Eric Salerno: "Uccideteli tutti". Libia 1943: gli ebrei nel campo di concentramento fascista di Giado, Mailand: Il Saggiatore 2007, 238 S., ISBN 978-88-4281471-9, EUR 17,00
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Giado gehört zu den vergessenen Opferorten der Mussolini-Diktatur. Dabei befand sich in dem unwirtlichen Wüstenflecken südlich der libyschen Hauptstadt Tripolis eines der menschenunwürdigsten Konzentrationslager des faschistischen Regimes. [1] Im Februar 1942 eingerichtet, beherbergte das Lager tausende jüdische Männer, Frauen und Kinder, von denen in wenigen Monaten knapp 600 vor allem an Seuchen, physischer Erschöpfung und Unterernährung, aber auch an Misshandlungen durch das italienische Wachpersonal starben.
Mehr als 62 Jahre nach dem Ende des Faschismus hat nun Eric Salerno, ein umtriebiger Journalist, die erste Monografie zu Giado vorgelegt. Sie basiert zu einem großen Teil auf in Yad Vashem überlieferten Augenzeugenberichten von Überlebenden. Dieser bis dato von der Faschismusforschung völlig unbeachtete Quellenkorpus hat sich als echter Glücksfund erwiesen, da Akten auf italienischer Seite nur in Teilen überliefert oder zugänglich sind. Anhand der vorliegenden staatlichen Akten sowie der Augenzeugenberichte zeichnet Salerno ein über weite Strecken nachgerade verstörendes Bild vom Vorgehen des faschistischen Regimes gegenüber den etwa 60.000 in Libyen lebenden Juden. Deren Verfolgung begann im Februar 1942, als sich für die oberste Führung des faschistischen Regimes die Vorstellung einer "jüdisch-plutokratischen Weltverschwörung" anscheinend voll zu bestätigen schien. Tatsächlich hatten nämlich einzelne Juden zuvor mit den britischen Truppen zusammengearbeitet, nachdem diese vorübergehend Teile der Cyrenaika erobert hatten. Die politisch-militärische Reaktion der Italiener ließ nicht lange auf sich warten: Jüdische Familien wurden in frontnahen Bereichen kurzerhand aus ihren Häusern gezerrt und auf Lastwagen verfrachtet, die sie ins Konzentrationslager Giado, eine ehemalige Kaserne, brachten. Viele starben bereits auf der tagelangen Fahrt an Hitze und Durst. Im Lager herrschten dann extreme, ja menschenunwürdige Verhältnisse. In den Baracken waren die Insassen auf engstem Raum zusammengepfercht, die Schlafplätze reichten nicht für alle und die hygienischen Verhältnisse spotteten jeder Beschreibung. Eine medizinische Versorgung gab es nicht, wer in die Krankenbaracke kam, war dem Tod geweiht. Die Tagesration an Lebensmitteln schließlich bestand aus gerade einmal 100 Gramm Brot.
Wie bei der Lektüre sehr deutlich wird, waren auch Erniedrigungen durch das Wachpersonal an der Tagesordnung. Augenzeugen berichteten etwa von einem Rabbi, den italienische Soldaten dazu zwangen, den Boden mit seinem Bart zu putzen. Vergehen gegen die Lagerordnung ahndeten die Wachleute mit Nahrungsentzug und Prügel. Darüber hinaus kam es vor, dass Gefangene mit kaltem Wasser übergossen wurden, um die eisige Wüstennacht dann stehend auf dem Appellplatz zu verbringen. Hinzu kam Zwangsarbeit. Die ohnehin schon entkräfteten Menschen mussten täglich schwere Steine von einem Ende des Lagers zum anderen und wieder zurück schleppen. Dahinter stand möglicherweise sogar eine gezielte Politik der Vernichtung durch Arbeit. Wie zumindest der Lagerkommandant einem Inhaftierten gegenüber zu verstehen gab, seien die Juden im Lager allein zum Sterben da. Kurz nach der Niederlage von El Alamein kam dann tatsächlich der Befehl, vor Räumung des Lagers alle Insassen umzubringen: Die noch gesunden Gefangenen hatten sich auf dem Appellplatz vor Maschinengewehren aufzustellen, die Kranken sollten in den Baracken verbrannt werden. Nach stundenlangem Warten auf die Bestätigung des Befehls kam jedoch ein erlösender Gegenbefehl. Wer ihn erteilt hatte und vor allem warum, kann Salerno aufgrund der schwierigen Quellenlage allerdings nicht sagen.
