Christian Hochmuth / Susanne Rau (Hgg.): Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 13), Konstanz: UVK 2006, 408 S., ISBN 978-3-89669-566-6, EUR 49,00
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In der Einleitung zu dem hier anzuzeigenden Sammelband "Machträume der frühneuzeitlichen Stadt" formulieren die beiden Herausgeber Susanne Rau und Christian Hochmuth das ambitionierte Ziel, die "bisher in weiten Teilen getrennt voneinander geführten Debatten" zu Macht und Raum "zusammenzuführen und somit die Wechselwirkung und das Zusammenspiel von Macht, Raum und Gesellschaft aufzudecken." (30) Sie begreifen Macht und Raum als relationale, das heißt von der jeweiligen Situation abhängige Kategorien möglichst universeller Reichweite. Städte, so die in der Einleitung formulierte Hypothese, seien besonders für eine Untersuchung dieses Zusammenhangs geeignet, da sie Orte seien, die sowohl für die Bewohner als auch die Landbevölkerung wichtige Funktionen erfüllen. Sie konzentrieren "Geld, Macht und Menschen" (18) und könnten daher "allgemeine Entwicklungen sinnfällig" (18) aufzeigen.
Der Sammelband besteht aus einer Auswahl von Beiträgen, die im Dezember 2004 auf einer Tagung des Dresdener Sonderforschungsbereichs 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" vorgestellt worden waren. Die Herausgeber haben einen Aufbau gewählt, der entgegen den in der Einleitung hervorgerufenen Erwartungen keine Zusammenhänge zwischen Macht und Raum am Beispiel frühneuzeitlicher Städte aufzeigt. Vielmehr verharrt der Aufbau bei einem recht weit gefassten, sozial und politisch nicht zugespitzten Raumbegriff. Wie in einer Vogelflugperspektive werden zunächst ganze Städte (Teil I), dann Stadt-Räume (Teil II) und schließlich Stadt-Teile (III) sowie Stadt-Orte (Teil IV) untersucht.
Die Bandbreite der durchweg qualitativ hoch stehenden und sorgfältig redigierten historischen Einzelfallstudien ist beeindruckend. Beiträge zu klassischen Beispielen der Stadtgeschichte wie Köln [1] stehen neben Untersuchungen osteuropäischer Städte [2]; neben einer Studie zum frühneuzeitlichen Boston [3] finden sich Beiträge zu Paris [4] und Lille. [5] Dabei sind mehrere für Sammel- und Tagungsbände typische Defizite festzustellen: Die Gesamtauswahl der Beiträge mutet teilweise etwas willkürlich an, spiegelt aber auch mit dem Übergewicht an Studien zu Städten im Alten Reich die derzeitige deutschsprachige Forschungslandschaft wider. Bei einem Sammelband zum Verhältnis von Macht und Raum in der frühneuzeitlichen Stadt fällt zudem das deutliche Übergewicht von rein historisch orientierten Studien gegenüber einer einzigen kunsthistorischen Untersuchung [6] ins Auge und dies, obwohl der Dialog zwischen Historikern und Kunsthistorikern auf diesem Gebiet geradezu notwendig erscheint.
So schlüssig die Einzelbeiträge in sich sind, so wenig gelingt es dem Band - und dies ist ein gravierenderer Einwand als der gegenüber der mangelnden geographischen und interdisziplinären Vielfalt - eine Gesamtkonzeption vorzustellen und weitere Fragen anzustoßen, die sich aus der Relationierung von Macht und Raum in frühneuzeitlichen Städten ergeben könnten.
Bereits die Einteilung nach Städten, Stadt-Räumen, -Teilen und Orten weist darauf hin, dass zu Recht klassische historische, aber auch kunsthistorische und soziologische Kategorisierungen zugunsten eines neuen, kulturgeschichtlich gewendeten Stadtkonzeptes aufgehoben werden sollen. So wird zum Beispiel konsequent einem Beitrag zur Universitätsstadt Helmstedt [7] einer zur Hafenstadt Stettin [8] an die Seite gestellt. Aus den einzelnen Untersuchungen ergeben sich Korrespondenzen und Unterschiede über klassische verfassungsgeschichtliche und historische Grenzen hinweg, die leider nicht in der Gesamtgliederung zum Ausdruck gebracht werden.
Als gutes Beispiel hierfür können die Beiträge von Giancarlo Andenna und Christoph Witzenrath dienen. Beide Autoren befassen sich mit dem Verhältnis von politischer und geistlicher Gewalt mit erstaunlich ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich der Verwobenheit von politischer und kirchlicher Ausrichtung des Gemeinwesens, einmal in den Stadtkommunen der Lombardei und einmal in Tobolsk und Sibirien. [9] Erstaunlich sind die Ähnlichkeiten der Ergebnisse auch deswegen, da sie sich auf zwei gänzlich unterschiedliche Städtetraditionen beziehen, einmal einem 'klassischen' Gebiet der Stadtgeschichtsforschung und zum anderen auf das eher von dieser kaum beachtete Zarenreich. Vergleichbare Parallelen und Unterschiede ließen sich auch anhand anderer Beiträge ziehen. Diese muss sich der Leser allerdings selbst suchen. Die Gesamtgliederung des Bandes ist dabei eher hinderlich.
