauberspiegel aus "Harry Potter and the Philosopher's Stone". Hier schlägt Schleper den Bogen zur Institution Museum und fragt nach ihrer Funktion inmitten der "Spektakelkultur". In den nächsten Kapiteln möchte der Verfasser aufzeigen, dass das Museum selbst wesentliche Säule Visueller Kultur ist und "Medien-Zeiten und Medien-Räume" (31) kreiert. Dabei sei es Aufgabe der Museen, sich diesen Sachverhalt mit all seinen möglichen Tücken bewusst zu machen.
Die Einleitung geht dem in vielen Wissenschaftsdiziplinen konstatierten "iconic" beziehungsweise "pictorial turn" nach. Kernfrage ist hier, wie sich dieser Wandel in Museen zeigt und wie man sich "mit Bildersehen und Dingwahrnehmung in Ausstellungen" (66) auseinandersetzt. Die Museen in der "Zweiten Moderne" reagieren auf veränderte Sehgewohnheiten oft mit einer neuen Schwerpunktsetzung, die der Vermittlung Vorrang vor Sammeln und Bewahren gibt. Zunehmend stehe der Eventcharakter im Vordergrund. Schneller Folge von publikumsträchtigen Wechselausstellungen werde zuweilen mehr Aufmerksamkeit gewidmet als der Optimierung der Dauerausstellung.
Kapitel II befasst sich mit möglichen Gründen für den zunehmenden Bedarf an "Blickspektakeln". Schleper spricht hier in Anlehnung an Gernot Böhme von "Visueller Ökonomie". Ihre Vorherrschaft sei jedoch insbesondere auf pädagogischer Seite nicht ohne Kritik geblieben. Es gebe vor diesem Unbehagen an der visuellen Hypertrophie eine "Wiederkehr des Körpers", verbunden mit einer Aufwertung der anderen Sinne. Als "Cocooning" umschreibt der Autor drei Formen von Horizonteinengung, wie sie das "Sehsucht"-Syndrom hervorrufen könne: Weltflucht, passiver Konsum und fehlende Differenzierung zwischen Wirklichkeit und Bildern der Wirklichkeit.
Danach umreißt Schleper den Beitrag des Museums zu Bilderdienst und Schaulust. Zunächst setzt er sich für die Erhellung der "musealen Visibilität" mit Museumsarchitektur und Marketingstrategien auseinander. Dann untersucht er Textgestaltung, Vitrinendesign, Inszenierungen und Medieneinsatz auf ihre Visualisierungstendenzen hin. "Szenografien" definiert Schleper schließlich als "räumlich umschließende Synthese medialer Momente" (188). Inszenierungen und mediale Durchdringung werfen für den Autor die Frage nach einem möglichen Cocooning-Effekt auf: Sie vermitteln zwar rasch einen Eindruck, andererseits vereinfachen sie und binden Besucher in eine geschlossene Welt ein.
In Abschnitt IV vertieft Schleper die Diagnose einer "Medialisierung der Exposition". Er vertritt die These, dass Bildlichkeit "eine 'Primäreigenschaft' der Musealie" (198) sei. Die im Museum aufbewahrten und ausgestellten Objekte erleben einen Wandel vom Gebrauchsding zum Zeichen; das Museum sei eine "Agentur der 'Verzeichnung'" (208). Als unzeitgemäß kritisiert Schleper einen Rückzug auf eine vermeintlich authentische Dingwelt. Vielmehr könnten Simulationen und Kopien gleiche bisweilen auch bessere didaktische Ergebnisse erzielen, wenn es unter anderem um die Erläuterung komplexer Zusammenhänge und Abläufe gehe, Originalsubstanz gefährdet sei oder Überlieferungslücken klaffen. Demnach sollten Ausstellungsmacher nicht nur über Sachkompetenz verfügen, sondern auch die "Kunst der Blickregie" (238ff.) beherrschen.
Abschnitt V geht auf das von Gernot und Hartmut Böhme entwickelte Konzept der "ökologischen Ästhetik" als mögliche Theorie für Bildungsarbeit im Museum ein. Präsentationen, die Objekte in einen neuen Zusammenhang jenseits der gängigen Alltagswahrnehmung stellen, kreieren demnach eine "Atmosphäre", eine "Aura". Erfahrungen wie Verwirrung und Verstörung würden dabei durch Horizontüberschreitungen Lernerfolge befördern.
Nach diesen Ausführungen gibt Schleper konkrete "Hinweise für eine Didaktik des 'Helotischen'". "Helotisierung" richte sich gegen eine hierarchische, auf Distanz setzende Vermittlung. Museen sollten ein breites Publikum ansprechen, sich nicht auf bildungsbürgerliche Eliten konzentrieren. Anstelle passiven Konsums sollte eine aktive Rezeption durch den Besucher angestrebt werden, die hier auch durchaus körperaktiv gemeint ist und die Integration sämtlicher Wahrnehmungssinne einschließt. Zudem hinterfragt der Verfasser die Spartenpolitik in der Museumslandschaft, die mit einer Bevorzugung des Kunstmuseums einhergehe. In Bezug auf neue Medien rät Schleper zu einer abwartenden Haltung, um Chancen und Risiken auszuloten.
Abschließend betont Schleper nochmals, dass es ihm nicht um ein Ausspielen der Dinge gegen die Bilder, von Inszenierung gegen Aufklärung oder Bildung gegen Unterhaltung gehe. Vielmehr gelte es für Museumsfachleute, "sich auf ein flexibles Operieren im Unterwegs einzustellen [...]: in Traditionspflege und mit Horizontüberschreitung sich also selbst ästhetisch (weiter-)bildend zu betätigen." (410)
Schlepers Studie liefert einen wertvollen Beitrag für die aktuellen Diskussionen um eine Standortbestimmung von Museen im "Zeitalter der Visualisierung". Um am Puls des möglichen Museumspublikums zu sein, wertet der Autor auch Tages- und Wochenzeitungen aus. Im Hinblick auf die Lesbarkeit seiner Studie verweist er selbst auf den umfangreichen Fußnotenapparat. Dieser liefert zwar detaillierte Rezeptionshinweise, hemmt allerdings bisweilen den Lesefluss. Wenn der Verfasser sein Publikum anfangs vor möglichen "Assoziationsgewittern" warnt, so hat er im Hinblick auf die Vielzahl seiner literarischen Herleitungen nicht Unrecht. Wortgewandt versteht es der Autor, Chancen und Gefahren von Museen und Ausstellungen in der Visuellen Kultur darzulegen und sein Plädoyer für eine Didaktik des Helotischen zu formulieren. Dabei geht es ihm eher um eine theoretische Annäherung, als um eine Handreichung mit Erfolgsrezeptur für den Museumspraktiker.
Silke Eilers