Phil Withington: The Politics of Commonwealth. Citizens and Freemen in Early Modern England (= Cambridge Social and Cultural Histories), Cambridge: Cambridge University Press 2005, XIV + 298 S., 6 fig., 22 tables, ISBN 978-0-521-82687-7, GBP 45,00
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Phil Withington, Senior Lecturer in Early Modern History an der University of Leeds, ist bekannt durch seine Arbeiten über Stadtgeschichte und politische Kultur im frühneuzeitlichen England. The Politics of Commonwealth bietet eine interessante und frische Interpretation politischer Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts. Withingtons Ansatz knüpft einerseits an Arbeiten an, welche die republica anglorum betonen, andererseits an stadtgeschichtliche Studien wie beispielsweise jene von Jan de Vries, der unter 'urbanisation' auch 'behavioural' und 'structural change' versteht (6). Dabei interessieren den Autor Verhalten, Denkweisen, Aktivitäten sowie Wandel der gesellschaftlichen Organisation und die Konzentration von Handlungsräumen mehr als theoretische Abhandlungen. The Politics of Commonwealth ist also weniger Ideengeschichte als Sozial- und Kulturgeschichte, was aber nicht heißt, dass Kanoniker der politischen Theorie völlig ausgeblendet werden.
Es herrschte lange die Meinung, dass die mittelalterliche englische Stadt aufgrund der Macht eines zunehmend zentralisierten Staats und einer schnell wachsenden Metropolis als Hüter von 'civic identity' und 'corporate privilege' verschwunden sei, auch wurde oft das 18. Jahrhundert mit dem Aufblühen einer Zivilgesellschaft in Verbindung gebracht und die vorangegangene Zeit als stagnierend betrachtet. Withington hingegen plädiert für eine 'sustained urbanisation' und analysiert die Verbreitung, Institutionalisierung und Praxis von 'civility' und 'good government' in englischen Städten zwischen der Reformation und der Glorreichen Revolution - nach Withington eine in ökonomischer, institutioneller und materieller Hinsicht sehr dynamische Zeit (7). Er argumentiert, dass Metropolen und Provinzstädte sich in mancher Hinsicht sehr ähnlich waren und jedenfalls als vergleichbare Einheiten betrachtet werden sollten, die kulturell und institutionell Teil eines sich ausbreitenden urbanen Netzwerkes waren; geografisch deckt seine Studie ganz England ab, mit detaillierten Analysen von Cambridge, Ludlow, Newcastle und York sowie einigen wenigen Vergleichen mit Schottland und Irland. Generell seien die Vorläufer, die Natur und die Chronologie der Moderne viel komplexer gewesen, als dies in Studien zum langen 18. Jahrhundert deutlich wird, und frühere Arbeiten über Politik und den englischen Staat hätten die urbane Dimension ihres Untersuchungsgegenstandes unterschätzt.
Withington definiert Urbanität anhand 'civic incorporations' und nicht wie gewohnt anhand funktionaler Differenzierung, Demografie, oder etwa Sozialgeografie. Nach 1500 wuchs das urbane Netzwerk stetig; dies begünstigte das Bevölkerungswachstum, die Ausbildung städtischer Infrastruktur (Rathäuser, Gerichte etc.) und Kultur (Buchmarkt, Presse, Theater, Gemeinschaft und Konversation etc.) sowie die nationale wie internationale ökonomische Expansion und die Bildung eines nationalen Marktes. Die Zahl von 'incorporated cities and boroughs' in England stieg von 38 um 1500 auf 181 um 1640 (18). Die 'royal charter of incorporation' bildete die rechtliche Grundlage einer Stadt, sie garantierte z.B. ökonomische Rechte und Privilegien, rechtliche und parlamentarische Privilegien. Doch wie Withington darlegt, bedeutete sie für den städtischen Bewohner auch soziale Zugehörigkeit und Verantwortung, die über Familien- und Zunftzugehörigkeit hinausging, und verkörperte gemeinsame Interessen, Vorteile und ein politisches Bewusstsein. Zentral von Bedeutung in diesem Prozess waren die Konzepte 'civility' und honestas, Grundwerte wie Anstand, Ehre, Tugend, Fleiß, Ehrlichkeit, Verdienst. Ein solches urbanes System half die vielschichtigen Probleme wie Armut, hohe Mobilität, Bevölkerungswachstum oder Inflation zu meistern und hielt, zumindest bis zum Bürgerkrieg in der Mitte des 17. Jahrhunderts, die Gesellschaft zusammen.
