Petr Mat'a / Thomas Winkelbauer (Hgg.): Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 474 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-08766-7, EUR 59,00
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Seitdem Mitte der 1990er Jahre die Diskussion über den Absolutismus als Forschungskonzept und als Epochenbezeichnung wiederaufgeflammt ist, hat es kaum ein Jahr gegeben, in dem nicht wichtige Beiträge - meist deutscher und britischer Provenienz - publiziert und einschlägige Kolloquien durchgeführt wurden. Das von einem österreichischen und einem tschechischen Historiker am Leipziger GWZO durchgeführte Symposium sollte auf der einen Seite die in den Forschungen der zurückliegenden Jahre allenfalls am Rande berücksichtigte Habsburgermonarchie auf den Prüfstand des angesprochenen Revisionismus stellen und andererseits die bisher vor allem in Deutschland geführte kontroverse Diskussion als methodischen Ansatz an die Geschichtswissenschaften in den Staaten des östlichen Mitteleuropa vermitteln, in der sie, um das mindeste zu sagen, bisher noch nicht im Zentrum des Interesses der Frühneuzeitforschung stand. Man hat deshalb, wohl bewusst, auch keine Wortführer der Absolutismusdebatte der letzten Jahre eingeladen, sondern vor allem - von wenigen Ausnahmen abgesehen - Nachwuchswissenschaftler aus der Großregion und aus Kanada über ihre laufenden Forschungen berichten lassen, die mehr oder weniger von der Absolutismusdebatte mit ausgelöst worden waren oder doch einen spezifischen Beitrag zu ihr zu leisten vermögen - zu den Leistungen und Grenzen des Absolutismus-Paradigmas. Der Ansatz ist sympathisch: "Anstatt uns auf die Suche nach einem 'Ersatzbegriff' für die Epochenbezeichnung zu machen, wollten wir mit unserer Fragestellung gerade das Produktive an der Absolutismusdebatte aufgreifen, nämlich, dass sie für wichtige Aspekte und Dimensionen sensibilisieren kann, die durch die Großerzählung über die Formierung des absolutistischen Staates marginalisiert werden. Was passiert, wenn der Absolutismus nicht als ein das 16. bis 18. Jahrhundert quasi automatisch strukturierendes Erklärungsmuster angenommen wird? Welche Vergleiche, Periodisierungsmöglichkeiten, Forschungsdesiderate und weiße Flecken werden dadurch sichtbar? Kann man bestimmte Phänomene besser erklären ohne ihn heranzuziehen? Und was verlieren wir dadurch?" (14).
Diesem Fragenkatalog fühlen sich in der Tat alle Beiträge mehr oder weniger verpflichtet. Es versteht sich, dass dem Themenkomplex Krone/Stände in der composite monarchy der Habsburger eine besondere Aufmerksamkeit zu gelten hat. Es überrascht den Kenner der Gegebenheiten sicher nicht, wenn verschiedene Autoren den langfristigen Zusammenhalt des Königtums und der adligen Eliten unterstreichen, was einen - komparatistisch arbeitenden - Autor zu der These veranlasst, der Hochadel sei so dienstwillig gewesen und habe so große Bereitschaft gezeigt, sich in die fürstliche Verwaltung einzubringen, dass sich die alte, am französischen Beispiel gewonnene Eliassche These geradezu in ihr Gegenteil verkehre. Auch andere Beiträger lassen an der - durch geschickte Patronagepolitik unterstützten - Beteiligung der Eliten am Staatsbetrieb keinen Zweifel und sehen allenfalls eine gewisse "Ausweitung der koordinierenden Macht der Habsburger". In der Ständepolitik der Habsburger lassen sich veritable "absolutistische" Tendenzen allenfalls spurenhaft feststellen.
