Rosa Smurra: Città, cittadini e imposta diretta a Bologna alla fine del Duecento. Ricerche preliminiari, Bologna: Clueb 2008, 206 S., ISBN 978-88-491-2974-8, EUR 20,00
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Rosa Smurra, Spezialistin für die Stadtgeschichte Italiens, stellt in diesem Band eine reichhaltige Quelle zur Geschichte Bolognas am Ende des 13. Jarhrhunderts vor. Es handelt sich um die großen Fiskalenqueten der Kommune aus den Jahren 1296/97, die heute im Stadtarchiv Bologna in 47 Kisten im Bestand "Comune, Ufficio dei riformatori degli estimi, s. II, 1296-97, bb. 2-48" aufbewahrt sind. Die Erhebung sollte der Stadtregierung für die Besteuerung die nötigen Auskünfte über das Vermögen der einzelnen Bürger geben und erfasste praktisch alle Einwohner innerhalb der Mauern und in der unmittelbaren Umgebung Bolognas, so dass diese relativ gut erhaltenen Quellen uns ein Gesamtbild der Stadtbevölkerung und -gliederung in den Jahren 1296/97 bieten.
Die Enquete begann offiziell am 3. Mai 1296 mit einer Steuerordnung, erlassen von den beiden wichtigsten Kommunalorganen, der "Otto della guerra" und der "Quattro Anziani e Consoli del Popolo". Schon im Mai und Dezember wurde es aber nötig, weitere vier Steuerordnungen zu veröffentlichen, insbesondere weil die Bürger in der Zwischenzeit Mittel gefunden hatten, sich der Besteuerung zu entziehen. Jeder Einwohner sollte innerhalb von 10 Tagen nach der Veröffentlichung der ersten Steuerordnung folgende Angaben machen: seinen Namen, sein cognomen, gegebenenfalls den Namen, unter dem er in der Stadt bekannt war (die Familiennamen waren in Bologna damals noch in der Entstehungsphase), das Wohnviertel und die contrada, in der er im letzten Jahr ansässig gewesen war, seinen Grundbesitz, den vermieteten Besitz, die Kredite und Schulden, investierte Kapitalien und schließlich Besitz wie Vieh, Korn, Wein usw. Die Enquete war keineswegs nur an die Reichen oder die Haushaltsvorstände gerichtet, denn das Minimum des steuerpflichtigen Besitzes war relativ klein: 10 Bologneser Lire. Auch die Kinder, die bei den Eltern wohnten, Ehefrauen und Diener sollten ihren Besitz angeben, falls es sich um mehr als 10 Lire handelte. Die Steuer erlassen bekamen die 1280 befreiten Einwohner des contado, Ehefrauen, die nur ihre Mitgift besaßen, aber auch ausländische Studenten und ihre Kinder. Die Enquete war territorial geordnet: Jedes der vier Stadtviertel, Porta Piera, Porta Stiera, Porta Ravennate und Porta Procola, hatte eine eigene Steuerkommission mit zehn Mitgliedern und zwei Notaren, die die Steuererklärungen einsammelten und sie kontrollierten. Man ging davon aus, dass diese Männer in der Stadt unbeliebt waren oder gar behindert würden, so dass es ihnen erlaubt war, Waffen zu tragen.
Manche Bürger versuchten, den Steuerfunktionären der Kommune falsche Auskünfte zu machen, so dass es nach den Kontrollen oft eine Erhöhung der erklärten Summen gab, in der Regel um etwa 10-25 Prozent. Gegen diejenigen, die sich fälschlich als Einwohner des contado vorstellten, betrügerisch ihre Güter den nicht steuerpflichtigen religiösen Gemeinschaften (besonders den Franziskanern und Dominikanern) übergeben hatten oder überhaupt keine Erklärungen abgaben, wurden Sanktionen verhängt.
Rosa Smurra untersucht diese Steuererhebung auf verschiedenen Ebenen. Zunächst skizziert sie den Kontext der Enquete: die Lage der Stadt 1296/97 nach einer großen Niederlage im Krieg gegen den Markgrafen von Este und die Entwicklung der Stadttopografie. Dann bietet das Buch eine tiefere Analyse der Enquete selbst und in Kapitel IV eine prosopografische Studie über die Mitglieder der vier Kommissionen. Diese Männer waren auf Grund ihrer persönlichen Verhältnisse von den oberen Stadtmagistraten ernannt worden und waren Vertreter der oberen oder mittleren Bevölkerungsschicht.
