Peter-Michael Hahn / Ulrich Schütte (Bearb.): Zeichen und Raum. Ausstattung und höfisches Zeremoniell in den deutschen Schlössern der Frühen Neuzeit (= Rudolstädter Forschungen zur Residenzkultur; Bd. 3), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006, 360 S., 160 Abb., ISBN 978-3-422-06403-4, EUR 68,00
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"Zeichen und Raum" ist eine Sammelschrift die auf Tagungen der Jahre 1998 und 2003 zurückgeht. 17 Autorinnen und Autoren stellen das höfische Zeremoniell der Frühen Neuzeit als ein System von zeichenhaften Handlungen in entsprechend ausgestatteten Räumen dar. Sie widmen sich einzelnen Künsten und Kunstwerken innerhalb zeremoniell genutzter Räume, akustischen und musikalischen Zeichen am Hof oder der Vielfalt und dem Wandel des höfischen Tafelzeremoniells. Untersucht werden jene Gegebenheiten und spezifischen Bedingungen, unter denen es zur Ausbildung besonderer Räume und Dekorationsformen nach Maßgabe zeremonieller Notwendigkeiten kam. Hier stehen Konzeptionen und Wahrnehmungsformen zeremoniell geprägter Räume im Vordergrund wie auch die Möglichkeiten einzelner Kunstgattungen.
Noch immer aber liegt das Damoklesschwert über der Zeremonialforschung, wonach nicht völlig unumstritten ist, ob die in den Quellen dargelegte Sachlage der Sonder- oder der Normalfall ist (vgl. 21: Rangfragen in der Sitzordnung wurden durch das Los entschieden, an anderer Stelle wird darauf hingewiesen, dass die Positionierung im Raum einer gesellschaftlichen Position entspreche). Wurden also die Zeremonielle beschrieben, wie sie stattgefunden haben - oder wurden sie geschrieben, weil sie nicht (oder nicht so) stattgefunden haben, sondern möglicherweise so hätten stattfinden sollen?
In Peter-Michael Hahns gelehrter Übersicht der "Fürstliche(n) Wahrnehmung höfischer Zeichensysteme und zeremonieller Handlungen" (9-37) wird dies schon aus dem Satz deutlich, dass sich "aus den vorliegenden Beispielen allerdings nur schwerlich ein Regelwerk entwickeln und ableiten" lässt (22; ähnlich 24). Zeichentheoretische Grundlagen (Rahn) werden andiskutiert; unhinterfragtes Verwenden von Abbildungen als Illustrationen beliebiger Sachverhalte, nicht selten unkommentiert, stellen vermeidbare Irritationen dar.
Jörg Jochen Berns brillanter Artikel über die "Herrscherliche Klangkunst und höfische Hallräume" (49-64) oder Panja Mückes Beitrag zu musikalischen Darbietungen in Nebenräumen (65-82) bzw. Michaela Völkels "Der Tisch des Herrn" (83-102) kommen mit dem Raum als abstrakter Kategorie gut aus. In diesen Artikeln werden die Möglichkeiten, die das dazu präsentierte Bildmaterial bieten würde, nicht ausgeschöpft. Diesbezüglich ist es auch problematisch, dass die bei Jörg Jochen Berns (49-64) herangezogenen Abbildungen von Athanasius Kircher (z. B. 54f., Abb. 1-4) so behandelt sind, als würden sie wirklich ausgeführt worden sein (vgl. 53).
Dass ein Dasein im Raum die conditio sine qua non ist, ist selbstverständlich. Wo sonst sollte der Tisch stehen, der den Hintergrund für "Den Tisch des Herrn" (Michaela Völkel, 83-102) abgibt? Freilich gibt es auch Tafeln im Freien, aber sie stellen einerseits eine Ausnahme dar, andererseits wird auch im Freien ein Raum definiert, und zwar durch die Ausrichtung auf den Tisch, wenn dort ein Zeremoniell stattfindet (Stollberg-Rilinger, 103-122, bes. 104f.). Die bei Michaela Völkel aufgeführten Analogien ("Interzeremonialität", 84, 97 usw.), die darauf hinweisen sollen, dass es Ähnlichkeiten zwischen sakralen und profanen Riten gibt, sind in ihrer Sammlung interessant, doch nicht gerade sensationell, wenn man nur Einzug und Prozession miteinander vergleicht.
