Rezension über:

Isabel von Bredow-Klaus: Heilsrahmen. Spirituelle Wallfahrt und Augentrug in der flämischen Buchmalerei des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit (= Kunstgeschichte; Bd. 81), München: Utz Verlag 2005, 478 S., ISBN 978-3-8316-0358-9, EUR 64,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
David Ganz
Universität Konstanz
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
David Ganz: Rezension von: Isabel von Bredow-Klaus: Heilsrahmen. Spirituelle Wallfahrt und Augentrug in der flämischen Buchmalerei des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, München: Utz Verlag 2005, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 2 [15.02.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/02/9880.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Isabel von Bredow-Klaus: Heilsrahmen

Textgröße: A A A

Wie wichtig die kunstvoll gestalteten Ränder für ein Verständnis mittelalterlicher Buchkultur sind, steht spätestens seit Michael Camilles "Image on the Edge" (Cambridge 1992) außer Frage. Ein später, letzter Höhepunkt dieser Randkunst sind die illusionistischen Trompe l'œil-Bordüren der so genannten Gent-Brügger Buchmalerei, auf denen Blumen, Insekten, Schmuck und Devotionalien mit großer Detailgenauigkeit dargestellt sind. In ihrer Monografie, die auf die Trierer Dissertation der Autorin zurückgeht, nimmt sich Isabel von Bredow-Klaus eines Spezialfalls der Gent-Brügger marginalia an: Sie konzentriert sich auf Pilgerzeichen, die den Seitenrand von Text- wie Bildseiten füllen. Besonderes Interesse verdient diese Gegenstandsgruppe deshalb, weil es zu diesen gemalten Sammlungen ein reales Gegenstück in Form von realen Pilgerzeichen gibt, die im Inneren von Stundenbüchern deponiert wurden.

Bredow-Klaus nähert sich ihrem Thema von dieser Schnittstelle zwischen gemalter Fiktion und Sachkultur. Wie sie im ersten Kapitel der Studie darlegt, wurden aus Metall gefertigte, in Guss- oder Prägetechnik hergestellte Pilgerzeichen, auch enseignes genannt, von den zahllosen Wallfahrtsorten des Spätmittelalters in hohen Auflagen produziert. Zentrales Element waren stark schematisierte Bilder, welche den jeweiligen Kultgegenstand der Wallfahrt repräsentierten. Von den Pilgern, die sie erwarben, wurden die enseignes dann üblicherweise auf der Kleidung getragen, wobei sich unterschiedliche Verwendungsformen überschneiden, das "rechtliche Kennzeichen des Pilgerstandes" (15), die Berührungsreliquie und das magische Objekt.

Eine mögliche Verwendung von Pilgerzeichen nach der Rückkehr von einer Wallfahrt bestand darin, diese auf die Pergamentblätter des persönlichen Stundenbuchs zu nähen. In späteren Jahrhunderten wurden solche eingenähten enseignes meist wieder entfernt, so dass nur noch die Löcher auf der Buchseite als Spuren der ehemaligen Präsenz von Pilgerzeichen zurückblieben. Anhand der wenigen erhaltenen Beispiele arbeitet die Autorin zwei unterschiedliche Anordnungsprinzipien heraus: Die gängigere Variante sah so aus, dass die Plaketten ausschließlich auf die Vorsatzblätter genäht wurden, wo ihre Einfügung die Handschrift am wenigsten in Mitleidenschaft ziehen konnte. Einzelne Besitzer entschieden sich hingegen dafür, die Pilgerzeichen auf ausgewählte Text- und Bildseiten ihres Gebetbuches zu verteilen, die ihnen persönlich bedeutsam erschienen. Stets, so vermutet die Autorin, motivierte der Wunsch nach einer Personalisierung des eigenen Gebetbuches die Einfügung der enseignes. Angesichts der mehrfach von ihr angesprochenen "realpräsentischen" Aufladung der Plaketten muss es letztlich aber um weit mehr gegangen sein: Wenn nicht nur einzelne Pilgerzeichen, sondern gleich eine größere Sammlung eingenäht wurden, dann galt das Stundenbuch offenkundig als eine Art Schatzbehältnis der eigenen frommen Verdienste, von deren Anhäufung man sich eine höhere Wirksamkeit der Gebete versprach.

Die gemalten enseignes auf den Bordüren der Gent-Brügger Buchmalerei sind keine Erfindungen der Buchmaler, sondern Porträts tatsächlich existierender Pilgerzeichen. Dass die Pilgerzeichenbordüren gleichwohl als eigenständige Schöpfungen zu bewerten sind, manifestiert sich bereits in der Verteilung der Plaketten auf der Buchseite: Nach dem Vorbild der ungleich häufigeren Bordüren mit Streublumen ist eine größere Zahl an enseignes, wie sie in Wirklichkeit nur auf den Vorsatzblättern zu finden war, über den Seitenrand verteilt. Anders als bei den tatsächlich eingenähten enseignes, so die Autorin, bestehe keine Verbindung mit dem Thema von Miniaturen oder Gebetstexten - kritisch anzumerken ist hier allerdings, dass sie den Aufbau der behandelten Buchseiten nirgendwo eingehender analysiert. So sind bei einigen der abgebildeten Beispiele sehr wohl auffällige Bezüge zwischen Motiven der Hauptminiatur und den zentral platzierten Plaketten auszumachen, etwa wenn der Kopf eines Salvatorbildes von einer vera icon flankiert wird (Kat. B 15), oder wenn unter einer Flucht nach Ägypten ein Abzeichen mit einer Pietà erscheint (Kat. B 9).

