Rezension über:

Carolin Behrmann / Arne Karsten / Philipp Zitzlsperger (Hgg.): Grab - Kult - Memoria. Studien zur gesellschaftlichen Funktion der Erinnerung. Horst Bredekamp zum 60. Geburtstag, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, XIV + 351 S., ISBN 978-3-412-21506-4, EUR 42,90
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Rezension von:
Andreas Gormans
Institut für Kunstgeschichte, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Gormans: Rezension von: Carolin Behrmann / Arne Karsten / Philipp Zitzlsperger (Hgg.): Grab - Kult - Memoria. Studien zur gesellschaftlichen Funktion der Erinnerung. Horst Bredekamp zum 60. Geburtstag, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 3 [15.03.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/03/13274.html


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Carolin Behrmann / Arne Karsten / Philipp Zitzlsperger (Hgg.): Grab - Kult - Memoria

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Grabmäler als Manifestationen zukunftsorientierten Anspruchsdenkens zu verstehen, ist ein methodischer Zugang, der seit fast einem Jahrzehnt intensiv verfolgt wird. Als repräsentativ für diesen von Horst Bredekamp zunächst an der Gruppe der Papstgrabmäler der Renaissance demonstrierten Ansatz [1] kann auch der zweite, im Rahmen des Forschungsprojektes REQUIEM an der Berliner Humboldt-Universität entstandene Tagungsband gelten, der den ursprünglich Rom zentrierten Fokus auf die Grabmäler der gesamteuropäischen gesellschaftlichen Eliten ausweitet. Kern dieses Bandes sind im Anschluss an ein Vorwort der Herausgeber (IX-XIV) und eine Einführung von Volker Reinhardt (1-5) 15 Beiträge, die das Ziel verfolgen, die Zusammenhänge zwischen den politischen, sozialen und künstlerischen Entwicklungen im Spiegel der europäischen Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit zu untersuchen. Wenngleich dabei die Gefahr eines "all zu weit gesetzten Rahmens" (IX) bewusst in Kauf genommen worden ist, ist der wissenschaftliche Ertrag der weit gestreuten Fallstudien reich.

So ist etwa interessant zu verfolgen, wie Steffen Krämer (59-74) eine lange Zeit am Genie-Ideal orientierte Erklärung des Chorneubaus der ehemaligen Stiftskirche in Bristol als Manifestation eines neu definierten Herrschaftsanspruches der Lords of Berkeley erweist. Nicht minder faszinierend wird in einer faktenreichen Darstellung von Peter Stephan (75-103) das Grabmal für Alexander VII. Chigi als Baustein innerhalb einer heraldischen Kodierung der urbs aeterna verortet, die dadurch, dass sie neu be- und damit überschrieben werden konnte, zu einem urbanen Palimpsest wird. Zur konstitutiven Kategorie der Memoria wird der Raum auch im Beitrag Tanja Michalskys (104-129). Sie legt dar, wie unter dem neapolitanischen Adel im 16. Jahrhundert über die Wahl der Begräbnisorte, über typologische und ikonographische Merkmale eine konsensfähige Gruppenidentität dokumentiert wird. Die von Léon Lock (203-218) angedeuteten Affinitäten zwischen der Grablege Fürst Lamorals de Tassis in Brüssel und der Cappella Chigi in Santa Maria del Popolo demonstrieren abermals auf klassische Weise, wie lohnend Investitionen sind, um genealogische Defizite zu kompensieren und politischem Anspruchsdenken durch Kunstpatronage Nachdruck zu verleihen. Als Instrument wieder anderer, nämlich territorialer Bestrebungen, liest Alexander Markschies (291-305) das von Anne de Bretagne in Auftrag gegebene Grabmal für François II. und Marguerite de Foix in Nantes, das typologisch wie ikonographisch die Königsgleichheit der bretonischen Herzöge postuliert und damit das Streben nach politischer Unabhängigkeit unterstreicht.

Vornehmlich dem an sepulkralen Identitätskonstruktionen interessierten Leser wird somit ein Buch an die Hand gegeben, das Grabmäler als "Legitimationsgeneratoren" begreift, so wie dies Olaf B. Rader pointiert im Titel seines Beitrages zur politischen Instrumentalisierung von Begräbnisanlagen formuliert hat (7-21). Was im ersten Kolloquiumsband noch allein an römischen Grabmälern exemplifiziert worden ist [2], gilt also auch außerhalb der Tibermetropole, zumindest für die ausgewählten Fallstudien, die die Methodik des REQUIEM-Projektes - rhetorisch subtil und nicht ganz uneigennützig - einmal mehr rechtfertigen. In dieser Forcierung liegt allerdings auch eine mögliche Gefahr, wenn nämlich der Eindruck entsteht, dass diese Sicht innerhalb des Spektrums methodischer Zugänge eine Vorrangstellung besitzt. Der aufschlussreiche Beitrag von Stefan Bauer (22-40), der die weitgehende Abwesenheit der Papstgrabmäler in der Papstgeschichtsschreibung der Renaissance thematisiert und damit über einen memorialen Paragone zwischen Schrift und Bildwerk handelt, macht doch gerade deutlich, dass das Grabmal einen autonomen Erinnerungswert besitzt. Dieser Wert erschöpft sich auch, aber eben nicht nur, in einer klientel-politischen Bedeutung des Grabmals, für dessen Entstehung vielmehr eine Fusion von makropolitischen und familiengeschichtlichen Ansprüchen, von künstlerischen, oftmals auch kirchlichen Interessen angenommen werden muss.

