Rezension über:

Roger D. Woodard (ed.): The Cambridge Companion to Greek Mythology, Cambridge: Cambridge University Press 2008, xvi + 536 S., ISBN 978-0-521-60726-1, GBP 18,99
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Rezension von:
Martin Lindner
Institut für Geschichte, Abteilung für Alte Geschichte, Carl von Ossitzky-Universität, Oldenburg
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Martin Lindner: Rezension von: Roger D. Woodard (ed.): The Cambridge Companion to Greek Mythology, Cambridge: Cambridge University Press 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/01/14310.html


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Roger D. Woodard (ed.): The Cambridge Companion to Greek Mythology

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Eine konzise Einführung auf aktuellem Forschungsstand für eine möglichst breite Leserschaft zu bieten - so lautet im Wesentlichen der Anspruch der wachsenden Companion-Literatur aller großen Wissenschaftsverlage. Der vorliegende Band füllt eine Lücke in der Reihe der "Cambridge Companions", die mit eben solchem Selbstverständnis bereits gute Hilfsmittel zu Autoren (Ovid, Platon), Epochen (Archaisches Griechenland, Römische Republik) oder kulturellen und literarischen Erscheinungen (antikes Theater, antiker Roman) hervorgebracht hat. Der "Companion to Greek Mythology" bildet hiervon keine Ausnahme, allerdings trüben einige Aspekte das eigentlich sehr positive Gesamtbild etwas ein.

Der Band teilt seine 16 Beiträge in drei Hauptteile auf: "Sources and Interpretations", "Response, Integration, Representation" und "Reception". Der Schwerpunkt liegt hierbei eindeutig auf dem ersten Abschnitt, der sich mit den Ausformungen des Mythos von der oral poetry bis zu den hellenistischen Mythografen befasst und gut die Hälfte des gesamten Bandes ausmacht. "Response, Integration, Representation" versammelt Beiträge zum Verhältnis zwischen Mythos und verschiedenen Lebensbereichen und Künsten, zur Bildsprache und zur römischen Adaption. Der umfangreiche Rezeptionsteil trägt der allmählichen Etablierung dieses Forschungszweigs Rechnung und beschäftigt sich mit der Aufnahme von der mittelalterlichen Literatur bis zum mythischen Antikfilm.

Diesen Hauptteilen vorgeschaltet sind jeweils zwei mehrseitige Auszüge aus den Werken von Nathaniel Hawthorne und Apollodoros oder Hesiod. Diese Gegenüberstellung von Klassikern der amerikanischen Romantik mit deren antiken Vorlagen sowie wissenschaftlichen Aufsätzen soll eine doppelte Funktion erfüllen: die Adaptionsfähigkeit griechischer Mythen aufzuzeigen, aber ebenso die Diskrepanz zwischen vermeintlicher Vertrautheit und tatsächlicher Fremdheit zu illustrieren (11ff.). Das Ergebnis ist symptomatisch für die strukturellen Probleme des Bandes. Statt Aufmerksamkeit auf die durchweg guten Beiträge zu lenken, irritieren solche bemüht wirkenden Maßnahmen und hemmen den Lesefluss der eigentlich gut abgestimmten Zusammenstellung. Gleiches gilt für die sehr gewollte Einteilung in die drei Hauptabschnitte mit ihren nicht immer gelungenen Titeln.

Die zweite Schwierigkeit ergibt sich aus der durch die Reihenkonzeption vorgegebenen Orientierung an einer Zielgruppe vom Spezialisten bis zum interessierten Laien. Es gelingt dabei erstaunlich vielen Beiträgen, diesen unmöglich scheinenden Spagat zu bewältigen. Stellvertretend für die drei Hauptteile seien hier besonders Richard Buxtons "Tragedy and Greek Myth" (166-189), Jonathan M. Halls "Politics and Greek Myth" (331-354) und H. David Brumbles "Let Us Make Gods in Our Image" (407-424) genannt, die in vorbildlicher Weise an komplexe Fragestellungen heranführen und zugleich wichtige Denkanstöße für künftige Forschungen geben. Insgesamt wird jedoch vom Leser bereits ein gewisses Maß an Vertrautheit mit Inhalten und Fachsprache vorausgesetzt. Dieser Umstand dürfte, nicht zuletzt angesichts eines fehlenden Glossars, für Einsteiger eine sehr hohe Hürde darstellen.

Vergleichbare Probleme treten in der Nachweisführung auf, augenfällig am Beispiel der Zitate und der Lektüreempfehlungen: Im Sinne einer breiten Leserorientierung werden die altsprachlichen Texte lediglich in Übersetzung angegeben, zentrale Begriffe aber zusätzlich in lateinischer Umschrift und im griechischen Original. Das Ergebnis ist eine sperrige Klammer-Konstruktion nach dem Schema "Übersetzung (Transkription [Originaltext])". Bei den Lektüreempfehlungen beschränken sich die meisten Autoren auf wenige Zeilen zu einer Handvoll Titeln. In anderen Fällen werden dagegen mehrseitige bibliografische Essays aufgeboten.

Diese Einschränkungen sollen in keiner Weise die exzellente Qualität der einzelnen Texte herabsetzen. Allerdings beeinträchtigen übermäßige Strukturierungsversuche einerseits und verschiedene Unausgewogenheiten andererseits die Nutzbarkeit gerade im akademischen Lehrbetrieb in nicht unerheblicher Weise. "Hesiod and the Greek Myth" von Roger D. Woodard (83-165) etwa enthält anregende Überlegungen zur Beziehung zwischen griechischem Mythos und einer älteren indo-europäischen Tradition und arbeitet diesen Konnex anhand genauer Textvergleiche von Kleinasien bis Indien heraus. Als Einstieg in die wichtigsten Fragestellungen zu Hesiod ist der recht anspruchsvolle Text jedoch nur bedingt tauglich - auch weil er mit über 80 Seiten fast denselben Umfang einnimmt wie der gesamte dritte Hauptteil.

Positiv fällt dagegen die vorbildliche Verschränkung der einzelnen Abschnitte auf sowie das sehr zuverlässige Register. Die Abbildungen sind mit Bedacht ausgewählt und mehrheitlich von guter Qualität. Jedoch irritiert das nötige Springen zum mittig eingebundenen Bildteil, insbesondere im ansonsten sehr ansprechenden Beitrag von Jenifer Neils zu "Myth and Greek Art" (286-304).

Es wäre allzu leicht und ungerecht, vor dem Hintergrund eines solch facettenreichen Themas einzelne Teilaspekte zu benennen, die ebenso hätten Eingang in einen derartigen Companion finden können. Zudem blicken die einzelnen Texte immer wieder mit Gewinn über die Grenzen ihres unmittelbaren Themas hinaus. Auf wenigen Hundert Seiten die griechische Mythologie von ihren Ursprüngen bis zu ihrer modernen Rezeption auf der Basis aktueller Forschungsfragen zu behandeln, ist eine große Herausforderung. Der vorliegende Band wird diesem Anspruch dank der überdurchschnittlichen Qualität seiner Beiträge trotz der genannten strukturellen und konzeptionellen Abstriche mehr als gerecht. Selbst angesichts der Konzentration auf englischsprachige Literatur wird der "Cambridge Companion to Greek Mythology" auch für den hiesigen Lehrbetrieb ein wertvolles Hilfsmittel darstellen, dessen Benutzung nur empfohlen werden kann.

Martin Lindner