Peter Robert Campbell (ed.): The Origins of the French Revolution (= Problems in Focus), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2006, 371 S., ISBN 978-0-333-94971-9, GBP 19,99
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Der Blick auf die Ursachen der Französischen Revolution ist lange Zeit ideologisch geprägt gewesen. Das Ende der Teilung Europas in den 1990er Jahren hat den Weg für neue Interpretationen geebnet. Dies belegt der von Peter R. Campbell herausgegebene Sammelband eindrucksvoll. [1] Dabei sind die in diesem Band vertretenen methodischen Ansätze nicht unbedingt neu, sondern stellen eine, wenn auch kritische, Wiederentdeckung früherer, durch die Dominanz der marxistischen Interpretation lange okkultierter Darstellungen dar (z.B. die Theorie der Revolution als Fortsetzung des im Ancien Régime stattfindenden Zentralisierungsprozesses bei Tocqueville [2]).
Diese Ansätze fasst Campbell einleitend zusammen, bevor er sich dann mit Interpretationen auseinandersetzt, die gerade als Reaktion auf marxistische Theorien entstanden sind wie 1. die Idee eines demokratischen Zeitalters der Revolutionen bei Godechot [3] und Palmer [4], 2. die auf demografischen Analysen beruhenden Thesen Goldstones [5], 3. die komparatistischen Studien Skocpols [6] oder 4. die diskursorientierten Darstellungen Furets [7] oder Bakers. [8]
Diese Ansätze werfen für Campbell nachfolgendes Problem auf: Sie betrachten die Revolution - ein Begriff, über den seines Erachtens zu wenig reflektiert wird - stets aus einem zu engen Blickwinkel heraus, der dazu führe, dass sie deren Ursachen monokausal definieren und die Revolution teleologisch darstellen. Die Gefahr von Einseitigkeit zeigt auch William Scott am Beispiel der Sozialgeschichte auf, die mit kulturhistorischen Ansätzen kombiniert werden solle (112-139) [9], oder Kenneth Margerison, der mittels einer Untersuchung der Pamphlete, die vor der Einberufung der Generalstände publiziert wurden, die lange Zeit herrschende, marxistisch geprägte Interpretation Lefebvres infrage stellt (219-238). [10]
Unterscheidet man hingegen zwischen dem Ende des obsolet gewordenen "baroque state" des Ancien Régimes und der Revolution, so banne man die Gefahr einer monokausalen Erklärung der Revolution zugunsten einer Pluralität von Gründen, d.h. den lang-, mittel- und kurzfristigen Ursachen der Revolution.
Zu den langfristigen Ursachen zählen die Finanzen und die mangelnde Zentralisierung des Staates. Die Verankerung aufklärerischen Gedankengutes und die Entstehung eines öffentlichen Raums, in dem sich Debatten entfalten konnten, die in die Desakralisierung des Königs mündeten, bilden die mittelfristigen Ursachen der Revolution. Direkte Ursachen der Revolution sieht Campbell schließlich in der Zuspitzung der Wirtschafts- bzw. Finanzkrise infolge des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und in einer gewissen Passivität der Monarchie, die die oppositionelle Agitation begünstigte (1-34).
Die Unterteilung in lang-, mittel- und kurzfristige Ursachen strukturiert den Sammelband, in welchem jeder Aufsatz einer besonderen Ursache gewidmet wird, ohne jedoch den Sinn für die Verknüpfung der anderen zu verlieren. Dabei lassen sich dann die z.T. revidierten Erträge früherer Forschungsansätze integrieren. Joël Felix betont (35-62), dass es im Ancien Régime wiederholt Finanzkrisen gegeben habe, die die Monarchie angesichts eines unflexiblen Steuersystems nicht lösen konnte. Die Lage spitzte sich anlässlich der Kriege im 18. Jahrhundert zu. Vor allem die außerordentlich hohen Kosten des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs, kombiniert mit unzureichenden Steuereinnahmen und massivem Rekurs auf Darlehen durch Necker führten zu einer aussichtslosen Situation. Dazu komme, dass die Entstehung einer eine Steuererhöhung ablehnenden öffentlichen Meinung den Druck auf die Regierung erhöht habe. Den Projekten einer Reform des Steuersystems stand wiederum die Monarchie ablehnend gegenüber. Die Unfähigkeit, die Krise zu meistern, erweckte den Eindruck einer "Desintegration" (61). Angesichts dieser Entwicklung schien eine politische Lösung der Probleme Frankreichs unabdingbar.
Eine solche Lösung war umso notwendiger, als die Monarchie von Klientelismus und Fraktionskämpfen bei der Vergabe von Stellen stets geprägt gewesen sei. Dies belegt John Hardman am Beispiel der Zusammensetzung des Kabinetts 1786, aber vor allem anhand der Art und Weise, wie eine Teilnahme am Unabhängigkeitskrieg bzw. die Einberufung der Notabelnversammlung beschlossen wurde (63-86).
Eine ähnliche Kontinuität zeigt das Verhältnis zwischen König und Parlamenten. Gegen die These einer wachsenden Opposition der Parlamente [11] zeigt Campbell (87-111), dass die Verteidigung ihrer Privilegien ein Daueranliegen der Parlamente war. Dazu kamen Streitigkeiten im Kabinett, Kämpfe zwischen verfeindeten Fraktionen in den Parlamenten wie am Hofe, die Tendenz des Königs, Entscheidungen zu treffen, die vom Parlament als illegal empfunden wurden oder Kommunikationsprobleme zwischen den Parlamentariern und der Krone. Diese Kennzeichen galten für die vom Jansenismus oder der Diamantenaffäre ausgelösten Krisen und auch für diejenige von 1787/88, zu deren Schärfe aufklärerische Pamphlete beigetragen haben.
