Brendan Simms / Torsten Riotte (eds.): The Hanoverian Dimension in British History, 1714-1837, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xi + 337 S., ISBN 978-0-521-84222-8, GBP 55,00
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Bis 1943 glaubte man in Hannover, so wird es kolportiert, die Stadt sei vor Bombenangriffen sicher aufgrund der "special relationship" zwischen Hannover und Großbritannien [1], die durch die Personalunion begründet worden sei. Ein Trugschluss, wie wir heute wissen, und Ausdruck einer Liebe der Hannoveraner zum großen Bruder in der Personalunion, die stets unerwidert blieb. Dieser Befund spiegelt sich in der Forschung. Auch im vorliegenden Band wird die tendenzielle Abwesenheit von Hannover in der britischen Historiographie der vergangenen Jahrhunderte konstatiert. Die Darstellung der Könige aus dem Haus Hannover durch ihre Zeitgenossen fiel ohnehin überwiegend negativ aus, und dies wirkte lange nach. Noch Linda Colley spricht 1992 von ihnen als "stolid Hanoverians" [2], stur, schwerfällig, phlegmatisch - typisch deutsch eben in den Augen der Briten. Nach dem Ende der Personalunion 1837 erlosch das geringe Interesse an Hannover fast völlig, auch wenn ein größeres Interesse an Deutschland als dem Land der Dichter und Denker sich gerade erst entwickelt hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich ein neues Interesse an Hannover und mit nur leichter Übertreibung ließe sich Ragnhild Hattons Biografie
Georgs I. von 1978 als ein Wendepunkt beschreiben. Denn hier wird Georg I. zum ersten Mal eine angemessene Würdigung zuteil, die ohne Hagiographie auskommt, aber zugleich die gängigen und immer wiederkehrenden Klischees vermeidet. Doch auch die zu Recht als Kennerin der englischen und der deutschen Quellen gerühmte Hatton hat in ihrer Arbeit der hannoverschen Zeit des Monarchen, die immerhin den deutlich größeren Teil seiner Lebensjahre umfasst, nur den deutlich kleineren Teil ihres Buches gewidmet (grob kalkuliert 100 Seiten für 54 Jahre und ca. 200 Seiten für 13 Jahre). Hannover sei es nie erlaubt gewesen - nie möglich gewesen, möchte man ergänzen -, eine analytische Kategorie in der Forschung zu werden, wie Christopher D. Thompson betont (87).
Ein Kreis von Autoren ist angetreten diesen Umstand, besser Missstand, zu beheben. Die zumeist britischen Historiker aus zwei Generationen legen mit diesem Band eine Quintessenz der neueren angelsächsischen Forschung vor, um die bisher ungenutzte hermeneutische Dimension Hannovers im britischen Kontext zu veranschaulichen: Hannover könne ein Prisma sein, um zum Beispiel die Politik des älteren Pitt besser zu verstehen, meint Brendan Simms (6).
Wenn sogar die dem hannoverschen Aspekt aufgeschlossenen Historiker ihr Interesse auf das 18. Jahrhundert beschränkten, so fühlt sich C.D. Thompson durch sie herausgefordert. Damit zielt er unter anderem ab auf einen Autor des Bandes, den Doyen der britischen Hannover-Forschung, Jeremy Black. Black tritt hier mit einem Essay zur Bedeutung Hannovers in Walpoles Außenpolitik in Erscheinung und knüpft damit an seine früheren Arbeiten an. Thompson will die Behauptung, für das 19. Jahrhundert könne man Hannover und der Personalunion für britische Belange keinerlei Bedeutung mehr zumessen, anfechten, in Frage stellen: "This chapter challenges such a view." (87). Mijndert Bertram, der ehemalige Direktor des Boman Museums in Celle und ausgewiesener Hannover-Experte, ergänzt seine - kontinentale - Sicht der Endphase der Personalunion.
Torsten Riotte wendet sich, mit ähnlicher Emphase wie C.D. Thompson, einer Neubewertung der Ära Georgs III. zu: "Why have historians failed to perceive the importance of Hanover to George III?" (60). Bisher galt Georg III. immer als der erste Brite unter den Hannoveranern, während seine Vorgänger als Deutsche gesehen wurden und sich auch so empfanden. Riotte weist auf des Königs vielfältiges politisches Engagement für Hannover hin, das von seinen Untertanen anders, weniger aufgeregt, wahrgenommen wurde als bei seinem Großvater und Urgroßvater, weil es ihm gelang, beide Bereiche besser zu trennen. Er entwickelte überdies Interesse an der Universität Göttingen und förderte diese Gründung Georgs II. - als Kurfürst Georg August.
Der intensive gelehrte Austausch zwischen England und der Georgia-Augusta ist Gegenstand des Artikels von Thomas Biskup. Nicht nur Gelehrte, auch der Hof kommunizierte mit Göttingen. Bis zu den napoleonischen Kriegen war dies die erste Adresse für britische Studenten auf dem Kontinent; auch die jüngeren Söhne Georgs III. studierten hier. Die Universität wiederum profitierte von der "British Connection": Bücher brauchten, per Diplomatenpost, fünf Tage von London in die südniedersächsische Provinz. Auch Teile zum Beispiel von James Cooks Sammlungen kamen nach Göttingen und wurden hier wissenschaftlich erschlossen. So, resümiert Biskup, ergänzten sich ausnahmsweise das "Empire" und das "Electorate", anstatt als unvereinbare politische Pole aufeinander zu stoßen.