Ein zweiter großer Forschungsbezirk - gerade für die Habsburgermonarchie, die hier im Vergleich mit der Bourbonenmonarchie sicher bisher hinterher hinkte - ist die Hofforschung. Drei Aufsätze kommen übereinstimmend zu der Einschätzung, dass die Vorstellung, den Hof einseitig als Herrschaftsinstrument und als Einrichtung zur Domestizierung eines widerspenstigen Adels zu begreifen, abwegig ist, und dass es vielmehr gilt, sich um ein elastischeres Modell der höfischen Machtverhältnisse zu bemühen. So muss etwa bei den "Hofdamen" davon ausgegangen werden, dass der Drang zum Hofamt den Zwang zum Hofamt immer überwog und dass hinter der Übernahme eines Hofamtes üblicherweise soziale Ziele der betreffenden Adelsfamilien standen. Dass es bei solchen - in sich spannenden - Befunden nicht bleiben kann, sondern es bei der sich auch hier aufdrängenden Einsicht in die Grenzen des Absolutismusparadigmas darüber hinausgehende Fragen zu stellen gilt - etwa die nach dem Phänomen der Macht in der Frühen Neuzeit an sich -, wird sich im Hinblick auf neue Theoriebildungen als fruchtbar erweisen können.
Ein dritter Komplex der Beiträge ist dem Finanzwesen gewidmet, das ja gemeinhin als eine der Wurzeln von größerer Staatsintegration - in der älteren Begrifflichkeit: von Absolutismus - verstanden wird. Die Einrichtung einer zentralen Finanzplanung war in der Habsburgermonarchie ein mühsamer Prozess, manche Teile des Reiches konnten nie wirklich in die reguläre Besteuerung einbezogen werden. Zwar sehen einige der Autoren im finanziellen und vor allem im damit in Zusammenhang stehenden militärischen Bereich eine strukturelle Herrschaftseffektivierung, aber im Vergleich mit anderen europäischen Staaten ist das doch eine eher moderate, stufenweise Herrschaftsverdichtung gewesen - die Militarisierung der Gesellschaft blieb hinter der Preußens dann doch um einiges zurück.
Bei alledem hatte Ungarn im Rahmen der Gesamtmonarchie eine Sonderstellung, die kaum überschätzt werden kann - wenn es denn jemals so etwas wie "Gleichschaltungstendenzen" gegeben haben mag, an Ungarn zerschellten sie schnell. Im Bereich der Rechtsprechung und der Komitatsverwaltung hat der Kaiserhof noch nicht einmal den Versuch gemacht, zentralistische Veränderungen herbeizuführen. Erst die sogenannte Magnatenverschwörung von 1670 hat das Gleichgewicht zwischen Krone und ungarischem Adel destabilisiert, aber die Dynastie nahm schon nach ganz wenigen Jahren wieder davon Abstand, Ungarn gewaltsam integrieren zu wollen.
Schließlich ist ein Bündel von Beiträgen den sozialen und institutionellen Konfliktpartnern der Staatsgewalt gewidmet: der (katholischen) Kirche, die insgesamt ihre Autonomie deutlich ausweitete, den regionalen Ständen, denen gegenüber die landesfürstliche Politik nicht auf Verdrängung abzielte, der lokalen Ebene, wobei in Ungarn die Komitate zwischen ständischer und höfischer Abhängigkeit oszillierten und in Böhmen der Staat auch nach 1620 keine eigene Alternative zur grundherrschaftlichen Organisation entwickelte. Auch das hat die am Absolutismus-Paradigma orientierte Forschung lange völlig anders gesehen.
Der Band ist deswegen so sympathisch, weil hier eine Phalanx junger, unbelasteter Forscherinnen und Forscher sich völlig unbefangen mit einem über Generationen hinweg kaum hinterfragten Forschungskonzept auseinandersetzt und die Fragezeichen, die schon von anderer Seite gesetzt worden sind, alles in allem verstärkt. Um aus der großen Meistererzählung vom "Absolutismus" herauszukommen, bedarf es solcher Fallstudien, die ihrer Quellennähe wegen viel mehr versprechen als die herkömmlichen Phrasen.
Heinz Duchhardt