In Kapitel V behandelt Smurra die eigentlichen Ergebnisse der Enquete und die Auskünfte, die man aus diesen Quellen ziehen kann. Die Quellen stellen sich als cedole dar, also ein Blatt für jede einzelne Erklärung. Sie folgen einer präzisen Vorgabe. Die Kommissionsmitglieder fügten nach der Erstaufnahme Notizen hinzu, besonders als Ergebnis ihrer Kontrollen. Die Kontrollmaßnahmen waren häufig und gaben den Kommissionen eine weitreichende Entscheidungsbefugnis. So gab es in der Steuerordnung der Kommune keine ausführliche Vorschrift über eventuelle Steuerbefreiungen oder -verminderungen für Einwohner in finanziellen Schwierigkeiten, besonders in den Fällen von Eltern mit jungen Töchtern, für die sie Mitgift leisten mussten, und Steuerpflichtigen mit Gesundheitsproblemen. Die Kommissionen durften in jedem Fall selbst entscheiden. Wenn wir den Fall Bolognas mit andere Steuersystemen der Zeit vergleichen, zum Beispiel mit den Kollekten im Königreich Sizilien im 13. Jahrhundert, finden wir die gleichen Schwierigkeiten, die sich aus den Widersprüchen zwischen Effizienz des Gesamtsystems und Personalismus auf seiner unteren Ebene ergeben. Auch die collectores in Sizilien hatten eine große persönliche Entscheidungsgewalt, die sie oft missbrauchten.
Die cedole geben reiche Auskünfte über das Wirtschaftsleben Bolognas, besonders zur Stadttopografie und zur Tätigkeit der Handwerker, und liefern uns nicht selten ein Bild des Soziallebens in der Stadt: So z.B. (145) der Fall eines Notars, der als Ladengesell arbeitete, weil seine Söhne das Familieneigentum verspielt hatten, oder ein Wollhändler, der gezwungen war, Toilettenwärter zu werden (146). Es gab natürlich viele Menschen ganz ohne Eigentum, und sehr oft erklärten die Stadteinwohner, dass der Wert ihrer Güter genau die Summe von 10 Lire betrug. Viele Daten kommen auch der Kenntnis der Stadttopografie zu Gute: So kann man die Typologie des Grundbesitzes auf dem Lande und in der Stadt gut verfolgen und die Häuser innerhalb der Mauern (domus und domuncule, nur wenige domus magne) manchmal auch lokalisieren. Die Enquete wurde in einer Kriegszeit durchgeführt, und die Schwierigkeiten und Probleme des Krieges sind in den Quellen gut sichtbar. Einige reiche Einwohner der Stadt befanden sich im Gefängnis im Ausland, einige Häuser könnten nicht vermietet oder verkauft werden und einigen Unternehmen ging es ziemlich schlecht.
Im Anhang des Buches diskutiert Smurra die Stadtgliederung am Ende des 13. Jahrhunderts. Die Hauptquellen dazu sind die Enquete von 1296/97 und die Libri terminorum von 1294, in denen die genauen Grenzpunkte der verschiedenen Stadtteile festgehalten sind. Smurra referiert die Forschungen zur Kartografie Bolognas und macht zwei Exkurse zur Stadttopografie im Gebiet der Mura dei Torresotti. In einem Schlusswort stellt Ovidio Capitani das Buch in den Kontext der Forschungen zur Geschichte Bolognas im Mittelalter. Eine Quellenliste und die Bibliografie sowie eine kurze Liste der Gewichte und Maße in Bologna im 13. Jahrhundert runden das Buch ab.
Rosa Smurra stellt ihr Buch als vorläufiges Ergebnis der Auswertung eines riesigen Quellenmaterials vor, aus dem sicherlich noch viel veröffentlicht werden kann. Es handelt sich hier nur um die Spitze eines Eisbergs. Das Buch ist sehr gut lesbar, zumal die technischen Details nicht das Gesamtverständnis der Problematik stören. Zweifellos haben wir es hier mit einer der Hauptquellen des mittelalterlichen Fiskalwesens zu tun, und der Autorin ist es gelungen, ihr Forschungsobjekt dem Leser nahezubringen.
Kristian Toomaspoeg