Dass ein "aufklärerischer Diskurs" allerdings nicht mit einem revolutionären Diskurs auf einer Ebene stand, belegt Marisa Linton (139-159). Auf die Analyse der wichtigsten Begriffe der zeitgenössischen politischen Terminologie folgt bei ihr am Beispiel des "Tugendbegriffs" der Nachweis, dass diese je nach Kontext eine durchaus unterschiedliche Bedeutung hatten. [12] Dies geht mit einer Kritik der Diskurstheorie Bakers einher, die der Komplexität der Revolution nicht gerecht werde. Denn abgesehen davon, dass man den ideologischen Ursprung der Revolution nicht auf drei Diskurse (auf Vernunft, Wille und Gerechtigkeit) reduzieren könne, bleibe bei Baker die Frage nach der Verbindung zwischen Ideen und Ereignissen offen und er messe den Intentionen der Revolutionäre zu wenig Gewicht bei (154).
Ähnlich argumentiert Mark Ledbury am Beispiel des Theaters und der Malerei und zeigt durch eine subtile Kontextualisierung von Bildern und Dramen deren Vielseitigkeit und politische Polysemie auf (191-218).
Die klar strukturierte und stringent geführte Untersuchung van Kleys zu den "religious origins of the French Revolution" betrifft ihre langfristigen Ursachen. Van Kley zeigt, wie grundlegend sich das Verhältnis zwischen Monarchie und Religion zwischen dem 16. Jahrhundert und der Revolution veränderte: Während sich die Monarchie unter Heinrich IV. jenseits der Parteien der Religionskriege zu etablieren vermochte, mischte sie sich anlässlich des Jansenismusstreites in religiöse Angelegenheiten ein. Dies führte zur Desakralisierung der Monarchie, zu erneuten Debatten über politischen Despotismus und ebnete damit den Weg zur bürgerlichen Verfassung des Klerus.
Drei Aufsätze untersuchen anschließend die kurzfristigen Ursachen der Revolution. Sie stehen im Zeichen einer Ablehnung vereinfachender Erklärungen der Revolution (240). Auf der Grundlage seiner mittlerweile als Standardwerk zu bezeichnenden Studie Abolition of Feudalism: Peasants, Lords and Legislators in the French Revolution (Pennsylvania State University Press, 1996) zeigt John Markoff, wie sich die Ausdrucksformen und gleichzeitig die Ziele des Bauernprotestes im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts veränderten (239-267).
Michael Fitzsimmons weist in seinem Beitrag darauf hin, dass die ersten Sitzungen der konstituierenden Nationalversammlung nicht notwendigerweise zur Revolution führen mussten. Die Abgeordneten erwiesen sich bis zum 27. Juli 1789 eher als moderat, sodass der Zufall und vorher nicht vorgesehene Ereignisse zur Zerstörung des Feudalsystems in der Nacht des 4. August geführt hätten.
Aus den Aufsätzen dieses Sammelbandes entsteht zusammenfassend eine überzeugende Darstellung der komplexen Ursachen der Revolution. Die Vorgehensweise der Beitragenden hebt somit die Notwendigkeit einer pluridisziplinären und unvoreingenommenen Analyse der Revolution hervor und macht aus dem Band einen sowohl für die Spezialisten des 18. Jahrhundert als auch für Studenten eminenten Beitrag.
Anmerkungen:
[1] Laut Jack R. Censer ist der Band ein typisches Produkt der englischen Forschungstradition. Censer stellt dabei nicht unkritisch fest, dass diese eine politische Interpretation der Revolution weiterhin privilegiere und somit für neuere Impulse wie die der "women's" oder "gender history" nicht offen sei (H-France Review Vol. 6, Sept. 2006, Nr. 114).
[2] Alexis de Tocqueville: L'Ancien Régime et la Révolution, Paris 1856.
[3] Jacques Godechot: Les Révolutions, Paris 1963.
[4] Robert Palmer: The Age of Democratic Revolutions, Princeton 1959-1964.
[5] Jack Goldstone: Revolution and Rebellion in the Early Modern World, Berkeley / London 1991.
[6] Theda Skocpol: State and Social Revolutions, Cambridge 1979.
[7] François Furet: Penser la Révolution française, Paris 1978.
[8] Keith Baker: Inventing the French Revolution, Cambridge 1990.
[9] Allerdings warnt Scott auch vor der Gefahr, die Kulturgeschichte zur allein gültigen Methode zu erklären.
[10] George Lefebvre: La Révolution française, Paris 19702. Bereits K. Baker hatte diese Interpretation im Kontext seiner eigenen Diskurstheorie abgelehnt, wie Margerison selbst feststellt (222).
[11] Während die Parlamente im 19. Jahrhundert als Vorreiter der parlamentarischen Demokratie dargestellt wurden (Jules Flammermont: Le Chancelier Maupeou et les Parlements, Paris 1883), wirft das 20 Jahrhundert einen weitaus kritischeren Blick auf die Parlamente und sieht sie als Hindernis der Modernisierung (Alfred Cobban: Aspects of the French Revolution, London 1971 oder Michel Antoine: Louis XV, Paris 1989). Andere Arbeiten hingegen vermeiden eine Polarisierung und interpretieren die Rolle der Parlamente situativ (Jean Egret: Louis XV et l'Opposition parlementaire: 1715-1774, Paris 1970).
[12] Marisa Linton: The Politics of Virtue in Enlightenment France, Basingstoke, Hampshire 2001.
Christophe Losfeld