Barbara Stollberg-Rilinger (103-122) befasst sich mit der räumlichen Visualisierung der an einer Tafel Beteiligten und postuliert einmal mehr, dass soziale Ordnung des Raumes als sein Darstellungsmedium bedürfe. Von diesen überaus spannenden und interessanten Beispielen hätte man jedoch manches lieber ausführlicher diskutiert gesehen, anstatt viele Beispiele aus den unterschiedlichsten Bereichen und Zeiten angeboten zu erhalten.
Nach Stefanie Walkers Arbeit (123-134) über Maximilians Rom-Besuch von 1593, in dem die zur Verfügung stehenden Quellen ausgewertet werden, folgt Maureen Cassidy-Geigers Aufsatz zum sächsischen Tafelzeremoniell (135-166) und der Verwendung von Porzellan. Den bisherigen Abschnitten "Zeichen und Zeremoniell", "Akustische Zeichen" sowie "Die Zeichen der höfischen Tafel" folgt (167ff.) der größte Teil der 360-seitigen Abhandlung. Er ist der "Zeichenhaftigkeit der Räume und ihrer Ausstattung" gewidmet, bildet also das Kernstück der Tagungen. Ulrich Schütte (167-204) leitet diesen Teil ein mit der Bemerkung, dass wir, wenn wir von "Raum" sprechen, erst einmal wissen (und mitteilen) sollten, was darunter zu verstehen ist. Seinen Fragen folgt die Feststellung, dass sich die Kunstgeschichte den Gegenständen nicht selten dekontextualisiert nähert, statt die Dinge in ihrem Zusammenhang zu sehen (167: "doch fehlen bislang Untersuchungen, in der die Gesamtheit einer Schlossausstattung mit ihrem Gebrauch im höfischen Zeremoniell und im höfischen Alltag verknüpft wird."). Schütte widmet sich auch dem zu Grunde liegenden Problem für seine Diagnose (173). Man habe sich "innerhalb der historischen Disziplinen bislang kaum darum bemüht, die für Außenstehende ... unübersichtlichen Ergebnisse als Problemformulierungen für das Thema des Zeremoniells nutzbar zu machen." Denn für die Interpretation höfischer Innenräume nach Maßgabe der Texte bestehe das grundlegende Problem, dass es kaum Vermittlungsperspektiven für die semiotischen Bestimmungen der Raumausstattungen und die Präsenz der Dinge in den Schlossräumen gebe (189).
Die Irritationen, die sich aufgrund der beliebigen Verwendung des Begriffes Raum ergeben, hat Schütte ebenfalls analysiert. Auf Seite181, Abb. 1 bzw. Seite 185, Abb. 2 stellt er Visualisierungen von Repräsentation dar. Diese wiederum unterscheiden sich nicht unerheblich von bildlichen Darstellungen zeremonialer Raumnutzungen (186, Abb. 3) und sind zu differenzieren von Beispielen, die das Zeremoniell auf bestimmte Raumbereiche zeichenhaft fokussieren (186, Abb. 4), jedoch außerhalb des eigentlichen Zeremoniells standen. Bisweilen musste Raumausstattung überhaupt nicht mehr "bespielt" werden (187, Abb. 5); ihre Zeichenhaftigkeit läge dann außerhalb des eingegrenzten und stets mitschwingenden inhaltlichen Rahmens. Man wird Ulrich Schütte hoffentlich gerecht, wenn man postuliert, dass diese fünf Abbildungen den Bereich markieren, den Zeremoniell, Ausstattung und Repräsentation insgesamt einnehmen können: je "ungenauer" eine Darstellung ist, desto stärker bildet sie eine permanent im Fluss befindliche Situation ab und je genauer sie ist, desto mehr widerspiegelt sie eine Attitüde der Repräsentation. Die Forderung muss (192) sein, die Semiotik höfischer Architekturen und Räume nicht nur zu benennen, sondern sie hinsichtlich ihres Gebrauchs in eine Handlungstheorie für die Historiographie der höfischen Lebenswelt und für die Architektur- und Kunstgeschichte nutzbar zu machen.
Martin Eberle (205-228) betont den Zusammenhang von Raumausstattung und der Lage eines Raumes im Appartement (212, 214) im Tafelzeremoniell. Für die Teilnehmer war offenbar weniger der Raum als dessen Dekoration (auch Mobiliar, 221 ff.) entscheidend. - Stephan Hoppe (229-251) widmet sich der "räumlichen Geste der zeremonialen Gastfreundschaft" im Raumtypus des "Prunkappartements". Raum ist nicht nur physikalische Gegebenheit, sondern "invarianter Untergrund sozialer und kultureller Konstellationen" (229), so dass es eine relative Räumlichkeit am Hof gibt.
