Rezension über:

Susanne Krauß: Die Devotio moderna in Deventer. Anatomie eines Zentrums der Reformbewegung (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter; Bd. 31), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007, 528 S., ISBN 978-3-8258-0172-4, EUR 39,90
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Rezension von:
Sabine von Heusinger
Seminar für Mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Christine Reinle
Empfohlene Zitierweise:
Sabine von Heusinger: Rezension von: Susanne Krauß: Die Devotio moderna in Deventer. Anatomie eines Zentrums der Reformbewegung, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 7/8 [15.07.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/07/12967.html


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Die Devotio moderna in Deventer

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In den letzten Jahren sind eine ganze Reihe von Untersuchungen zur "devotio moderna" erschienen: Allein im vergangen Jahr sind mindestens drei neue Studien erschienen, nämlich von Ulrike Hascher-Burger, Margot Müller, und Susanne Krauß. [1] Der hier zu besprechenden Band ist eine überarbeitete Fassung ihrer Dissertation, die an der Universität zu Köln im Jahr 2004/05 angenommen wurde.

Ziel der Arbeit war es, "exemplarisch die Anatomie der gesamten Frömmigkeitsbewegung [der devotio moderna] zu beleuchten" (1). Dabei wird eine "Zusammenschau der männlichen und weiblichen Devoten" angestrebt und bewusst auf "eine Abgrenzung zwischen semireligiosem und monastischem Zweig" verzichtet (2). Die Autorin strebte an, "die Geschichte der modernen Devoten in ihrem Zentrum Deventer durch einen multiperspektivischen Ansatz zu erschließen, der die Mikro- wie die Makrogeschichte, die Spiritualität wie die Ökonomie, die Prosopographie wie die Verfassung und viele weitere Aspekte gleichermaßen in den Blick nimmt, um auf möglichst vielen Ebenen Erkenntnisse zusammenzutragen, die dann ein dreidimensionales, wenn auch ein weiterhin unvermeidbar lückenhaftes Bild ergibt, das die Anatomie der 'devotio moderna' offen legt" (2).

Das Ziel, möglichst lückenlos alle Facetten der "devotio moderna" in ihrem Zentrum Deventer zu erfassen, ist der Autorin in gewisser Hinsicht gelungen. Ihre Studie basiert nahezu ausschließlich auf gedruckten Quellen und der Sekundärliteratur; hier gilt es, besonders hervorzuheben, dass ihrer Untersuchung eine breite Rezeption der niederländischen Forschung zugrunde liegt. In der Art eines Handbuchs behandelt Susanne Krauß folgende Themenkomplexe: Kapitel II bietet einen Überblick über die Geschichte dieser Bewegung von ihrer Entstehung am Ende des 14. Jahrhunderts bis zu ihrem Ende im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts; Kapitel III lokalisiert die einzelnen Häuser der "devotio moderna" in Deventer; Kapitel IV stellt Verfassung, Ämter, und Verbreitung der Bewegung vor; Kapitel V untersucht die Mitgliederstruktur der einzelnen Gemeinschaften; Kapitel VI behandelt Formen der Arbeit und der Vermögensakkumulation; Kapitel VII wendet sich Frömmigkeit und Spiritualität im Spannungsfeld von Ideal, Norm und Praxis zu und Kapitel VIII gibt eine Zusammenfassung mit Ausblick.

Diese Gesamtschau zeigt bereits, dass Susanne Krauß keinen Aspekt der "devotio moderna" in Deventer ausgelassen hat. Leider hat sie aber darüber hinaus auch so gut wie keinen weiterführenden Aspekt berücksichtigt.

Damit sind wir auch schon bei dem Hauptkritikpunkt angelangt: Leider lässt der Band alle Hinweise auf eine Einordnung des Themas vermissen. Niemals wird thematisiert, ob es noch andere Frömmigkeitsbewegungen in der Zeit gab und ob wir es hier mit Einzelerscheinungen oder einem "Massenphänomen" zu tun haben. Halten sich nur die Angehörigen der "devotio moderna" an Gebetszeiten, oder gibt nicht schon Benedikt einen strikten Tagesablauf vor? Trugen die Anhänger der "devotio moderna" eine "einfache" Kleidung (130), oder ahmten sie in ihren ungefärbten Wollkutten nicht vielmehr das Aussehen der Bettelorden nach? Alle weiterführenden Fragen, vergleichenden Beobachtungen und neuere Fragestellungen fehlen leider.

