Guido Braun / Susanne Lachenicht (Hgg.): Hugenotten und deutsche Territorialstaaten. Immigrationspolitik und Integrationsprozesse. Les États allemands et les Huguenots. Politique d'immigration et processus d'intégration (= Pariser Historische Studien; Bd. 82), München: Oldenbourg 2007, 256 S., ISBN 978-3-486-58181-2, EUR 34,80
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Guido Braun: La connaissance du Saint-Empire en France du baroque aux Lumières 1643-1756, München: Oldenbourg 2010
Frédérick Dessberg / Éric Schnakenbourg: Les horizons de la politique extérieure française. Stratégie diplomatique et militaire dans les régions périphériques et les espaces seconds (XVIe-XXe siécles), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011
Susanne Lachenicht: Die Französische Revolution, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012
Susanne Lachenicht (ed.): Religious Refugees in Europe, Asia and North America. (6th - 21st century), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007
Guido Braun / Susanne Lachenicht (eds.): Spies, Espionage and Secret Diplomacy in the Early Modern Period, Stuttgart: W. Kohlhammer 2021
Nicht zuletzt angeregt durch einen sich erholenden Arbeitsmarkt wird immer wieder der Ruf nach nützlichen Einwanderern, "High Potentials" oder ausländischen Fachkräften laut. Mit dieser "nützlichen" Migration werden im Gegensatz zu sogenannten "Armutsflüchtlingen" und Asylsuchenden große Hoffnungen verbunden. Sie soll die demographischen Probleme unserer alternden Gesellschaft abwenden, dem Fachkräftemangel abhelfen und natürlich das Land insgesamt "voranbringen". Mit ähnlichen Erwartungen verbanden seit jeher Aufnahmeländer oder -territorien ihre Immigrationspolitik, und das Beispiel der hugenottischen Einwanderung in Brandenburg-Preußen ist hierbei für das deutschsprachige Gebiet sicherlich eines der meist zitierten.
Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll und anregend, dass die historische Migrationsforschung, die ohnehin in den letzten Jahren gerade in Deutschland einen großen Aufschwung und auch eine deutliche Bewegung hin zu einer Dekonstruktion der oft besonders mythenbehafteten Aus- und Einwandergeschichte(n) erlebt hat, die hugenottische Migration noch einmal näher beleuchtet. Guido Braun und Susanne Lachenicht unternehmen einen Versuch hierzu in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband, der im Wesentlichen die Ergebnisse einer Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Paris vom Oktober 2005 zusammenfasst.
Ziel des Bandes ist, so erklären die Herausgeber, "in komparatistischer Perspektive die Immigration und Integration von Hugenotten in unterschiedlichen deutschen Territorialstaaten" zu untersuchen und sie in einen transnationalen Kontext einzuordnen (10). Der Fokus der Beiträge soll hierbei deutlich auf dem Handeln der Obrigkeiten bzw. Landesherren und auf den wechselseitigen wirtschaftlichen, konfessionellen und politischen Erwartungen von Landesherren und Migranten an die Ansiedlung liegen. Darüber hinaus wird von den Herausgebern auch die weiterführende Frage, ob es "international ausgehandelte, möglicherweise verbindliche Verfahrensmodelle protestantischer Staaten im Umgang mit Glaubensflüchtlingen gab", formuliert (11). Dies weckte bei der Rezensentin zunächst großes Interesse, wurde aber zumindest nicht für diese erkenntlich beantwortet. Weder in den Beiträgen selbst noch in der Zusammenschau wird ein Blick über die engen Grenzen der einzelnen untersuchten Territorien gewagt und mehr als nur Lexikonwissen zur Situation beispielweise in England oder den Niederlanden präsentiert. Auch wenn die Herausgeber ihren Anspruch am Ende der Einleitung selbst wieder relativieren, ist der Sammelband, was dies betrifft, doch eher ein Angebot an andere komparatistisch arbeitende Wissenschaftler, als dass er wirklich eine komparatistische Perspektive bietet.
Entsprechend ist der erste Teil des Sammelbandes mit seinen sieben Beiträgen dem Regierungshandeln verschiedener Reichsterritorien und -städte (Pfalz, Frankfurt/Main, Kursachsen, Brandenburg-Preußen mit Berlin, Hessen-Kassel, Brandenburg-Bayreuth und Hamburg) im Bezug auf die hugenottische Einwanderung gewidmet. Den zweiten Schwerpunkt des Bandes bilden vier Aufsätze, die die Integrations- und Assimilationsprozesse der Hugenotten in den protestantischen Territorien beziehungsweise den von den hugenottischen Gemeinschaften zu leistenden Spagat zwischen Integration und Identitätswahrung in den Mittelpunkt stellen. Alle Beiträge beziehen sich hierbei auf das Beispiel Brandenburg-Preußen. Im dritten Teil (mit nur zwei Aufsätzen) geht es um die Hugenotten in Berlin und ihre (insbesondere geistig/kulturellen) Beziehungen zu Frankreich. Der Band schließt mit einer Zusammenfassung.
