Rezension über:

Mischa Meier / Simona Slanička (Hgg.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion - Dokumentation - Projektion (= Beiträge zur Geschichtskultur; Bd. 29), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, 473 S., ISBN 978-3-412-24405-7, EUR 46,90
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Rezension von:
Tatjana Timoschenko
Historisches Seminar, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Tatjana Timoschenko: Rezension von: Mischa Meier / Simona Slanička (Hgg.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion - Dokumentation - Projektion, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 [15.12.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/12/8727.html


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Mischa Meier / Simona Slanička (Hgg.): Antike und Mittelalter im Film

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Antike und mittelalterliche Geschichte in Film (und Fernsehen) erfreut sich seit Mitte der 1980er Jahre großer Beliebtheit. Dies lässt sich an aktuellen Großproduktionen wie "Alexander" (2004), "Troy" (2004), "King Arthur" und "Kingdom of Heaven" (2005) eindeutig belegen. Es verwundert daher nicht, dass auch die Geschichtswissenschaft dieses Feld vermehrt für sich entdeckt. Seit den 1990er Jahren nimmt das Interesse am Film in den Fachwissenschaften beständig zu. [1] Dieser Entwicklung trägt der umfangreiche von Mischa Meier und Simona Slanička herausgegebene Sammelband Rechnung, für den eine Tagung zum Thema "Antike und Mittelalter im Film" im Jahre 2003 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld den Anstoß gab.

Im Zentrum des Werkes steht v. a. die Frage nach den spezifischen Geschichtsbildern, die in den Filmen von der Antike und dem Mittelalter gezeichnet werden, sowie nach den jeweiligen Darstellungselementen, die hierfür zum Einsatz kommen und der Verortung der Filme in ihrem zeithistorischen Entstehungskontext. Ferner zählt zu den Leitfragen, warum es für Althistoriker und Mediävisten überhaupt lohnenswert sein kann, auch den (modernen) Historienfilm in die Forschung mit einzubeziehen, und welches adäquate Methoden sind, die einen wissenschaftlichen Zugriff auf (Historien-)Filme erlauben.

Der vorliegende Sammelband nähert sich dem Thema Antike und Mittelalter im Film unter drei Gesichtspunkten: Im Mittelpunkt des ersten Abschnitts "Konstruktion" stehen Gattungsfragen des Historienfilms. Zum Einstieg in die Materie thematisieren die Beiträge von Anja Wieber, Hedwig Röckelein und Thomas Scharff die Entwicklung und Charakteristik des Antiken- bzw. Mittelalterfilms. Sie liefern einen klar strukturierten Überblick über die Genese des jeweiligen Genres sowie typische Stilmittel und Gestaltungskonventionen und weisen auf mögliche Definitionen der einzelnen Gattungen hin. Eine gelungene Ergänzung bieten die Arbeiten von Mischa Meier, Manuel Baumbach und Wolfgang Struck, die sich mit den Einflüssen und der Vermischung von Opern- und Tragödienelementen in Antikenfilmen bzw. der Grenzüberschreitung von Fantasy und Mittelalter befassen und aufzeigen, aus welchen Bereichen sich die Antiken- bzw. Mittelalterbilder speisen.

Im zweiten Teil "Dokumentation" geht es um die Archetypen und Motive des Historienfilms, die wiederum unterschieden werden in Protagonisten und Mythen. Hervorzuheben sind hier die Beiträge von Uwe Walter zu der Odysseus-Darstellung und von Jan-David Schmitz zur Cäsar-Repräsentation im Film, die jeweils eine umfangreiche Filmographie zu ihren Filmhelden aufweisen. Ferner bildet die Frage nach dem speziellen Einfluss, den die schauspielerische Darstellung auf unsere Vorstellung von antiken bzw. mittelalterlichen Personen haben kann, einen weiteren Schwerpunkt. Thomas Paulsen untersucht in seinem Artikel die filmische Interpretation des römischen Kaisers Nero durch den Schauspieler Peter Ustinov, während Morten Kansteiner mit seiner Arbeit zu verschiedenen Jeanne d'Arc-Verfilmungen dem Konkurrenzverhältnis zwischen der historischen Figur, den Schauspielerinnen und ihrem Image nachspürt.

Gleich drei Aufsätze von Wiebke Kolbe, Lothar van Laak und Karin W.F. Samblebe beschäftigen sich mit der Mythen-Bildung sowie der Frage nach dem Einfluss nationaler Heldendarstellung im Film und ihrem jeweiligen Einfluss auf die deutsche Nationenbildung. Besonders auffällig ist hier der Beitrag von Wiebke Kolbe über den Stummfilm "Die Hermannschlacht" (Deutschland 1922/23). Wie Kolbe überzeugend darlegt, gehen hier die Kategorien Nationalismus und Geschlecht eine deutliche Verbindung ein. Sie spiegeln sowohl den für die Entstehungszeit des Films typischen Revanchismus gegen die feindlichen Franzosen als auch die für den Nationalismus konstitutive Geschlechterdimension der Weimarer Zeit wider.