Withington hält 'ideology', 'place' und 'company' für wichtige kulturelle Ressourcen. Er erläutert die Debatten - More und Middleton versus Bacon, Jonson und Hobbes als Vertreter gegensätzlicher Ideologien ('commonwealth of virtue' versus 'kingdom of subjects') -, die schließlich die Akteure der frühneuzeitlichen Bürokratie genauso wie (andere) Dichter und ihre Werke beeinflussten. Er lässt etwas Raumtheorie einfließen, indem er anhand von Cambridge, Ludlow und York die Beziehung zwischen Raum und Person diskutiert, nach der Bedeutung von Orten und deren Implikation für Identität und 'civic agency' (87) fragt; er verzichtet jedoch auf Typologien, sondern betont die strukturellen Verschiedenheiten zwischen den Städten und den Einfluss menschlicher Wahrnehmung. Städtische Soziabilität und Kommunikation sind in The Politics of Commonwealth wichtige Aspekte; dazu zählen nicht nur die seriösen Diskussionen und literarischen Abhandlungen, sondern auch Klatsch und Zänkereien oder die Integration von Armenfürsorge, Arbeitshäusern, Lehrlingen, Weisen und Witwen.
Im Zentrum seiner Untersuchung stehen die Interaktionen von Individuen, d.h. Bürger, die sich durch ihre ökonomische Kraft ('freemen'), oder zusätzlich durch eine erhöhte öffentliche Stellung oder Funktion ('burgess' in 'boroughs', Stadtgemeinden; 'citizen' in Städten) auszeichneten. Was den weiblichen Handlungsspielraum anbelangt, untermauert Withington neuere Arbeiten (z.B. Crawford, Mendelson, Capp): Die Gegensätze privat (weiblich) - öffentlich (männlich) sind anachronistisch. Frauen, obwohl ausgeschlossen von Regierungstätigkeiten, haben sehr wohl öffentlich interveniert, und zwar nicht nur lokal, sondern, wenn es die Umstände erlaubten, auch auf nationaler Ebene. Und auch wenn der halb-öffentliche Haushalt patriarchalischen Strukturen unterworfen war, war er ein 'place of honestas' (198), der auf Soziabilität und Gegenseitigkeit beruhte, und dessen Alltag letztendlich auch durch das gemeinsame Schicksal strukturiert wurde.
Während die ältere Forschung von anfälligen und schwachen frühneuzeitlichen Städten sowie der Monarchie als Antriebsmotor im Staatsbildungsprozess ausging, betont also Withington eine beständige, innovative und komplexe Stadtkultur; die Basis bildeten autonome 'freemen', die bewusst und nach ethischen Werten handelten, deren Wurzeln in der humanistischen Tradition lagen. Obwohl nicht generalisiert wird, entsteht manchmal der Eindruck, dass die beschriebenen Werte und überhaupt der politische Diskurs lediglich urbaner Natur waren. In The Politics of Commonwealth wird zu wenig einbezogen, was sich auf anderen Siedlungsebenen, wie im 'village', 'parish' oder auch 'countryhouse', abspielte; auch an die oligarchischen Züge sollte erinnert werden, die den damaligen Alltag dominierten und weite Teile der Bevölkerung ausschlossen.
Insgesamt gesehen ist The Politics of Commonwealth aber ein originelles und höchst anregendes sowie methodologisch überzeugendes Buch, und gerade auch deshalb empfehlenswert, weil es auf einem reichhaltigen Quellenkorpus basiert sowie zur Vertiefung und weiteren Forschung anspornt.
Tobias Hug