Françoise Lavocat: La Syrinx au Bûcher. Pan et les satyres à la Renaissance et à l'âge baroque (= Travaux d'Humanisme et Renaissance; CCCXCVII), Genève: Droz 2005, 476 S., ISBN 978-2-600-00963-8, CHF 140,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Stephen J. Campbell / Stephen J. Milner (eds.): Artistic Exchange and Cultural Translation in the Italian Renaissance City, Cambridge: Cambridge University Press 2004
Louise Bourdua / Anne Dunlop (eds.): Art and the Augustinian Order in Early Renaissance Italy, Aldershot: Ashgate 2007
Machtelt Israëls: Sassetta's Madonna della Neve. An image of patronage, Leiden: Primavera Press 2003
Françoise Lavocats voluminöses Werk zu Pan und den Satyrn in Renaissance und Barock ist das Resultat einer wohl fast zehnjährigen Forschungsarbeit zu diesem Thema. Beginnend mit dem späten Florentiner Quattrocento und endend in der romanischen Literatur der Barockzeit, stellt sie Aufstieg und Niedergang eines Themenkreises vor, der erst in der Frühmoderne in nun anderer Form wieder eine Rolle gespielt hat.
Zunächst stellt die Verfasserin die Rezeption von Silen, Marsyas und Midas im 16. Jahrhundert vor. Silen gehört als Erzieher des Bacchus zu dessen Gefolge. Sokrates wird im Gastmahl Platons von Alkibiades mit Statuetten verglichen, die den Silen abbilden, innen jedoch ein Götterbildnis enthalten. Sokrates berge also Weisheit trotz seines fratzenhaften Antlitzes und seines abstoßenden Äußeren. Der Silen werde so für die Neuplatoniker seit Pico della Mirandola zu einer Personifikation des allegorischen Verfahrens. Er verkörpere damit die Strategie, Sinn zu enthüllen, indem man ihn verberge. Antithetisch hierzu äußert sich Erasmus von Rotterdam in seinen Adagia. Er verstehe das Sprichwort als figuratives, dunkles Sprechen und postuliere damit eine Entsprechung zwischen Sprichwort und Silen. Gerade die einfache, volkstümliche Erscheinung des Sokrates rücke ihn in die Nähe zum populären Medium des geflügelten Wortes, das oft tiefen Sinn enthülle. Midas ist hingegen Opfer seiner Rolle als Schiedsrichter im Wettstreit des Pan mit Apollo und steht emblematisch für das ungebildete, grobe Kunsturteil.
So erscheint die Figur des Satyrn schon zu Beginn des Cinquecento in antithetischer Doppelung als Verkörperung einerseits der Weisheit und andererseits der Ignoranz, bedingt auch durch die Figur des von Apollo geschundenen Marsyas. Lavocat weist hier allerdings darauf hin, dass Marsyas in italienischer Tradition auch als Begründer von Zivilrecht, Wahrsagen und als Städtebauer genannt werde. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Waldgott Pan, der am Hof Lorenzos des Prächtigen durch den Kreis um Ficino und im verschollenen Pan Luca Signorellis zu einer Art mediceischer Gottheit erhoben wurde.
Eine Textpassage von enormer Bedeutung im Kontext der Gegenreformation ist die Episode vom Tod des Pan, die auf Plutarch zurückgeht. Er überliefert, dass zur Zeit des Tiberius ein ägyptischer Steuermann vor der griechischen Küste eine Stimme gehört habe, die ihm befahl kundzutun, dass "der große Pan gestorben sei". Sobald das Schiff auf der Höhe von Palodes gewesen sei, habe der Steuermann die Nachricht über das Wasser gerufen, wonach ein Wehklagen vieler Stimmen zu hören gewesen sei. Nach der Rückkehr habe Kaiser Tiberius die Geschichte untersuchen lassen. Die Kirchenväter deuteten seit Eusebius das Ereignis als Vernichtung eines satanischen Waldgottes durch die Ankunft Christi und leiteten damit eine Dämonisierung des Satyrmotivs ein. Augustinus etwa behaupte, Satyrn entsprächen den höllischen incubi. Plutarchs Geschichte erscheine allerdings sehr selten in dämonologischen Abhandlungen des Cinquecento. Im Laufe der Renaissance tauche vielmehr eine (seltene) Deutung auf, die den Tod des Pan, Allgott und Sonnengott, in Bezug zur Kreuzigung Christi setze, so bei Paolo Marso oder Guillaume Bigot.
