Winfried Bliß (Bearb.): Die Festungspläne des preußischen Kriegsministeriums. Ein Inventar (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 59), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, 2436 S., 2 Bde., ISBN 978-3-412-05006-1, EUR 149,90
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Durch das vorliegende Inventar im Geheimen Staatsarchiv Berlin werden erstmals die überwiegend aus den Beständen des ehemaligen preußischen Kriegsministeriums überlieferten Festungspläne erschlossen, die, anders als der zugehörige Aktenbestand, die weitreichende Zerstörung des Heeresarchivs Potsdam überstanden haben. Das Inventar verzeichnet mehr als 11.400 Einzelblätter. Die Masse der Pläne betrifft die preußischen Festungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, jedoch finden sich vereinzelt Blätter, die bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückreichen und solche, deren Ursprung im Ersten Weltkrieg liegen.
Die Ordnung der Pläne erfolgte geographisch nach dem Stand der historischen Territorien vor dem Ersten Weltkrieg: Festungen in Preußen; Bundesfestungen; Festungen und Befestigungen in deutschen Ländern (Baden, Bayern, Sachsen, Elsass); Festungen und Befestigungen im Ausland (Belgien, Bulgarien, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich-Ungarn, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien, Vereinigte Staaten). Den Abschluss bilden 14 Pläne von "Kampfhandlungen", die sich in erster Line auf das Zeitalter der Napoleonischen Kriege beziehen.
Innerhalb der Territorien wurden die einzelnen Objekte alphabetisch sortiert und wiederum nach einem einheitlichen Raster geordnet: Topographische Karten, Umgebung der Festungen; Festung insgesamt; Teile der Festungen, Festungswerke; Einzelne Bauwerke, Maschinen und Geräte; Stadtpläne; Verkehrs- und Transportwege. Die geographische und vom Allgemeinen zum Speziellen führende Verzeichnung erlaubt eine erste rasche Orientierung innerhalb des Bestandes, der zusätzlich über drei Verzeichnisse (Kartenbearbeiter und Kartographen, Ortsnamen, Personennamen) sowie eine abschließende Konkordanz der Signaturen zum Nachweis im Inventar erschlossen wird. Das Inventar wird zudem durch ein knappes Glossar der bei der Verzeichnung verwendeten "Festungsbegriffe" ergänzt, die die Benutzung auch ohne weiterführende Spezialliteratur erleichtern.
Insgesamt liegt, wie der Bearbeiter in der Einleitung des Inventars betont, "eine Fülle an Literatur sowohl zum Festungswesen insgesamt wie auch zu einzelnen Festungen" (14) vor. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die sogenannte "Festungsforschung" sowohl in der allgemeinen deutschsprachigen historischen Forschung, als auch in der jüngeren akademischen Militärgeschichte allenfalls ein Nischendasein fristet. Lediglich technikgeschichtliche Perspektiven bilden hierbei eine gewisse Ausnahme, was sicher auch an der Komplexität des Gegenstandes liegt, der ein gewisses Maß an ingenieurwissenschaftlichen Kenntnissen voraussetzt. Dies ist umso erstaunlicher, als die Anlage von Festungen neben dem Flottenbau zu den finanzintensivsten Rüstungsvorhaben des neuzeitlichen Staates gehörte. Hingegen spielt gerade in der angelsächsischen Forschung das Befestigungswesen unter anderem im Zusammenhang mit der "militärischen Revolution" der Neuzeit eine zentrale Rolle. So stellt denn auch die einzige von dem Bearbeiter genannte übergreifende Darstellung von Hartwig Neumann, die seit 1988 in zahlreichen Nachdrucken erschienen ist, aus wissenschaftlicher Perspektive wenig mehr als eine verdienstvolle, opulent bebilderte, aber weitgehend unsystematische Sammlung an Material dar.