Ungewöhnlich, aber deshalb nicht minder anregend, ist der Beitrag von Heike Peetz über "Die Zeit der Wikinger im Film", der sich v. a. mit der isländischen Filmproduktion befasst sowie die Arbeit von Regina Heilmann über "Die Sumerer als Inspirationsquelle postmoderner Mythologisierung", welche die populärkulturelle Rezeption der sumerischen Kultur anhand von drei Gruselfilmen nachzuvollziehen sucht.

Der dritte und letzte Abschnitt "Projektion" greift das Thema "Nationalismus" wieder auf, legt dabei jedoch den Schwerpunkt auf die Jahre nach 1950. Ausschließlich der erste Beitrag dieses Themenkomplexes befasst sich mit der Antike. Jan Timmer untersucht hier das Verhältnis von Fremdheit in der filmischen Repräsentation und vergleicht die rumänischen Antikenfilme der späten 1960er Jahre mit den amerikanischen aus den 1950ern. Alle weiteren Beiträge dieses Abschnitts befassen sich mit Mittelalterfilmen, wodurch erfrischend neue Perspektiven im Umgang mit Historienfilmen zu Tage treten. So vergleicht Ursula Ganz-Blättle die Nationalideologie in den Filmen "Braveheart" und "First Knight" (beide aus dem Jahr 1995) nach mediensoziologischen Gesichtspunkten und weist dem Mel Gibson-Film eine konkrete Instrumentalisierung im schottischen Wahlkampf nach. Thomas Klein hingegen zeichnet den Wandel der filmischen Umsetzung von für das Genre des Ritterfilms obligatorischen Reiterturnieren nach. Besonders spannend liest sich der Artikel von Simona Slanička zum Kreuzfahrerfilm "Kingdom of Heaven", den die Autorin als Ridley Scotts Stellungnahme gegen den Irakkrieg der USA interpretiert. Joanna Barck versucht schließlich eine Dekonstruktion von Pasolinis utopischem Mittelalter in "Il Decamerone".

Der Band endet schließlich mit einer Diskussion der Mitherausgeberin Simona Slanička um das Weiterleben des Historismus im Historienfilm, der durch das bewusste Fortschreiben von Mythen und Geschichtsbildern die breitenwirksamste historische Erzählung der Gegenwart darstellt.

Dem formulierten Anspruch, dass "Historienfilme über antike und mittelalterliche Themen [...] die viel versprechende Möglichkeit [bieten], Methoden der Filmwissenschaft interdisziplinär mit historischen Fragestellungen zu den gesellschaftspolitischen Darstellungsintentionen und -rezeptionen zu verbinden" (7) wird der Band insofern vollkommen gerecht, als dass die 21 hier versammelten Beiträge von Vertretern der Filmwissenschaften, der Alten Geschichte, der Klassischen Philologie, der Mediävistik, der Literaturwissenschaft und der Kunstgeschichte ein breites Spektrum an Analysen und Herangehensweisen zur Interpretation antiker und mittelalterlicher Filmbilder aus unterschiedlichsten Perspektiven liefern. Schade ist lediglich, dass die Produktionsseite keinerlei Berücksichtigung findet, da gerade die Produktionsumstände von Filmen wichtige Hinweise auf das Entstehen bestimmter Filmbilder geben können.

Deutlich wird anhand der Einzelbeiträge zudem, dass die Entwicklung einer einheitlichen Methodik bzw. eines systematischen Instrumentariums zur Untersuchung von historisierenden Filmbildern schwierig bleibt. Dies ist allerdings keinesfalls den jeweiligen Autoren und Autorinnen anzulasten, sondern der Komplexität des Mediums Films geschuldet.

Während Publikationen gerade zur Antike im Film in den letzten Jahren Konjunktur hatten, fand das filmische Mittelalter bisher nur wenig Beachtung. Ein besonderes Verdienst des Bandes ist es daher, dass hier in mehreren Beiträgen auch die filmische Darstellung des Mittelalters unter die Lupe genommen wird. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang auch die umfangreichen Bibliographien jeweils zur Antike bzw. zum Mittelalter im Film, die sich v. a. auf neuere Literatur und Aufsätze konzentrieren und sowohl für einen Einstieg in das Thema als auch zur Vertiefung spezifischer Aspekte hervorragend geeignet sind. Darüber hinaus ist das Buch mit einem nützlichen Register ausgestattet, das sowohl Filmtitel als auch historische Personen und Ereignisse verzeichnet.


Anmerkung:

[1] Hingewiesen sei auf den - wenn auch deutlich weniger umfangreichen - Sammelband Martin Lindner (Hg.): Drehbuch Geschichte. Die antike Welt im Film, Münster / Hamburg / Berlin / London 2005, sowie auf die Rezension hierzu von Uwe Walter zu Martin Lindner (Hg.): Drehbuch Geschichte. Die antike Welt im Film, Münster / Hamburg / Berlin / London 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: http://www.sehepunkte.de/2006/03/10089.html.

Tatjana Timoschenko