Während derartige synkretistische Deutungsansätze eher auf das frühe 16. Jahrhundert beschränkt bleiben, wird das Satyrmotiv später allmählich entwertet und animalisiert. Rezipiert wird beispielsweise die Fabel Aesops vom Treffen zwischen Satyr und Mensch. Der Mensch wärme einerseits seine Hände mit seinem Atem und kühle mit demselben Hauch sein Essen, was dem simpel gestrickten, darob empörten Satyr als Beleg für die Doppelzüngigkeit der Menschen diene. Ganz im Gegensatz zum Silen z.B. bei Plato oder Pico della Mirandola steht hier also der Satyr für Unzweideutigkeit und Einfachheit im zwischenmenschlichen Diskurs.
Der tadelnde Satyr wiederum ist Grundlage des Zusammenhangs zwischen Satyrspielen und der im Cinquecento frischen Gattung der Satire. Obschon dieser Zusammenhang einer falschen Etymologie entspringt und das einzige überlieferte Satyrspiel der Zyklop des Euripides ist, so komme doch dem Satyrn einerseits die Rolle des satirisch Tadelnden zu, andererseits in seiner sinnlichen Enthemmtheit die Rolle des komischen Elementes in der Literatur des späten 16. Jahrhunderts. Die falsche Etymologie programmiert also die literarische Figur um.
In der Theaterliteratur der Spätrenaissance und der Barockzeit wandelt sich die Figur allmählich. Hat der Satyr zunächst Züge einer Gottheit, so nähert sich die Figur später dem behaarten mittelalterlichen wilden Mann und wird, gezeichnet durch stets frustrierten kulinarischen oder sexuellen Appetit, zum komischen Accessoire der Pastorale. Gerade das Schäferspiel, diese seit der Jahrhundertmitte neu auftauchende Gattung, sieht natürlich als Teil der Waldbevölkerung den Satyr vor, gewährt ihm jedoch so gut wie nie eine tragende Rolle und degradiert ihn schließlich zur lächerlichen Figur.
Besonderes Augenmerk misst Lavocat dem Motiv der Enthüllung der Nymphe durch den Satyrn zu, das unterschiedlich gedeutet werden könne: Als Aufdeckung einer Urkraft der Natur, als Profanation des Kunstwerkes durch eine zu grobschlächtige Ehrung, als Vergewaltigung im Schlaf, die das Opfer nach einigen literarischen Quellen später nach dem Erwachen positiv aufnehme. Auch hier zeigt sich, dass ein Motiv vergröbert wird bis hin zur Entstellung und Unkenntlichkeit. Dass die Figur ihre tiefere Sinnhaftigkeit verliert, zeigt sich unter anderem auch in dem schon bei Alciati erscheinenden Emblem des in ein Horn blasenden Pan, der zunächst den plötzlichen, eben "panischen" Schrecken verkörpere, später als Zeichen der Luxuria gedeutet werde. Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Faunen und magischer Praxis sowie zum Satyrn im Ballett und im Feenspiel der Barockzeit schließen Lavocats Arbeit ab.
Lavocat vermeidet es, die großen Werke der Kunstgeschichte ausführlich zu besprechen, etwa Titians Ariadne, den Pan Luca Signorellis oder die berühmte Skulptur von Faun und Ziege im Archäologischen Museum von Neapel. Sie beschränkt sich auf die Illustrationen emblematischer Literatur, etwa bei Valeriano oder Alciati, auf buchspezifische Motive wie Frontispizien oder Impresen oder konkrete Textillustrationen wie etwa Erasmus' Lob der Torheit. Diese Werke sind der Literaturwissenschaftlerin naturgemäß am nächsten, doch wirken sie ohne die benachbarten Gattungen in der Malerei oder der Gartenskulptur isolierter, als sie eigentlich sein mögen.
