Rezension über:

Chava Fraenkel-Goldschmidt (ed.): The Historical Writings of Joseph of Rosheim. Leader of Jewry in Early Modern Germany. With an Introduction, Commentary and Translations. Translated from the Hebrew by Naomi Schendowich. English Edition Edited and an Afterword by Adam Shear (= Studies in European Judaism; Vol. 12), Leiden / Boston: Brill 2006, xiii + 445 S., ISBN 978-90-04-15349-3, EUR 159,00
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Rezension von:
Rotraud Ries
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Rotraud Ries: Rezension von: Chava Fraenkel-Goldschmidt (ed.): The Historical Writings of Joseph of Rosheim. Leader of Jewry in Early Modern Germany. With an Introduction, Commentary and Translations. Translated from the Hebrew by Naomi Schendowich. English Edition Edited and an Afterword by Adam Shear, Leiden / Boston: Brill 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/01/11810.html


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Chava Fraenkel-Goldschmidt (ed.): The Historical Writings of Joseph of Rosheim

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Joseph oder - in der bekannteren Namensform - Josel von Rosheim (ca. 1478 -1554), war, so besagt es bereits der Untertitel dieses Buches, in der Judenschaft des Römisch-Deutschen Reiches im 16. Jahrhundert die Führungsfigur schlechthin. Fast ein halbes Jahrhundert lang hat er bis zu seinem Tod vom Elsass aus, wo er an verschiedenen Orten lebte und als Landesvorsteher gewählt war, als Fürsprecher für einzelne Gemeinden, regionale Korporationen wie auch für die rudimentär organisierte Reichsjudenschaft fungiert. Unermüdlich schrieb er Bittschriften oder reiste durch die Lande in diesem von Vertreibungen und Verfolgungen geprägten Jahrhundert, um das Schlimmste abzuwenden und in einen konstruktiven Dialog mit den politischen Instanzen einzutreten. Er zeichnete sich nicht nur durch ein hohes Kommunikationstalent aus, sondern verfügte auch über die notwendigen Beziehungen am Kaiserhof, die ihn nach den Maßstäben der Zeit und vor dem Hintergrund des Tiefststandes jüdischer Lebensbedingungen im Reich bemerkenswert erfolgreich machten.

Wenige Jahre vor seinem Tod 1554 - vermutlich um 1547 - verfasste Josel von Rosheim eine Darstellung, in der er in chronikalischer Form Zeugnis über sein Engagement ablegt. Der Text wurde 1996 auf Hebräisch ediert und liegt nun in englischer Übersetzung vor. In relativ knappen Einträgen zu ausgewählten Ereignissen, im Wesentlichen zwischen 1503 und 1547, berichtet Josel über die vielen Krisen und Verfolgungen, gegen die seine politisch-diplomatischen Aktivitäten gerichtet waren. Und gestaltet seine Einträge zugleich als Erinnerung an die Bedrohungen des jüdischen Volkes sowie an seine Märtyrer und als Beweis für das segensreiche Wirken Gottes: So nimmt er sich in der Schilderung seines Agierens stark zurück und stellt sich als Werkzeug Gottes dar. Der von seinem Autor nicht publizierte Text changiert damit zwischen Chronik, Memorbuch und religiös-moralischem Lehrtext.

Der knapp gehaltene Text (in der Übersetzung 303-339), dessen hebräische Fassung man sich synoptisch gewünscht hätte, bedarf der Erläuterung, denn andernfalls würde man die meisten Einträge nicht verstehen.

Hierin lag die Hauptarbeit von Chava Fraenkel-Goldschmidt, der Bearbeiterin des hebräischen Originals, die jeden der Einträge ausführlich kommentiert und auf Grundlage der Sekundärliteratur und weiterer archivalischer Quellen kontextualisiert hat. Diese ausführlichen Kommentare bzw. Einführungen zu den einzelnen Abschnitten der Chronik nehmen zusammen mit der Einleitung die ersten 300 Seiten des Buches ein. Es folgen Edition und Kommentierung von vier weiteren historisch bedeutenden, kürzeren Schriftstücken Josels aus den Jahren 1530 bis 1552: die Takkanot (Ordnungen), die die Gesandten der deutschen Juden 1530 auf dem Reichstag in Augsburg verabschiedeten, sowie ähnliche Bestimmungen der unterelsässischen Juden von 1536, all dies Maßnahmen zur Regulierung des Geschäftsverkehrs zwischen Juden und Christen; der Trostbrief an die hessischen Juden gegen eine extrem repressive Judenpolitik, die auf Vorschläge des Reformators Martin Bucer zurückging (1541); der Brief Josels an den Magistrat in Straßburg (1543), in dem er um Unterstützung gegen die politischen Folgen der antijüdischen Publikationen Martin Luthers bittet; sowie ein stärker historiographisches Fragment mit politischen Betrachtungen zu den Ereignissen im Elsass 1551/52, die Teil des Krieges der aufständischen evangelischen Fürsten und des französischen Königs gegen den Kaiser waren. Faksimiles der ersten Seiten des Manuskripts, Personen-, Orts- und Sachindex runden den Band ab.

