Susanne Frank / Matthew Gandy (Hgg.): Hydropolis. Wasser und die Stadt der Moderne, Frankfurt/M.: Campus 2006, 371 S., 27 Abb., ISBN 978-3-593-38003-2, EUR 34,90
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Im dem lesenswerten Buch "Hydropolis", herausgegeben von der Politologin Susanne Frank (Humboldt-Universität zu Berlin) und dem Geografen Matthew Gandy (University College London), werden von interdisziplinär arbeitenden Forschern einige wichtige Faktoren und Facetten zum Verhältnis von Wasser, Stadt und Moderne thematisiert. Die 16 Beiträge sind in vier Abschnitte gegliedert:
Im ersten Teil befassen sich drei Autoren mit der Rolle und Bedeutung von Wasser als Bild und Leitbild der modernen Stadt. Matthew Gandy analysiert im diachronen Zugriff die hydrologische Struktur der Stadt und konstatiert eine longue durée der bakteriologischen Stadt von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins letzte Viertel des 20. Jahrhunderts - einer Phase der Interessenkoalitionen zwischen Staat und Stadt, in der Fragen der öffentlichen Gesundheit mit Fragen des sozialen Zusammenhalts und der politischen Legitimation verbunden wurden und Einfluss von wissenschaftlichem und technischem Sachverstand auf die Kommunalpolitik institutionalisiert wurde. Seit den 1970er Jahren ist dagegen ein Zusammenbruch des Infrastrukturideals zu beobachten, in dem Wasser nicht mehr als öffentliches Gut gilt, sondern als marktgängige Handelsware einer unternehmerischen Perspektive untergeordnet wird. Nach einer anfangs privaten, dann kommunalen und schließlich regionalen und nationalen Ressourcenerschließung ist heute eine Fragmentierung und Polarisierung der Infrastruktur festzustellen, bei der der Staat offenbar nur noch eine marginale Rolle spielt. Engelbert Schramm überprüft die Konzepte "Kreislauf", "Metabolismus" und "Netz" auf ihre Eignung als Leitbilder für einen veränderten planerischen Umgang mit Wasser. Elisabeth Heidenreich stellt heraus, dass die Etablierung und Implementierung technischer Infrastruktursysteme, für die sie den Begriff der "technischen Fließräume" einführt, einen Wahrnehmungs- und Denkwandel nach sich zogen, der eine der einschneidendsten Veränderungen der Moderne darstellt und die heutige Alltagskultur und das Verhältnis zur Natur entscheidend prägt. Diese These entfaltet sie am Beispiel der Wasserkultur.
Ein dezidiert historischer Zugriff charakterisiert die Beiträge im zweiten Teil des Bandes, in denen die Bedeutung von Wasser und Abwasser in der Stadt der Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert beleuchtet werden. Wie bereits in anderen Beiträgen von Jörg Vögele weist das Autorenteam Jörg Vögele und Jörg Koppitz darauf hin, dass der Beitrag der sanitären Reformen zwischen 1840 und 1920 zum grundlegenden Rückgang der Sterblichkeit methodologisch äußerst schwierig zu fassen ist, sich häufig nur schwach ausgeprägte Korrelationen feststellen lassen und es künftig weiterer kleinräumiger Analysen bedarf. Jürgen Büschenfeld zeichnet die von den Kommunen kontrovers geführten Diskussionen und Entscheidungen über den "richtigen" Umgang mit Wasser und Abwasser nach, die eng von der Beurteilung städtischer Gesundheitsverhältnisse abhingen und von der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Feld der Hygiene geprägt waren. Die Diskussion um Wasser und Abwasser fügte sich in gesundheitspolitische Zusammenhänge von experimenteller Hygiene, Bakteriologie und sozialer Hygiene ein. Karin Winklhöfer, Marc Leszinski und Christian Steinberg geben aus der Perspektive des heutigen Forschungsstands Einblick in die Belastung eines Abschnitts der Oberspree zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die dort ansässige Textilindustrie, Hausabwässer, Rückflüsse von Rieselfeldern und Abfälle des Schiffsverkehrs. An die Stelle der unmittelbaren Belastung mit toxischen und Sauerstoff zehrenden Substanzen sind heute stärker Nährstoffbelastungen mit Sekundärverschmutzungen getreten. Die Soziologin Susanne Frank betont in ihrem Beitrag die geschlechtliche Codierung bei der Bedeutungszuweisung von verunreinigtem Abwasser in der Stadtentwicklung des 19. Jahrhunderts. Dass Wasserpolitik nicht zuletzt auch Geschlechterpolitik war (163), erscheint dabei womöglich als sehr pointierte Zuspitzung. Die enge Verknüpfung der Angst vor einer unkontrollierten Stadtentwicklung mit den Gefahren unkontrollierter Weiblichkeit, von physischer und moralischer Verschmutzung, von Imaginations- und Sozialgeschichte wird an aufschlussreichen Beispielen überzeugend aufgezeigt.