Frank Druffner (253-264) äußert sich zu Kamin und Ofen im Schlossbau, ein Leitmotiv (256 f.) und Ausdruck fürstlicher Ikonographie und Opulenz. Birgit Franke (265-279) schenkt der Tapisserie als höfisches Ausstattungsmedium Beachtung, die nicht nur mediale Botschaft, sondern auch Nobilitierung der Orte sei, so dass narrative Räume gebildet werden. Eva-Bettina Krems widmet sich in "Zeremoniell und Raumwahrnehmung" (281-301) der Frage, was die zeitgenössischen Rezipienten hervorzuheben hatten. Auch für sie wird wie für Schütte das Problem deutlich, dass die Texte das Panegyrische oft so in den Vordergrund hoben, dass zeremonielles Vokabular kaum noch auftrat. Während Rohr das Kontinuum von Raumfluchten und damit das Raumprogramm betonte, tat Baldassare Pistorini 1644 genau das Gegenteil, nämlich sich ausführlich mit dem ikonographischen Programm einzelner Räume zu befassen (290). Fast ist man geneigt zu sagen, dass die immer wieder herangezogenen Autoren der Zeremonialgeschichte, Rohr und Lünig, beschrieben, wie es sein sollte, man jedoch genau analysieren muss, wie es "wirklich" war.
Henriette Graf (303-324) widmet sich einmal mehr dem Problemkomplex Raumfolge, Hofzeremoniell und Möblierung. Ihre Ausstellung von 2002 in der Münchner Residenz ist, wenn man von Lünig und Rohr absieht, der meistzitierte Text des Sammelbandes. Graf geht davon aus, dass es einen engen Konnex zwischen "Möblierungskanon" und Raum bzw. Raumorganisation im Schloss gebe. Ihr Ausgangspunkt ist mithin der lokale Raum (nicht der fiktionale) im Gesamtkontext des Schlosses (303 und folgende). Raumkonglomerate ergeben sinnvolle Abfolgen, die zu verschiedenen Appartements zusammengenommen bzw. zusammen gedacht würden und nach funktionalen Gesichtspunkten geordnet werden könnten (304-316).
Esther Janowitz ergänzt diesen Kontext und bringt die abstrakten Hinweise von Birgit Franke, die (siehe oben) einen narrativen Raum postuliert, mit konkrete(re)n Hinweisen zusammen: Ihr Aufsatz befasst sich mit Prunktextilien im Kontext des Herrscherzeremoniells als Zeichen herrscherlicher Pracht und Magnifizenz (325). Janowitz interessiert sich für den zeremoniellen Gebrauch und bezieht sich auf mehrere Inventare, die sie auswertet. Sie kann den überlieferten Gebrauch exakt auf einzelne Räume und mithin den Organismus des zeremoniellen Raumes als Anlass-gebundene Ausstattungspraxis und temporäre Zeichensysteme rekonstruieren (325-343). Auch für die konkreten Zwecke (z. B. Auszeichnung der Gäste, 344f.) kann sie Quellen benennen, so dass sie am Ende konstatiert, dass "erst (sic!) die Analyse der Quellen unter Berücksichtigung der überkommenen historischen Gegenstände Rückschlüsse auf die Ausbildung zeremonieller Präsentationsweisen und deren Aussagekraft hinsichtlich höfischen Standesdenkens und höfischer Selbstdarstellung zulässt" (346).
Den Abschluss des Sammelbandes bildet ein Ausblick auf die Aufklärung und das aufkommende 19. Jahrhundert (Gun-Dagmar Helke 351-360). Es handelt sich um reiches und zum Teil brillant ausgebreitetes Material, das nicht in allen Fällen die von den Herausgebern dargelegten (7f.) und vielleicht intendierten "Eckdaten" zusammen bringt, nämlich das Zeremoniell sowie seinen Zeichenvorrat und den Raum als abstrakte und/oder als konkrete Kategorie zu verorten. Denn, wie Jörg Jochen Berns zutreffend schreibt, realisiert das irdische Zeremoniell eine auf die Erde herab gesenkte himmlische Zeremonialordnung (49). Um dem Himmel etwas näher zu kommen, würde man sich nur manchmal wünschen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lernen oder vermehrt dazu übergehen, im Team zu arbeiten. Das ersparte Redundanzen bzw. Irritationen und könnte Synergien sowie dementsprechende Ergebnisse zu Tage fördern - eben so, wie sie der Titel "Zeichen und Raum" evoziert.
Gottfried Kerscher