In der umfangreichen Einleitung zur Chronik erweist sich die noch vor ihrer Publikation verstorbene Bearbeiterin als exzellente Kennerin der Materie. Neben den eher spärlich überlieferten biographischen Informationen - Josel selbst ist an dieser Stelle ausgesprochen schweigsam - bietet die Einleitung vor allem eine Gesamtwürdigung von Josels Tätigkeit und seines Schreibens; wer sich einen Überblick über den Inhalt der Chronik verschaffen will, dem sei die Zusammenfassung (42-45) empfohlen.

Wenngleich Josel seine eigene Rolle im Geschehen eher beiläufig einbringt, so versetzte ihn doch erst seine nahe Anschauung der Ereignisse in die Lage, über sie schreiben zu können: Jahrzehntelang hatte er für die Belange lokaler oder territorialer Judenschaften gekämpft oder für die Interessen der Judenschaft des Reiches verhandelt. Die Themen, um die es dabei ging, werfen ein Schlaglicht auf die Krisenhaftigkeit jüdischer Existenz in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts: Hostienfrevelanklagen in Brandenburg (1510) und Mittelbergheim (1513/14), Ritualmordanklagen in Endingen (1470, hier war Josels Familie betroffen), Pösing (1528/29), Tittingen (1540), Würzburg (1543/44) und vor allem Vertreibungen: Oberehnheim (1505-1522), Straßburg (1514/15), Regensburg (1519), Sachsen (1536/37), Neapel (1540/41), Prag (1541/42), Esslingen, Landau und Erzstift Mainz (1544/45). Das ist jedoch noch nicht alles: Engagiert war Josel auch gegen die Bücherkonfiskationen durch den Konvertiten Pfefferkorn, die Bedrohung der Juden in Jägerndorf/ Schlesien (1532/33) sowie diverse kriegsbedingte Verfolgungen, u.a. im Bauern- und im Schmalkaldischen Krieg. Nur in einem Fall schildert Josel sein Eingreifen in einem großen Gemeindekonflikt, in Prag 1533/34. Und schließlich die Reichstage, auf denen er anwesend war: Nürnberg 1521/22, Augsburg 1529/30, Regensburg 1532, ebendort 1541, Worms 1544/45 und wieder Regensburg 1546. Ihre Bühne nutzte er nicht nur zu Verhandlungen über die gerade anstehenden Probleme und zur Intervention in Normsetzungsprozesse, sondern suchte in geschickten Verhandlungen die Rechtsstellung der Juden durch Privilegien zu sichern, durch die die Judenschaft in den folgenden Jahrzehnten wenigstens ein Mindestmaß an Rechtssicherheit erlangte.

Die Vielfalt der Zusammenhänge und Foren, in denen Josel von Rosheim agierte, zeigt einmal mehr die komplexe Struktur der politischen Bezüge, in die die Juden eingebunden waren und in denen sie, soweit es ihnen möglich war, auch politisch handelten: Reich, Landesherrschaft, kleine Adelsherrschaften, Landgemeinden und Städte. Die Geschichte der frühneuzeitlichen Juden allein vom Reich her zu deuten, gar vom "Jüdischen Heiligen Römischen Reich" zu sprechen, wie das in der Forschung in den letzten Jahren vorgeschlagen wird, greift also zu kurz.

Der Wert von Edition, Kommentaren und der hier vorliegenden Übersetzung der historischen Schriften Josels von Rosheim sind wie die Sorgfalt, mit der sie erstellt wurden, nicht hoch genug einzuschätzen. Kritik ist damit insgesamt kaum zu üben - nur zwei Feststellungen seien erlaubt: Es ist nachvollziehbar, dass die Bearbeiterin der hebräischen Edition, die all ihre Recherchen von Israel aus und vor dem Internet-Zeitalter hat vornehmen müssen, eher die ältere Literatur rezipierte, die sie dann aber in großer Gründlichkeit auswertete. Bedauerlicherweise fehlen dem Band allerdings ein Literatur- sowie ein Quellenverzeichnis. Eine Aktualisierung des Forschungsstandes wäre im Rahmen der englischen Edition durchaus möglich gewesen. Doch diese Chance wurde zu wenig genutzt. Zwar hat der Herausgeber Adam Shear eine wichtige Neubewertung von Josel und seinen Schriften vorgenommen, den politischen Handlungsspielraum der Juden im 16. Jahrhundert hervorgehoben und die Chronik in den Rahmen frühneuzeitlicher (jüdischer) Selbstzeugnisse und aktueller Selbstzeugnisforschung gestellt. Dabei hat er aber - mit einer Ausnahme - ausschließlich die englischsprachige Forschung berücksichtigt.

Der Anmerkungsapparat der Einleitung und des Kommentarteils wurde hingegen so gut wie gar nicht aktualisiert. Schade, denn gerade in Deutschland hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten einiges getan, so dass der Nutzer der Edition gut beraten ist, sich andernorts die nötigen aktuellen Informationen zu beschaffen.

Eine Fortsetzung, die Übersetzung der ebenfalls von Chava Fraenkel-Goldschmidt besorgten Edition von Josels Sefer ha-Miknah ins Englische oder Deutsche wäre sehr zu begrüßen. Neben den Exzerpten aus philosophischen Schriften sefardischer Autoren enthält auch dieses Buch wichtige historiographische Beobachtungen und Deutungen zu Josels Zeit.

Rotraud Ries