Ute Essegern: Fürstinnen am kursächsischen Hof. Lebenskonzepte und Lebensläufe zwischen Familie, Hof und Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 19), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2007, 524 S., ISBN 978-3-86583-074-6, EUR 72,00
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Die Historiografie hat frühneuzeitliche Fürstinnen nicht erst mit der Frauen- und Geschlechterforschung entdeckt. Bereits die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts verfasste 'Charakterbilder' hochadliger Frauen, die zumeist vorschnell und unreflektiert werteten und dabei reich an topischen Verbeugungen waren. Diese aus üppigem archivalischem Material schöpfenden, jedoch selten quellenkritischen Arbeiten verbargen ihre traditionelle Herkunft aus der Hof- und Dynastiegeschichtsschreibung nicht. Mit dem 'cultural turn' in der Geschichtswissenschaft traten - nun jedoch mit innovativer Methodik und veränderter Fragestellung - die Fürstinnen erneut in den Mittelpunkt des Interesses. Seit den 1980er Jahren fanden sie in der Frauen- und Geschlechtergeschichtsschreibung, der modernen Reichshistoriografie und vor allem in der landesgeschichtlichen Forschung verstärkte Aufmerksamkeit. Die sächsische Landesgeschichte hat diesen Untersuchungsgegenstand erst mit einer gewissen Verzögerung aufgegriffen. Die derzeitige thematische Konjunktur belegen ein bereits vorliegender Tagungsband zur Witwenschaft in der Frühen Neuzeit und verschiedene laufende Projekte zu herausragenden Fürstinnenpersönlichkeiten wie Anna von Dänemark (1532-1585) und Elisabeth von Rochlitz (1502-1557).
Die hier zu besprechende Monografie über "Fürstinnen am kursächsischen Hof" reiht sich somit in einen aktuellen landesgeschichtlichen Forschungskontext ein. Allerdings verzichtet die Autorin Ute Essegern auf die Untersuchung prominenter Beispiele und rückt stattdessen drei bislang kaum bekannte und, wie auch ihre Arbeit zeigt, keineswegs unterschätzte Fürstinnen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Es handelt sich um die Ehefrauen der sächsischen Kurfürsten Christian II. (reg.1601-1611) und Johann Georg I. (reg.1611-1656): Hedwig von Dänemark (1581-1641) sowie Sibylla Elisabeth von Württemberg (1584-1606) und Magdalena Sibylla von Preußen (1586-1659). Die Auswahl dieser nicht eben historisch exponierten Frauen wird weder erläutert noch ist sie erkennbar methodisch begründet.
Das Buch basiert auf einer 2004 an der Technischen Universität Chemnitz eingereichten Promotionsschrift. Der Stoff wurde in sechs Großkapitel gegliedert, die wiederum durch zahlreiche Unterkapitel strukturiert werden. Auf eine relativ knappe Einleitung (11-22) folgt ein Abschnitt zum "Lebensraum kursächsischer Fürstinnen" (23-48), in dem neben grundsätzlichen Fragen wie "Frauenleben in der Frühen Neuzeit" oder dem "rechtlichen Rahmen fürstlicher Ehen" auch die politische Geschichte Kursachsens in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts abgehandelt wird. Die Darstellung der individuellen Lebenswege der Fürstinnen beansprucht den weitaus größten Umfang (49-413), wobei die Autorin hier die Biografien aller drei Frauen synchron von der Kindheit bis zum Tod untersucht, um am jeweiligen Kapitel-Ende die wichtigsten biografischen Informationen nochmals zusammenzufassen. Den Abschluss des Darstellungsteils bildet ein resümierendes Kapitel mit dem erwartungsvollen Titel "Lebenskonzepte und Lebensläufe kursächsischer Fürstinnen 1601-1656" (415-433). Ein Anhang bietet neben Karten und genealogischen Tafeln auch Bildnisse und Schriftproben der Fürstinnen sowie einen Abdruck der Testamente und anderer Dokumente. Das 13 Seiten umfassende Personenregister erleichtert die Arbeit mit dem umfangreichen Band.