Die "French Connection" diskutiert H.M. Scott. Er kann plausibel machen, dass die in den zahlreichen Kriegen des 18. Jahrhunderts so häufig beschworene Gefährdung Hannovers durch die Franzosen de facto nicht so groß gewesen sei. Richard Harding weist darauf hin, dass man Hannover ebenso als Teil dieser Kriege sehen müsse wie das überseeische Engagement. Beides seien komplementäre Elemente, etwa wenn der Kurfürst fürchtete als König Dinge tun zu müssen, die Hannover schadeten, während die Minister stets den König verdächtigten, sich zu Lasten Großbritanniens als Kurfürst zu gebärden.
Andrew C. Thompson fragt nach der Rolle des "Protestant interest" in der britischen Politik. Thompson ist, wie eine Reihe der zur jüngeren Garde gehörenden Beiträger, Verfasser einer Monographie zum jeweils vorgestellten Thema. Anhand der Untersuchung einschlägig ausgewählter Beispiele kann er nachweisen, dass Hannover als Standort im Reich hilfreich war bei der Durchsetzung protestantischer Interessen auf dem Kontinent. Hannover war aber zugleich Argument für die Notwendigkeit dieser Politik.
Bob Harris verfolgt in seinem Kapitel "Hanover and the public sphere" den Verlauf der Debatten über Hannover in der britischen Öffentlichkeit von 1714 bis zum Tode Georgs II. 1760. Er konstatiert Phasen wechselnder Aufmerksamkeit und schließt die Frage an: Welches sind die Themen, die mit Hannover in Verbindung gebracht werden? Und, wichtiger noch: Warum haben so viele Zeitgenossen so bereitwillig glauben wollen, hannoversche Interessen bestimmten die Richtlinien britischer Politik?
Nicholas Harding schließlich betrachtet die Haltung republikanisch gesinnter Kreise gegenüber der Personalunion. Sie sahen die "British liberties" durch die hannoverschen Monarchen gefährdet, da diese es gewissermaßen von Haus aus gewohnt waren, als absolute Herrscher zu regieren. War Hannover, in der Symbolik der Bildsprache immer als weißes Ross dargestellt, das trojanische Pferd, um den Absolutismus deutscher Prägung auf den Britischen Inseln einzuführen?
Clarissa Campbell Orr, die einzige Frau in einem dreizehnköpfigen Autorenteam, weist auf die dynastischen Zufälligkeiten hin, die den Anfang und das Ende der Personalunion bestimmten. Als Königin Anna 1714 starb, schloss man über 50 Katholiken von der Thronfolge aus, um mit einem Monarchen aus dem Hause Hannover die protestantische Thronfolge zu sichern. 1837 wurde Viktoria Königin des Vereinigten Königreichs. In Hannover war Frauen der Zugang zum Thron verwehrt, solange noch männliche Mitglieder des Geschlechts für die Nachfolge zur Verfügung standen: Aus diesem Grund wurde der Onkel der Queen, der erzreaktionäre Ernst August, König von Hannover. Campbell Orr kann aber zeigen, dass die Hannoveraner sehr gezielt strategische Heiraten eingegangen sind, um sowohl britische Interessen zu verfolgen als auch die Sicherheit ihres kontinentalen Besitzes zu fördern.
Brendan Simms benennt in seiner Einleitung abschließend Forschungsdesiderate, die nicht behandelt werden. Genannt sei die Frage nach der Rolle Hannovers für die britische Identität, die an anderer Stelle bereits diskutiert wurde, aber vertiefter Betrachtung wert ist. Interessant wäre es, die Rolle der Deutschen Kanzlei in London intensiver zu untersuchen, als dies bisher geschehen ist. Weiteren Aufschluss verspräche eine Mikrostudie über die Anfangsjahre der Personalunion. Eine bisher unveröffentlichte Magisterarbeit [3] fragt nach der Darstellung Georgs I. in der frühen zeitgenössischen Publizistik: War die Akzeptanz der Hannoveraner möglicherweise größer als bisher angenommen? Frauen, so ließe sich abschließend hinzufügen, sind nicht nur als Autorinnen, sondern auch als Gegenstand der Forschung unterrepräsentiert.
Doch ansonsten erreicht der Band das, was eingangs als Ziel formuliert wird: Hannover ist endlich Teil der britischen historischen Agenda.
Anmerkungen:
[1] Ich verwende hier aus stilistischen Gründen ausschließlich diese zwei Bezeichnungen, da im Verlauf der 123jährigen Personalunion beide Staaten zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Namen trugen, die hier nicht alle aufgeführt werden können.
[2] Linda Colley: Britons. Forging the Nation 1707-1837, London 1996, 50.
[3] Nadine Frobitter: Georg I., erster König Großbritanniens aus dem Haus Hannover - Rezeption und Darstellung in der englischen Publizistik, unveröffentlichtes Manuskript, Osnabrück 2004/2005.
Frauke Geyken