Neuartig und sicherlich auch über die Hugenotten- und Migrationsforschung hinaus anregend erscheint zum einen die Perspektive auf die Politik der Aufnahmeländer und deren Regierungsverantwortliche, d.h. die Frage, wer mit welchen Motiven Hugenotten aufgenommen hat, welche Art der Privilegierung gewählt wurde und nicht zuletzt, wie diese mit den Migrierenden selbst ausgehandelt wurde. Bei der Lektüre der ersten Beiträge des Bandes, die allesamt auf einer sehr breiten Quellenkenntnis der Autoren beruhen, gewinnt man den Eindruck, dass es eine Art "Hugenottenmarkt" gab, auf dem Exilsuchende wie Aufnahmeterritorien jeweils ihre Vorzüge in die Waagschale werfen konnten, um so die besten Ansiedlungsbedingungen bzw. die bestqualifiziertesten Einwanderer zu erhalten. Hier zeigt beispielsweise der Beitrag von Ulrich Niggemann zu Brandenburg-Bayreuth, in welchem Ausmaß ein solches Aushandeln zwischen den jeweiligen Interessen stattgefunden hat. Der Beitrag von Klaus Weber spinnt diesen Aspekt auf sehr spannende Weise sogar noch weiter, indem er die Hugenotten einmal nicht in erster Linie als Glaubensflüchtlinge präsentiert, sondern als Geschäftsleute, deren Überlebensökonomie sie ihr Exilland eben auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten auswählen und damit auch eine lutherische und im Hinblick auf Freiheit der Glaubensausübung wenig attraktive Stadt wie Hamburg zum Exil werden ließ.
Dem gegenüber stehen eindrückliche Schilderungen von Einzelschicksalen, beispielsweise in den Beiträgen von Michelle Magdelaine und Dominique Guillemenot-Ehrmantraut, jahrelang umherirrender Flüchtlinge, die auf diesem "Markt" eben keine hinreichenden Vorraussetzungen für die Verhandlung irgendwelcher Privilegien mitbrachten. Gerade weil die Migrationspolitik und die mit ihr verbundenen Aushandlungsprozesse im Vordergrund zahlreicher Beiträge stehen, wäre es allerdings wünschenswert gewesen, noch mehr über die Strategien und Motive der Organisatoren und Verteiler der Flüchtlingsströme sowie der übrigen Akteure der "internationalen Hugenottenpolitik" zu erfahren, beziehungsweise ihnen und ihrer Politik gegenüber (potenziellen) Aufnahmeterritorien einen eigenen Beitrag zu widmen.
Wie bei einem Tagungsband kaum zu vermeiden und fast auch wünschenswert, werden viele spannende Fragen nur angerissen und laden zu weiteren Studien ein. So verweist Michelle Magdelaine in ihrem Beitrag zu Frankfurt darauf, dass insgesamt mehr als 24.000 Hugenotten die Stadt am Main als Durchgangsbasis nutzten. Dies sind mehr, als sich allein in den beiden größten Aufnahmeländern Hessen und Brandenburg-Preußen zusammen angesiedelt haben. Hier wäre sicherlich der Vergleich mit anderen (europäischen) Drehscheiben der hugenottischen Migration lohnenswert.
Doch was passierte, wenn - mit mehr oder weniger großer Mühe - ein Aufnahmeland gefunden war, innerhalb der hugenottischen Gemeinden? Der Prozess der Assimilation und der inneren Situation in den Gemeinden wird im zweiten Teil des Bandes am Beispiel eines der größten Aufnahmeländer, nämlich Brandenburg-Preußens, aus zahlreichen Blickwinkeln (Sprache, Bildung und Geschichtsschreibung) beleuchtet. Dies eröffnet sehr erhellende Einblicke in die zwiespältige Position insbesondere der Berliner Hugenottengemeinde zwischen Anpassung und Identitätswahrung, in deren Bemühen um eine günstige Position im Staats- und Gesellschaftsgefüge, um "gutes Preußentum" und gleichzeitige eifersüchtige Wahrung aller Eigenständigkeit als Garantin der Privilegien. Insbesondere die Beiträge von Manuela Böhm zum Sprachwechsel und Viviane Rosen-Prest zur Geschichtsschreibung sind hier sehr aufschlussreich.
Auch die zwei letzten Beiträge des Sammelbandes, die die hugenottischen Intellektuellen in ihren Bezügen zu Frankreich in den Fokus stellen, zeigen diesen Zwiespalt der Berliner Hugenottengemeinde zwischen Preußentum und kultureller Anziehung zum Frankreich der Aufklärung deutlich.
In ihren abschließenden Bemerkungen, die sich bedauerlicherweise auf eine reine Zusammenfassung ohne weitergehende Analyse beschränken, geht Myriam Yardeni noch einmal auf alle Beiträge ein, lobt deren Detailreichtum und die Möglichkeiten, die sich nun zu einer "verfeinerten Analyse des Assimilationsprozesses" bieten. Sie hebt die Vielfältigkeit der Integrationsprozesse sowie deren Abhängigkeit von politischen, kulturellen, religiösen, ökonomischen und sozialen Bedingungen noch einmal hervor.
Der Sammelband bietet insgesamt nicht nur einen guten Überblick über den Stand der Forschung zur Hugenottenpolitik der einzelnen Reichsterritorien, sondern vermag sicherlich auch weitere spannende Studien anzuregen. Das sehr sorgfältig redigierte und mit einem nützlichen Register ausgestattete Buch ist zweisprachig deutsch-französisch gehalten, wobei für sämtliche Beiträge eine nützliche Zusammenfassung in der jeweils anderen Sprache angeboten wird. Nur an einer Stelle fiel der Rezensentin dabei eine kleine Ungereimtheit auf: die Übersetzung "Tempel" für eine protestantische Kirche entspricht zwar dem französischen Sprachgebrauch ("temple protestant"), ruft aber beim deutschen Leser doch Stirnrunzeln hervor.
Christine Petry