Die Darstellung wird auf einer umfangreichen Quellenbasis entwickelt, welche größtenteils aus ungedruckten Archivmaterialien besteht. Sowohl die Aktenmenge als auch die Zahl der benutzten deutschen und europäischen Archive vermögen zu beeindrucken. Da die Autorin zudem einen flüssigen Schreibstil pflegt, bleibt das Buch gut lesbar - trotz einer enormen Detailfülle und zahlreicher Redundanzen. Diese, sowie eine deutliche Tendenz zur anekdotenhaften Erzählung, sind allerdings Symptome eines grundsätzlichen Problems: des Verzichts auf eine Erkenntnis leitende Fokussierung der Darstellung. Stattdessen wird einleitend die unspezifische Fragestellung nach den "Handlungsräumen" hochadliger Frauen in der Frühen Neuzeit formuliert (15). Da sich das Interesse somit auf sämtliche Bereiche einer, damals wie heute, komplexen Lebenswelt bezieht, entsteht eine bisweilen recht weitschweifige Erzählung. Diese narrative Darstellungsform vermag allerdings nur unzureichend neue Erkenntnisse sinnvoll zu ordnen und zu pointieren. Zahlreiche Details stehen in den zusammenfassenden Kapiteln somit ohne deutliche erkenntnistheoretische Hierarchisierung nebeneinander. Eine Ziel führende These oder ein Leitgedanke ist nicht erkennbar.
Die avisierte "detaillierte Beschreibung der konkreten Lebensumstände" der sächsischen Fürstinnen (15) erweist sich, trotz der Fülle des Quellenmaterials, aufs Ganze gesehen als kaum realisierbar. So bleibt die Autorin nicht selten auf Mutmaßungen angewiesen, um Lücken im wohl kaum je vollständig zu schließenden Mosaik der historischen Lebensläufe zu füllen. Als problematisch erweist sich dabei nicht zuletzt ein Mangel an Quellenkritik. So zeigt sich die Autorin verwundert über die durchweg idealisierenden Darstellungen der Leichenpredigten (202), ohne sich eingehender mit den topischen Charakteristika dieses Genres auseinanderzusetzen. Daneben stehen Fälle, in denen den Archivalien eindeutig eine zu große Aussagekraft beigemessen wird. So blieb es für die kursächsische Politik während des Jülich-Klevischen Erbfolgestreits (273f.) und im Dreißigjährigen Krieg (304f., 315 u.a.) schlichtweg unerheblich, welche subjektiven Meinungen die Fürstinnen in ihren Briefen vertraten. Die politische Dimension familiär-dynastischer Netzwerke, eine der zentralen Fragestellungen neuer Forschungen, bleibt hingegen auch an dieser Stelle nur unscharf erkennbar.
Die Lebensläufe der Protagonistinnen werden insgesamt recht positiv, bisweilen etwas zu undistanziert dargestellt. So findet vor allem das soziale Engagement aller drei Fürstinnen besondere Betonung (429), obwohl die angeführten Beispiele kaum über die übliche (oder stilisierte) und rollengemäße fürstliche Mildtätigkeit hinaus weisen dürften. Diese Identifikation mit dem Untersuchungsgegenstand verweist allerdings auf ein in der sächsischen Landesgeschichtsschreibung der Nachwendezeit vereinzelt zu beobachtendes Phänomen: auf eine erstaunliche Harmoniebedürftigkeit, die in der Ausblendung sozialer Gegensätze beziehungsweise in der Negierung "klassischer" Konfliktfelder (wie des Verhältnisses von Landständen und Landesherrn) deutlich wird. Seine Ursachen mag diese Tendenz sowohl in der (nachholenden) als Identität stiftend gedachten Elitenforschung der neueren sächsischen Landesgeschichte als auch in einem zu starken Vertrauen auf die ausschließliche Aussagekraft der Akten haben.
Die Studie bietet zweifellos Neues, vor allem in der instruktiven Analyse fürstlicher Eheverträge (26-30) und im Hinblick auf die Fülle des erschlossenen Quellenmaterials. Die Autorin eröffnet damit Perspektiven für die Komparatistik eines Fürstinnentypus im Spannungsfeld zwischen Krieg und Frieden in der Vormoderne.
Sebastian Kusche