Nach dieser ersten Bestandsaufnahme geht Bredow-Klaus in den folgenden Kapiteln ihres Buches auf mögliche Aspekte der Interpretation der Pilgerzeichenbordüren ein. In der Forschung zu den Bordüren Gent-Brügger Provenienz stehen sich ja seit längerem schon zwei Erklärungsansätze gegenüber: Eine auf Otto Pächt und Erwin Panofsky zurückgehende Position betont primär den illusionistischen Präsentationsmodus, die Evokation dreidimensionaler Objekte auf der Oberfläche der Buchseiten, die als Reaktion der Buchmaler auf neue, den Bildträger negierende Darstellungstechniken verstanden wird. Dagegen haben Thomas und Virginia Kaufmann die religiöse Sinndimension der Objekte auf den Seitenrändern herausgestellt, und zwar gerade unter Bezug auf die Praxis, Mitbringsel von Pilgerfahrten in die Stundenbücher zu integrieren. Wie bereits der Untertitel des Buches andeutet, strebt Bredow-Klaus eine Zusammenschau dieser beiden Positionen, von "spiritueller Wallfahrt" und "Augentrug", an.

Zu Beginn des zweiten Kapitels befasst sich die Autorin mit den Produktionsbedingungen der flämischen Stundenbücher um 1500. Sie sprechen eher dafür, die konzeptionelle Eigenständigkeit der Buchmaler beim Entwurf der Bildausstattung sehr hoch anzusetzen. Wenn die Mehrzahl der Handschriften auf Vorrat gefertigt wurde, dann kann die Gestaltung der Bordüren nichts mit individuellen Wünschen der Auftraggeber zu tun haben. Im Falle der Pilgerzeichenbordüren tritt dieser Sachverhalt deshalb besonders deutlich zutage, weil die gemalten Plaketten sich auf regionale Wallfahrtsorte des rhein-maasländischen Raums beziehen, die weiter entfernt lebenden Käufern völlig unbekannt gewesen sein dürften.

Gerade in dieser Konstellation sind die illusionistischen Bordüren ein kritisches Element, das sich einem reibungslosen Funktionieren der Illuminationen in der Gebetspraxis widersetzt. Bredow-Klaus spricht dieses Störpotenzial zwar an, doch nimmt ihre Argumentation im weiteren Verlauf recht heterogene Züge an: Charakterisiert sie zunächst den illusionistischen Darstellungsmodus der Bordüren als Indiz einer Transformation der Stundenbücher in ein "Kunsthandelsobjekt" (99), argumentiert sie im Anschluss dafür, dass die Gegenstände der Trompe l'œeil-Bordüren durchweg einem Kontext frommer Devotion entstammten. Letztendlich, so die Autorin, seien die so täuschend echt gemalten Pilgerzeichen, Rosenkränze und dergleichen aber nur Vanitas-Symbole, welche die Vergänglichkeit alles Irdischen in Erinnerung rufen sollten.

Die religiöse Funktion der Pilgerzeichenbordüren steht im Vordergrund des dritten Kapitels. Insbesondere verspricht man sich von diesem Abschnitt Aufklärung über den "Heilsrahmen" der spirituellen Wallfahrt, der im Titel des Buches an so prominenter Stelle figuriert. Leider bleibt die Autorin jedoch die Konkretisierung dieses Gedankens im Hinblick auf die Pilgerzeichenbordüren schuldig. Was die gemalten Plaketten dem Betrachter zu sehen geben, sind ja fiktive Urkunden bereits durchgeführter Wallfahrten. Wie solche Ergebnisse einer Reise mit für die meisten Käufer unbekannten Zielen zu einem neuerlichen, jetzt geistigen Aufbruch stimulieren sollten, wäre genauer zu überprüfen. Stattdessen verlagert die Autorin den Fokus auf eine didaktische und vor allem mnemotechnische Funktion der Pilgerzeichenbordüren. Der dabei angestrengte Vergleich mit Darstellungen der arma Christi geht über eine oberflächliche Strukturähnlichkeit jedoch nicht hinaus. Waren die arma als zeichenhafte Abbreviaturen geeignet, zur imaginierenden Vervollständigung der Leidensgeschichte Christi anzuregen, konnten die enseignes in ihrer letztlich kontingenten und für viele Benutzer wohl unverständlichen Auswahl eine solche Funktion nur schwerlich übernehmen.

Isabel von Bredow-Klaus präsentiert in ihrer Studie aufschlussreiches Material für einen Vergleich von realen und gemalten Pilgerzeichenkollektionen, das durch einen ausführlich bebilderten Katalog am Ende des Buches auch für weitere Forschungen zugänglich gemacht wird. Das Vorhaben, eine bestimmte Bildgattung spätmittelalterlicher Stundenbücher aus einer interdisziplinären, nicht nur kunstwissenschaftlich, sondern auch volkskundlich und religionsgeschichtlich informierten Perspektive zu untersuchen, ist sinnvoll und begrüßenswert. In der Durchführung seiner Thesen lässt das Buch am Ende aber doch die nötige argumentative Stringenz vermissen. Einer Fülle an mitunter ausufernder und in sich disparater Kontextualisierung steht am Ende eine mangelnde Aufmerksamkeit für die Objekte selbst gegenüber.

David Ganz