Mit seinem Buch revidiert der italienische Journalist souverän frühere, eindeutig auf Verharmlosung der faschistischen Diktatur zielende Forschungspositionen. So beschrieb Renzo De Felice, über lange Jahre der Doyen der italienischen Faschismusforschung, die Lebensbedingungen in Giado als "schwierig, aber nicht dramatisch" [2], ohne freilich Quellen für diese Behauptung beizubringen. Salernos Buch regt zu weitergehenden Fragen an: Inwieweit spielten die Erfahrungen, die die Italiener in Libyen gemacht hatten, bei der Einführung der Zwangsarbeit für Juden in Italien im Mai 1942 eine Rolle? In anderen Worten: Wirkte in dieser zentralen Frage möglicherweise die Peripherie auf das Mutterland zurück? Welche Rolle spielte zudem der nationalsozialistische Achsenpartner bei der Verfolgung der libyschen Juden? Salerno deutet an mehreren Stellen an, es habe eine deutsche Einflussnahme gegeben, kann hier aber nur erste Vermutungen anstellen (47 und 52).
Kritik ist in zwei Punkten anzumelden. So hätte Salerno zum einen die Judenverfolgung in Libyen stärker in die Geschichte der italienischen Besatzungspolitik einbetten müssen. Zur gleichen Zeit wie die Juden sahen sich nämlich auch die Araber einer massiven Repressionswelle ausgesetzt. Es kam zu erschreckenden Gewaltexzessen: Araber wurden wahllos auf offener Straße erschossen, mit Handgranaten getötet oder sogar bei lebendigem Leib verbrannt. Auch wenn letztlich keine eigenen Lager für Araber eingerichtet wurden, verschwammen für hartgesottene Faschisten doch zunehmend die "rassischen" Grenzen: Vor allem die Beduinen wurden immer mehr als "Semiten" wahrgenommen. Der zweite Kritikpunkt betrifft die Organisation des Stoffes. Salerno schien offensichtlich eine chronologische Gliederung nicht ansprechend genug, was seiner Profession geschuldet sein mag. Stattdessen hat er sich dafür entschieden, zwischen den einzelnen Kapiteln große perspektivische und zeitliche Sprünge zu machen: Einmal erzählt er aus dem Libyen der Jahre 1940 bis 1943, im nächsten Kapitel führt er den Leser ins Israel der 1970er Jahre, um dann wieder ins Rom der Kriegszeit zu wechseln, wo die Entscheidung zur Internierung der Juden fiel. Das macht es gerade dem wenig informierten Leser schwer, dem ohnehin schon komplexen Inhalt zu folgen. Gleichwohl hat Salerno einen essenziellen Beitrag zur Geschichte des italienischen Antisemitismus in der Spätphase des faschistischen Regimes vorgelegt.
Anmerkungen:
[1] Auf Deutsch hierzu: Amedeo Osti Guerrazzi / Costantino di Sante: Die Geschichte der Konzentrationslager im italienischen Faschismus, in: Faschismus in Italien und Deutschland. Studien zu Transfer und Vergleich, hg. von Sven Reichardt / Armin Nolzen, Göttingen 2005, 176-200.
[2] Übersetzung durch den Rezensenten. Vgl. Renzo De Felice: Ebrei in un paese arabo. Gli ebrei nella Libia contemporanea tra colonialismo, nazionalismo arabo e sionismo (1835-1975), Bologna 1978, 274.
Patrick Bernhard