Angesichts dieser polyvalenten Funktionalisierung darf etwa die Diskussion der Stiftungsfrage des Grabmals für Clemens XIII. Rezzonico von Almut Goldhahn (238-252) nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Schlussakkord im Krieg der sepulkralen Zeichen in Neu St.-Peter zugleich eines von zwei Monumenten war, das dem ebenfalls aus Venedig stammenden Antonio Canova in Rom zum Durchbruch verholfen hat. Während Martin Gaier (159-180) die Adaption des für Kardinalsgrabmäler verbreiteten 'demi-gisant' am Grabmal eines Protonotars überzeugend als familiäre Statusreklamierung wertet, wäre es durchaus vorstellbar gewesen, die Diskussion des Erklärungsversuches dieser besonderen Liegefiguren noch weiter auszudehnen. So ist doch kaum zu bezweifeln, dass es sich bei diesen um Träumende handelt, die - antik-mittelalterlichen Traumtheorien entsprechend - eines gottgesandten Offenbarungstraumes mit eschatologischen Dimensionen teilhaftig werden. Diese einem Sterbenden auf seinem Totenbett gewährte visio beatifica als Möglichkeit der ersehnten ewigen Gottesschau scheint Reflex einer präsentischen Eschatologie im paulinischen Sinne zu sein, die gleichzeitig im Bild des sich erhebenden Körpers antizipiert wird. Detailliert demonstrieren ließe sich diese temporäre Entraffung der Seele - nicht selten unter einem Triumphbogen als Verweis auf ein transitorisches Moment - etwa am Grabmal Hadrians VI. in der Kirche Santa Maria dell' Anima in Rom, dessen 'demi-gisant' nichts mit Ciceros imagines agentes zu tun hat [3] und zudem weitaus weniger von spanischen und etruskischen Vorbildern inspiriert worden sein dürfte als etwa von der ars moriendi-Tradition oder von Raffaels 'Traum des Ritters' (National Gallery, London um 1504) und dem 'Traum Jacobs' (Stanza di Eliodoro, Vatikan, 1512/14). Vor dem Hintergrund dieses Versuches, christliches Heil körperlich anschaulich zu machen, wird man der allzu rigoros verstandenen These Volker Reinhardts nicht uneingeschränkt zustimmen können, "dass Gottes Gedächtnis keiner Auffrischung in Marmor bedurfte" (3). Zwar ist das Gedächtnis von Gott perfekt, doch ist auch das Gedächtnis an Gott bei der Betrachtung von Grabmälern nicht selten eindringlich stimuliert worden. Papstgrabmäler, bei denen die Pontifices unter Aufbietung aller künstlerischen Mittel über ihren Sarkophagen wie bei ihrer Himmelfahrt thronen, machen dies besonders deutlich. Wenn diese Grabfiguren der vicarii Christi retrospektiv an die leibhaftige Auferstehung Christi gemahnen und damit zugleich prospektiv wachrufen, was jedem Christen am Ende der Zeiten in Aussicht gestellt ist, dann sind diese Monumente signa rememorativa und prognostica zugleich, dann wird das sepulchrum papae zum monumentum ecclesiae. Da man schon diese Selbstbehauptungsstrategie der Kirche nur schwerlich als ein Raunen "von der Ehrfurcht vor höheren Mächten und ähnlichen Motivationen" abtun kann (1), wird man anerkennen müssen, dass Grabmäler nicht nur den Auftraggebern, sondern auch den Künstlern und Verstorbenen und teilweise auch der Kirche selbst eine hohe Rendite gebracht haben.

Dessen ungeachtet stellt die vom Berliner REQUIEM-Projekt favorisierte Methode einen unverzichtbaren Ansatz dar, wenn es darum geht, nach den Motivationen für Grabmalstiftungen zu fragen. Als exklusive programmatische Veranschaulichung dieser Kooperation zwischen Kunstgeschichte und Geschichte muss das Cover des Bandes gelten. Indem es die Grabfigur Jules Mazarins von Antoine Coysevox klappsymmetrisch in ein dichotomes Farbspektrum zerlegt, scheint es deutlich machen zu wollen, dass die Betrachtungen ein und desselben Bildes durch einen bipolaren disziplinären Filter zu unterschiedlich eingefärbten Perspektiven führen, die sich gegenseitig erschöpfend stützen und einander ergänzen. Gesteht man jedoch zu, dass die mit einem Grabmal verbundenen zukunftsorientierten Interessen noch facettenreicher sind als der Band glauben machen will, so hätte das Titelbild durchaus farbenfroher sein können.


Anmerkungen:

[1] Horst Bredekamp: Grabmäler der Renaissancepäpste. Die Kunst der Nachwelt, in: Hochrenaissance im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste I. 1503-1534, Ausst.Kat. Bonn 1999, 259-267.

[2] Arne Karsten, Philipp Zitzlsperger (Hgg.): Tod und Verklärung. Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit, Köln 2004.

[3] Yoni Ascher: Form and content in some Roman reclining effigies from the early sixteenth Century, in: Gazette des Beaux Arts 139 (2002), 315-330, 318.

Andreas Gormans