Für den Kunsthistoriker bietet Lavocats interdisziplinärer Band insofern Interesse, als sie Sinnschichten zu erschließen vermag, die dem auf eine Gattung beschränkten Blick des Experten normalerweise verschlossen blieben. So lotet sie einen Bereich zwischen Philosophie, Belletristik, Theater, Emblematik und bildender Kunst aus, der dem kunsthistorischen Leser als Starthilfe für ikonologische Analysen zu untersuchender Werke dienen kann. Als bloßer Leitfaden ist ihre Arbeit jedoch zu unsystematisch und aufgrund häufiger Exkurse und Abschweifungen schwer lesbar. Es wäre deshalb eine antike Vorgeschichte des Themas zu wünschen gewesen, ebenso wie eine klare Trennung nach den erwähnten Gattungen mit jeweiligen kurzen chronologischen Synopsen. Stattdessen betreibt die Verfasserin durchaus verdienstvolle Motivgeschichte, die sich oft sehr weit vom zu Kapitelbeginn angekündigten Pfad entfernt. Ein gutes Beispiel ist das Motiv der von einem Satyrn enthüllten Nymphe, dessen Entwicklung sie auf die Hypnerotomachia Polyphili zurückführt, um sie schließlich in einem Bereich enden zu lassen, der mit dem Satyrmotiv nichts mehr zu tun hat: Hirt und Schäferin der Pastorale, bis hin zu Honoré d'Urfés Göttin Astraea, enthüllt vom Schäfer Celadon. Lässt man sich auf die essayistischen Abschweifungen ein, so verspricht die Lektüre eine Fülle von Interpretationsansätzen und damit eine Ausgangsbasis für weitere kunsthistorische Untersuchungen, wenn auch zu vermuten ist, dass Künstler und Literaten unterschiedliche Aspekte des Themas für ihre Gattung ausgewählt haben.
Zum Abschluss dieser Betrachtungen sei noch eine Bemerkung zum Rezeptionshorizont der Arbeit erlaubt. Die von der Autorin besprochenen literarischen Texte beschränken sich auf Frankreich, Italien und eine sehr geringe Auswahl englischer Texte. Diese unproblematische Selbstbeschränkung wird in der Einleitung nicht deutlich gemacht. In der besprochenen Sekundärliteratur jedoch nennt sie nicht mehr als ein halbes Dutzend eher marginaler deutschsprachiger Titel, die dann auch noch falsch zitiert werden, von anderen europäischen Sprachen zu schweigen. Bestimmte deutschsprachige Erscheinungen wie etwa der Katalog "Der große Pan ist tot! Pan und das arkadische Personal" [1] sind später oder zeitgleich erschienen, sodass die Autorin sie nicht verwenden konnte, doch fehlen Titel von Dieter Blume [2], Andreas Hauser [3] oder selbst John Boardman [4], die auf eine eher provinzielle Perspektive von Françoise Lavocats ansonsten überaus materialreicher Darstellung schließen lassen. Dies tut allerdings der Qualität der vorgelegten Untersuchung keinen Abbruch.
Anmerkungen:
[1] Gabriele Uerscheln / Nadja Putzert (Hgg.): Der große Pan ist tot! Pan und das arkadische Personal. Ausst. Kat. Benrath 2007, Worms 2007; Justus Lange: Ein Pan für jede Tonart. Pans Jagd auf die Nymphe Syrinx zwischen Mythos, Moral und Kunst, in: Pan und Syrinx. Eine erotische Jagd, Kat. Kassel 2004.
[2] Dieter Blume: Im Reich des Pan. Animistische Naturdeutung in der italienischen Renaissance, in: Wolfram Prinz (Hg.): Die Kunst und das Studium der Natur vom 14. zum 16. Jahrhundert, Weinheim 1987, 253-276.
[3] Andreas Hauser: Kunst als Sublimierung von Liebe, in: Konsthistorisk Tidskrift 68 (1999), 250-269.
[4] John Boardman: The Great God Pan. The Survival of an Image, London 1997.
Till Busse