[1] Für den Bereich der frühen Neuzeit hat immerhin die These der Sozialgeometrie Henning Eichbergs eine gewisse Rolle gespielt [2], ohne dass sie jedoch weitergehende Forschungen nach sich gezogen hätte. Erst in jüngster Zeit hat Ralf Gebuhr auf die Schwächen dieses Interpretationsansatzes hingewiesen und für einen erweiterten Blick auf die "Zeichenhaftigkeit auch frühneuzeitlicher Wehrbauten in komplexen Zusammenhängen von Bau, Medialität und Rezeption" plädiert. [3]
Diese Kritik soll nicht den Wert oder die Qualität der vielfach aus regionaler oder denkmalpflegerischer Perspektive entworfenen Einzel- oder Regionalstudien in Frage stellen, doch herrscht hier ein eklatanter Mangel, das komplexe Phänomen des neuzeitlichen Festungsbaus in größere Zusammenhänge einzuordnen. Dies betrifft gerade auch die im Bestand des ehemaligen preußischen Kriegsministeriums breit überlieferten Festungsanlagen des 19. Jahrhunderts. Bedenkt man allein, welche immensen Mittel für das System der Bundesfestungen aufgewendet wurden, kann dies nicht ohne weitreichende Folgen sowohl für die Beziehungen der Einzelstaaten untereinander als auf deren Finanzverfassung und die lokalen und regionalen gesellschaftlichen Strukturen geblieben sein. Zwar ist der zugehörige preußische Aktenbestand wohl als Kriegsverlust anzusehen, doch haben derartige Großprojekte ihre Spuren auch in anderen Verwaltungszweigen hinterlassen, auf die der Bearbeiter in der Einleitung verweist (14). Wesentlich besser sieht die Überlieferungslage sicher für die Bundesfestungen und die übrigen erwähnten Festungen der im Inventar aufgeführten Territorien aus. In diesem Zusammenhang sei auch auf die bisher umfassendste "Bibliographie zur Geschichte des Festungsbaues von den Anfängen bis 1914" [4] von Klaus Jordan hingewiesen. Sie bildet für diese Fragestellungen ein unverzichtbares, verfasseralphabetisch, chronologisch und sachthematisch erschlossenes Werkzeug.
Insgesamt stellt dieses erste vollständige Inventar der Festungspläne des preußischen Kriegsministeriums ein vorzüglich erschlossenes Hilfsmittel für weitere Forschungen an diesem wichtigen Bestand dar. Für die Detailarbeit wird man diese gedruckte Fassung gerne zur Hand nehmen, von der eine Datenbankversion auf der Internetpräsenz des Geheimen Staatsarchivs Berlin als Bestandsgruppe in der Inventardatenbank "Karten" verfügbar ist. [5]
Anmerkungen:
[1] Hartwig Neumann: Festungsbaukunst und Festungsbautechnik. Deutsche Wehrbauarchitektur vom XV. bis XX. Jahrhundert. Mit einer Biographie deutschsprachiger Publikationen über Festungsforscher und Festungsnutzer 1945-1987, Koblenz 1988.
[2] Henning Eichberg: Festung, Zentralmacht und Sozialgeometrie. Kriegsingenieurwesen des 17. Jahrhunderts in den Herzogtümern Bremen und Verden, Köln 1989.
[3] Ralf Gebuhr: Festung und Repräsentation. Zur Sozialgeometrie-These von Henning Eichberg, in: Torsten Meyer / Marcus Poplow (Hgg.): Technik, Arbeit und Umwelt in der Geschichte. Günter Bayerl zum 60. Geburtstag, Münster 2006, 181-200, 199f.
[4] Klaus Jordan (Bearb.): Bibliographie zur Geschichte des Festungsbaues von den Anfängen bis 1914. Festungsbau[kunst], Angriff und Verteidigung von Festungen, Belagerungs- und Festungskrieg, Küstenbefestigung, Felsbefestigung, Minir[kunst], Geschichte des Ingenieur-Korps mit Anhang Militärische Enzyklopädien, -Lexika und -Wörterbücher, Chronologisches Kurztitelverzeichnis, Sachregister, Marburg 2003.
[5] http://www.gsta.spk-berlin.de/inventare_ausserhalb_der_datenbank_494.html.
Martin Winter