Rezension über:

Elke Seefried: Reich und Stände. Ideen und Wirken des deutschen politischen Exils in Österreich 1933-1938 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 147), Düsseldorf: Droste 2006, 594 S., ISBN 978-3-7700-5278-3, EUR 69,80
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Rezension von:
Heinz Hürten
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Empfohlene Zitierweise:
Heinz Hürten: Rezension von: Elke Seefried: Reich und Stände. Ideen und Wirken des deutschen politischen Exils in Österreich 1933-1938, Düsseldorf: Droste 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 12 [15.12.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/12/13658.html


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Elke Seefried: Reich und Stände

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Österreich war keines der Länder, in denen deutsche Emigranten bevorzugt Zuflucht suchten, war doch für den unentwegten Anhänger der Demokratie das dort praktizierte Modell des Ständestaates wenig anziehend, zudem ließ sich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die dort von vielen gewünschte "Heimkehr ins Reich" über kurz oder lang Realität sein würde. Tatsächlich wurde Österreich aus diesem Grunde für die meisten Emigranten aus Deutschland nur zu einer Zwischenstation bis zum Jahre 1938. Es ist darum wenig erstaunlich, dass sich die Exilforschung diesem Lande bislang kaum zugewendet hat.

Diese Forschungslücke auszufüllen, ist das ehrgeizige Ziel der Autorin. Sie holt weit aus, indem sie in einem ersten Teil das "Exilland Österreich" einschließlich seiner rechtlichen Vorschriften und praktischen Maßnahmen in der Behandlung deutscher Emigranten beschreibt. Der im Untertitel der Arbeit bezeichnete Schwerpunkt der Ideengeschichte veranlasst eine ausführliche Darstellung der in der Zwischenkriegszeit herrschenden Verwirrung durch die Ideen von Reich und Ständen, deren Bedeutung für einzelne Emigranten oder Emigrantengruppen im umfangreichsten dritten Teil abgehandelt wird. Den Abschluss bildet eine Analyse vom Ende und der Wirkung des deutschen politischen Exils in Österreich, bevor die Autorin in einer "Bilanz" die von ihr herausgearbeiteten Linien noch einmal übersichtlich zusammenfasst.

Die Untersuchung ist auf breitester Basis von Quellen und Literatur aufgebaut; das einschlägige Verzeichnis umfasst rund 80 Seiten. Die in den Anmerkungen gebotenen Verweise auf Forschungsliteratur werden regelmäßig mit Bemerkungen versehen, aus denen deren Beurteilung durch die Verfasserin ersichtlich wird. Dankbar empfindet der Leser auch den Anhang, in dem Biogramme deutscher Emigranten in Österreich geboten werden.

Aus dem Korpus der bisherigen Literatur über die deutsche Emigration zur Hitlerzeit dürfte sich dieser Band durch zwei Besonderheiten herausheben, nämlich durch seinen ideengeschichtlichen Ansatz und seine Konzentration auf den katholischen Anteil am politischen Exil, der in Österreich nicht nur unübersehbar war, sondern in der Zeitschrift "Der Christliche Ständestaat" einen eigenständigen politischen Ansatz geboten hat.

Den größten Wert des Buches wird man deshalb in der kritischen Darstellung dieser Zeitschrift sehen, der Rudolf Ebneth bereits 1976 eine Darstellung gewidmet hat, welche Gründung und Funktion dieses Blattes behandelt, aber ihren theoretischen Gehalt wenig berücksichtigt hat. So bietet Seefried eine willkommene und notwendige Ergänzung. Diese Zeitschrift besaß nicht nur in dem Philosophen Dietrich von Hildebrand einen bedeutenden Philosophen als Autor und leitenden Kopf, sondern auch eine Reihe von Persönlichkeiten als Mitarbeiter, die den Tendenzen der Zeitschrift nahe standen. Sie werden in grundlegenden Analysen einzeln dargestellt. Auf diese Weise entsteht ein plastisches Bild von jener oft übersehenen Gruppe katholischer Emigranten, die durch das Scheitern der Demokratie in Deutschland versucht waren, neue Wege zu gehen. Die Verfasserin arbeitet die individuellen Züge der Beteiligten deutlich heraus, sodass diese Gruppe doch in sich recht differenziert erscheint.

Die weiteren Abschnitte, in denen sich die Autorin anderen Gruppen des Exils zuwendet, bei denen eine Wirkung der Ideologie von Reich und Ständen zu erkennen ist, wie vor allem bei den Konservativen Revolutionären im Umkreis Otto Strassers, sind von der Aufgabenstellung des Bandes her unverzichtbar, treten jedoch an Bedeutung ebenso zurück wie die Ausführungen über die "Gegenfolie" der Sozialisten und Kommunisten.

An Scharfsinn, Quellenfülle und Darstellungskraft sucht dieser Band seinesgleichen. Als Beispiel sei nur erwähnt, dass es Seefried gelungen ist, die Biografie des Reichskanzlers Wirth von Ulrike Hörster-Philipps (Paderborn u.a. 1998) hinsichtlich seiner Tätigkeit im Exil in nicht ganz unbedeutenden Punkten zu ergänzen. Andererseits wirft dieses Buch doch die kritische Frage auf, ob bei Autoren von geringerem Rang als Dietrich von Hildebrand immer die Gefahr vermieden worden ist, aus mehr oder weniger zufälligen, zeitgebundenen Äußerungen eine geschlossene Ideenwelt zu destillieren, deren spektrale Brechungen mit ähnlichen Gestaltungen in eine Reihe gerückt werden und eine Bedeutung erhalten, die sie vielleicht nicht gehabt haben. So wird man etwa fragen dürfen, ob Muckermanns Schwanken in der Beurteilung des Nationalsozialismus, das er bis ins Jahr 1933 an den Tag legte, tatsächlich durch seine "national konnotierte Reichsidee" (258) bedingt war oder doch eher durch die um sich greifende Verwirrung, in der nach dem späteren Urteil Karl Barths die (evangelische) Kirche dem Experiment des Nationalsozialismus die Chance zur Bewährung einräumen musste.

Die Sprache der Autorin ist flüssig und angenehm zu lesen, wenn auch gelegentlich aktuelle Modewörter wie "Fokus" störend wirken. Etwas irritierend ist die ständige Disqualifizierung des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung durch Hinzufügung negativer Adjektive, obwohl dieser Artikel unter der Präsidentschaft Eberts Erhebliches zur Stabilisierung der Republik beigetragen hat. Auch dürfte sich der Leser unter einem "Militär" (253), was Muckermanns Vater gewesen sein soll, etwas anderes vorstellen als einen Bataillonsschuster, was dieser während seiner Soldatenzeit war. Aus der Bezeichnung einer geplanten deutschen Verfassung als "Reichsverfassung" auf großdeutsche Aspirationen zu schließen (452), kann nicht überzeugen, weil Deutschland damals noch amtlich "Deutsches Reich" hieß.

Ein vorzügliches, vielleicht ein wenig zu sehr in die Breite gegangenes Buch.

Heinz Hürten