Im dritten Teil ist Wasser der Fokus für aktuelle Tendenzen des Übergangs zur postmodernen Stadt. Gehört das Wasser ins Rathaus oder auf den freien Markt? Zwei Beiträge knüpfen an Gandys Überlegungen zum Wandel des Leitbildes Wasser wieder an und haben die Privatisierung der Wasserversorgung in vergleichender Perspektive zum Thema. Shahrooz Mohajeri unterzieht die Privatisierung der Berliner Wasserversorgung einer diachronen kritischen Betrachtung: Wie in vielen deutschen Städten erfolgte hier die Realisierung einer ersten zentralen Wasserversorgung im 19. Jahrhundert durch ein Privatunternehmen. Konflikte mit dem privaten Wasserversorger leiteten einen Paradigmenwechsel ein und führten 1874 zur Übernahme durch die öffentliche Hand. Eine erneute Trendwende des Leitbilds vollzog sich mit der Teilprivatisierung im Jahr 1999. Den erhofften Aufschwung der Berliner Wasserwirtschaft bewertet Mohajeri angesichts der von ihm aufgezeigten Konfliktlinien skeptisch. Kimberly Fitch vergleicht dagegen die gegenwärtigen, ganz unterschiedlichen Tendenzen der Privatisierung in Deutschland und Frankreich. Während im zentralistischen Frankreich mit traditionell eher schwachen Kommunen 75 Prozent des Wassers von Privaten bezogen werden, kommen in Deutschland mit den politisch potenteren Verwaltungen und Kommunen lediglich 18 Prozent des Wassers aus privater Hand. Neue Herausforderungen, aber auch Gestaltungspotenziale und wasserwirtschaftliche Konzepte werden in den Beiträgen des Autorenteams Matthias Bernt und Matthias Naumann sowie von Heinrich Tepasse vorgestellt. Während die Kommunen in der Hochphase der Urbanisierung bei der Implementierung neuer Standards flächendeckender Wasserversorgung mit dem explosionsartigen Stadtwachstum nicht oder nur kaum Schritt halten konnten, mahnen Bernt und Naumann für Gegenwart und Zukunft eine stärkere Berücksichtigung der wachsenden Infrastrukturprobleme schrumpfender Regionen an. Insbesondere die ostdeutschen Städte stellen hier eine Art "Laborfall" (211) dar, in denen eine voll integrierte, kommunal organisierte Wasserversorgung nicht mehr zutreffen wird. Die Bodenentwässerung mithilfe einer funktionsfähigen Kanalisation war im 19. Jahrhundert eine Grundvoraussetzung für das bauliche Wachstum der Stadt. Heinrich Tepasse zeigt an Berliner Beispielen, dass sich im 20. Jahrhundert die städtebaulichen Einflussfaktoren gewandelt haben. Jetzt sind es zum einen die Relikte der früheren Abwassertechnik selbst, die ihrerseits die städtebauliche Entwicklung beeinflussen: Durch die für die Abwasserreinigung nicht mehr genutzten Rieselfelder wurden innerstädtisch gelegene Flächen großen Ausmaßes zur Bebauung frei (Siedlungsvorhaben Biesdorf/Marzahn). Zum anderen wirkt der hohe technische Standard der Abwasserreinigung auf die Stadtplanung, indem recyceltes Abwasser in unterschiedlichen Mehrfachnutzungen für ein neues Städtebauvorhaben (Berlin Buchholz-Nord) eingesetzt wird. Die ästhetische Dimension von Wasser und seine Inszenierung bei der Gestaltung von Plätzen nehmen Detlev Ipsen und Astrid Wehrle in den Blick, die in ihrem Beitrag das EXPO-Projekt "Wasserspuren in der Stadt" in Hann. Münden vorstellen.
Der vierte Themenblock rückt schließlich Wasserkrisen und Wasserpolitik in den "Megacities" an der globalen Peripherie in den Blick: Michelle Kooy und Karen Bakker zeigen am Beispiel von Jakarta die Verschränkung von Wasser, Macht und Wissen (1870-1945), die mit der Fragmentierung des Zugangs zur Wasserversorgung ihren Ausgangspunkt in der Kolonialzeit nahm. Auch Erik Suyngedouw betont in seiner Untersuchung zu Guayaquil die Verstrickungen der Versorgung mit Wasser in Machtverhältnisse und soziale Auseinandersetzungen. Valerie Viehoffs Untersuchung zeigt, dass die imperialen Interessen und Machtansprüche in Tanger eine Verbesserung der Trinkwasserversorgung trotz reicher Wasservorkommen blockierten. Matthew Gandys Beitrag zu Ursachen, Ausprägungen und Folgen der Infrastrukturkrise in Lagos schließt den Band ab.
Der Sammelband zeigt eine breite, gut getroffene Auswahl der vielfältigen thematischen und methodischen Forschungsperspektiven auf Wasser und die Stadt der Moderne. Er reflektiert aktuelle Debatten und Problemlagen der Wasserpolitik - im Süden der räumlich und sozial extrem ungleiche Zugang zu sicherem Wasser, im Norden die Finanzkrise der Kommunen und der Übergang zu einem H2O-Bussiness -, die politische Praxis wie auch die Entwicklung, Krise und die Auflösungstendenzen des Infrastrukturideals und den Wandel der Leitbilder. Für die historische Forschung bedeutet er eine wichtige und anregende Perspektivenerweiterung.
Charlotte Bühl-Gramer