Zu fragen wäre, ob es wirklich weiter hilft, das enge Korsett verfassungs- und sozialgeschichtlicher Typisierungen und Kategorien gegen ein Konzept einzutauschen, das sich allein auf sehr vage und im Grunde genommen doch nur auf Raum und nicht auf Macht bezogene Kategorien verlässt. Gerade die Relationierung von Macht und Raum böte vielfältige Möglichkeiten, das soziologische Profil frühneuzeitlicher Städte mit ihren kulturellen Repräsentationsformen in Beziehung zu setzen. Auffällig ist zum Beispiel die unterschiedliche Gewichtung von Anwesenheit als Kommunikationsform in den jeweiligen Beispielen, die eine Unterscheidung nach Präsenz- und Repräsentationskulturen in den jeweiligen Städten naheliegen würde.
Ein anderer Weg wäre der, sich den teilweise recht ähnlichen, teilweise aber auch recht unterschiedlichen Kommunikationsformen und Medien zu nähern, in denen Machtansprüche formuliert wurden, ein Zugang, der naheliegt und von vielen Beispielen teilweise explizit durchgeführt wird, so zum Beispiel durch Thomas Weller, André Krischer und Antje Diener-Stäckling. [10]
Eine weitere Differenzierungsmöglichkeit ergibt sich, wenn man das Begriffspaar "Macht-Räume" auf eine eher wörtliche Weise ernst nimmt, wie es der Beitrag von Rebekka von Malinckrodt zu den Repräsentationsformen der Bruderschaften in Venedig und Köln [11] exemplarisch vorführt. Von Malinckrodt gelingt es überzeugend darzulegen, wie politische Bedeutung mit architektonischer Repräsentation in diesen beiden autonomen Städten genau anders herum korrelierte als es etwa in dem von Barbara Uppenkamp vorgestellten herzoglichen Wolfenbüttel der Fall war. [12]
Raum als Kategorie wird somit zu einem bedeutsamen Faktor im Aushandeln politischer Ordnungsvorstellungen und damit dem Ringen um Macht, wie es für die frühneuzeitlichen Städte charakteristisch ist. Er ist Teil einer eigenständigen Sprache, deren differenzierte Benutzung uns nur durch die mühsame und kleinteilige Rekonstruktion näherkommt, wie sie die in dem Band versammelten Beiträge vornehmen.
Bei aller Kritik im Einzelnen stellt der vorliegende Sammelband insofern eine Pionierleistung dar, als dass es bis jetzt wenige Bände gibt, die in einer vergleichbar konsequenten Weise versuchen, die Kategorie des Raumes für eine Analyse frühneuzeitlicher Städte heuristisch fruchtbar zu machen. Die vielen offenen Fragen, die sich hierbei ergeben, zeigen auch, wie spannend dieses Forschungsfeld noch in den nächsten Jahren zu werden verspricht.
Anmerkungen:
[1] Alle im Folgenden zitierten Beiträge stammen aus dem rezensierten Sammelband. Gerd Schwerhoff: Die Policey im Wirtshaus. Obrigkeitliche und gesellschaftliche Normen im öffentlichen Raum der Frühen Neuzeit. Das Beispiel der Reichsstadt Köln, 355-378.
[2] Stefan Rohdewald: Schwache unter Schwachen. Zur Aushandlung jüdischen Raumes in Städten des Großfürstentums Litauen im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel von Polock, 259-284; Christoph Witzenrath: Orthodoxe Kirche und Fernmacht. Das Moskauer Reich, Kosaken und die Gründung des Bischofssitzes von Tobolsk und Sibirien 1620-1625, 309-332.
[3] Bernd Herzogenrath: Eine 'Physik der Macht': Phasenübergänge und Turbulenz in der Antinomischen Kontroverse, Boston, 1636-38, 91-110.
[4] Gerhard Sälter: Ordnung in der Stadt. Zur Kontrolle urbaner Räume am Beispiel der Pariser Polizei an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, 111-134.
[5] Catherine Denys: Policey und städtischer Raum in einer französischen Grenzstadt: das Beispiel Lille (1681-1791), 75-90.
[6] Barbara Uppenkamp: Politische Macht - Architektonische Imagination? Zur Politik als architektonische Wissenschaft am Beispiel Wolfenbüttels um 1600, 59-74.
[7] Marian Füssel: Umstrittene Grenzen. Zur symbolischen Konstitution sozialer Ordnung in einer frühneuzeitlichen Universitätsstadt am Beispiel Helmstedt, 171-193.
[8] Maren Lorenz: Strittiger Herrschaftsraum - Stettin 1662. Hafen und Handelsplatz oder Bollwerk und Brückenkopf?, 193-216.
[9] Christoph Witzenrath: Orthodoxe Kirche und Fernmacht; Giancarlo Andenna: Intra ambitum civitatis cariores sunt areae. Räumliche Beziehungen zwischen politischen und kirchlichen Instanzen in den Stadtkommunen der Lombardei, 217-238.
[10] André Krischer: Grenzen setzen. Macht, Raum und die Ehre der Reichsstädte, 135-154; Antje Diener-Staeckling: Orte der Ratswahl - Orte der Macht. Die Räume der Ratswahl in der frühneuzeitlichen Stadt, 155-170; Thomas Weller: Der Ort der Macht und die Praktiken der Machtvisualisierung. Das Leipziger Rathaus in der Frühen Neuzeit als zeremonieller Raum, 285-308.
[11] Rebekka von Mallinckrodt: Unsichtbare Macht - Repräsentative Machtlosigkeit? Ein Vergleich politischer Einflussmöglichkeiten und architektonischer Repräsentation frühneuzeitlicher Bruderschaften in Venedig und Köln, 333-354.
[12] Barbara Uppenkamp: Politische Macht - Architektonische Imagination? Zur Politik als architektonische Wissenschaft am Beispiel Wolfenbüttels um 1600, 59-74.
Ruth Schilling