Zudem werden die benutzten Termini nirgends zur Diskussion gestellt: Ist der Begriff "Semireligiose" überhaupt noch brauchbar? Was meint das Begriffspaar "Frömmigkeit und Spiritualität" für eine Zeitspanne, die sich über nahezu vier Jahrhunderte erstreckt? Warum ist es sinnvoll, die Begriffe Mikro- und Makrogeschichte einzuführen und wie können sie charakterisiert werden?

Es fällt auf, dass die einzelnen Kapitel recht isoliert nebeneinander stehen. Dies möchte ich gerne an zwei zentralen Beispielen erläutern. Im Kapitel VI.2 "Arbeit" wird kurz das asketische Ideal der Handarbeit erwähnt (286), aber nicht weiter ausgeführt; im Kapitel VI.3 "Vermögen" wird dann die "asketisch-spirituelle Bedeutung" von Handarbeit genannt, aber ebenfalls nicht weiter behandelt (301). Erst unter Punkt VII 2.3 (364) wird das Thema noch mal aufgegriffen, aber auch hier viel zu kurz und eher oberflächlich behandelt. Dasselbe gilt für Armut: Obwohl das Thema unter "Ökonomie" in Kapitel VI.1 und unter "Frömmigkeit und Spiritualität" in Kapitel VII.2.2. behandelt wird, so fehlt doch jeder Hinweis auf die erbitterten Kämpfe um die "richtige" Form von Armut im Mittelalter, die beispielsweise zur Spaltung des Franziskanerordens geführt haben. Die Arbeit von Martina B. Klug zu Armut und Arbeit in der "devotio moderna" zeigte exemplarisch, wie eine Klärung der Begriffe und ein umsichtiges Quellenstudium zu wichtigen neuen Ergebnissen führen können.[2] Obwohl diese Arbeit von Susanne Krauß zitiert wird, fanden ihre Ergebnisse keinen Eingang in die vorliegende Studie.

Ganz am Ende, nach 422 Seiten, erwähnt Susanne Krauß, dass es im untersuchten Zeitraum eine ganze Reihe von "Rahmenbedingungen" gab, die auch die "devotio moderna" entscheidend prägten: Die Pestwellen des 14. Jahrhunderts, das Große Abendländische Schisma, der Humanismus, die Mystik und sogar John Wyclif finden alle in einem einzigen Satz Erwähnung (423). Mehr als diesen einen Satz widmet die Autorin aber diesem Gesamthorizont nicht - die Reformation lässt sie vollends unerwähnt.

Schade, dass sich die Autorin hier so wenig zugetraut hat: Ihre Studie zeigt, dass sie ihrem Thema nicht nur großes Interesse entgegenbringt, sondern die gedruckten Quellen eingehend studiert, ausgewertet und überzeugend interpretiert hat und dass sie es versteht, das "Gesamtphänomen devotio moderna" analytisch zu erfassen. Fazit: Wer eine auf Deventer zentrierte Gesamtschau des Phänomens der "devotio moderna" sucht, die auf der neueren internationalen Literatur basiert, wird diesen Band gerne zur Hand nehmen.


Anmerkungen:

[1] Ulrike Hascher-Burger: Singen für die Seligkeit. Studien zu einer Liedersammlung der Devotio moderna, Leiden 2007; Margot Müller: Das Chorgestühl von St. Nicolai zu Kalkar. Spätmittelalterliche Kirchenausstattung im Schnittpunkt von Devotio moderna, bürgerlicher Repräsentation und fürstlicher Norm (Diss. TU Dresden 2007).

[2] Martina B. Klug: Armut und Arbeit in der Devotio moderna. Studien zum Leben der Schwestern in niederrheinischen Gemeinschaften, Münster 2005.

Sabine von Heusinger