Benjamin Drechsel: Politik im Bild. Wie politische Bilder entstehen und wie digitale Bildarchive arbeiten (= Interaktiva; Bd. 2), Frankfurt/M.: Campus 2005, 233 S., ISBN 978-3-593-37839-8, EUR 29,90
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Während der Entstehung dieser im Fach Politikwissenschaften 2005 eingereichten Dissertation arbeitete Benjamin Drechsel als Koordinator des Gießener Bildarchiv-Projekts BiPoLar am Aufbau einer Datenbank politischer Bilder. Diese Tätigkeit spiegelt sich im Untertitel der Arbeit wider, die zwei Fragestellungen zusammenführt, die auf den ersten Blick wenig gemein haben: Wie politische Bilder entstehen und wie digitale Bildarchive arbeiten.
Die Arbeit folgt einem in den Sozialwissenschaften gängigen Gliederungsschema. Einem Theorieteil (15-125) folgt ein Abschnitt mit Fallstudien (127-172), der die praktische Anwendung der im ersten Teil erarbeiten Methodik exemplifiziert. Den Abschluss bildet eine Beschreibung, wie ein politikwissenschaftlicher Beitrag zur Bildwissenschaft praktisch realisiert werden kann (173-192). Drechsel geht davon aus, dass die politikwissenschaftliche Analyse visueller Kommunikation allgemein ebenso wie die Erforschung politisch relevanter Bildarchive im Speziellen Desiderate darstellen. Die Fragestellung, was "eine Politikwissenschaft der transdisziplinären Bildforschung beitragen" (11) kann, bildet dabei das Leitmotiv.
Der erste Teil resümiert zunächst die Diskussion um die Bildwissenschaft vor allem in den Kulturwissenschaften. Die komprimierte, aber dennoch gut lesbare und alle wesentlichen Aspekte abdeckende Zusammenfassung des Bilddiskurses führt schließlich zu einem semiotisch geprägten Bildbegriff: "Bilder sind visuelle Zeichen, deren Bedeutungen sich aus dem Wechselspiel von Blicken und Trägern ergeben." (63) Diese Definition bildet den Ausgangspunkt zur Diskussion des Begriffs des politischen Bildes. Die von Martin Warnke entwickelte Politische Ikonografie wird darin als "wichtigste Strömung zur Erforschung politischer Bilder" (71) bezeichnet, umso überraschender ist es, dass sie hier nur kurz erwähnt und stattdessen auf Teil 3 der Arbeit verwiesen wird. Der Autor bietet abschließend eine wenig spezifische Definition des politischen Bildes an, nach der ein Bild dann als politisch zu bezeichnen ist, wenn es "intersubjektiv überprüfbar" (74) in Zusammenhang mit Politik, mit einer öffentlich verbindlichen Entscheidung, mit dem Gemeinwohl oder mit Machtfragen steht. [1]
Im Folgenden wird den Spuren der Politik in ganzen Bildsammlungen nachgegangen. Nach einer etwas ausufernden Klärung des Archivbegriffs werden zwei Erscheinungsformen der Politik in Bildsammlungen herausgearbeitet: Bildarchive politischer Bilder sammeln Bilder, die nach der oben genannten Definition politische Bilder sind, während bei politischen Bildarchiven weniger das einzelne Bild, als das Archiv als Gesamtheit politische Relevanz besitzt. Viel zu kurz kommt die politische Dimension kommerzieller Bildagenturen, die nur im Rahmen einer historischen Abhandlung über Bildarchive angesprochen wird. Agenturen wie Getty Images oder Corbis haben die exklusiven Rechte an vielen in das kollektive Gedächtnis eingegangenen Bildern und damit eine nicht unerhebliche "mentalpolitische Machtposition" (104) inne. Hier hätte man sich weitere Ausführungen und entsprechende Beispiele im folgenden Abschnitt gewünscht.
Der zweite Teil, der mit "Archivstrategien - Bilddatenbanken als politische Instrumente" überschrieben ist, widmet sich fünf Fallbeispielen. Die Wahl fiel auf Sammlungen, "welche in dem jeweils durch sie exemplifizierten Problemfeld eine zentrale archivstrategische Rolle spielen." (12) Hinzuzufügen ist, dass es sich dabei ausschließlich um deutsche Bildarchive handelt, die digital vorliegen oder digitalisiert werden.
Der Lost Art Internet Database als Beispiel für ein politisches Bildarchiv, dessen politischer Impetus in der Herstellung von Öffentlichkeit für gestohlenes und verlorenes Kulturgut mit dem Zweck der Wiederauffindung liegt, wird die Zentrale Lichtbildsammlung des Bundeskriminalamts als Vergleich zur Seite gestellt, deren politische Zielsetzung in der Effizienzsteigerung bei Personenfahndungen besteht.
Auch das Koloniale Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft ist ein Bildarchiv mit hohem politischem Gehalt. Die Digitalisierung dieses Archivs wird hier als Problemlösung beschrieben, die neben der Lösung der konservatorischen Anforderungen auch ein erhöhtes Maß an Öffentlichkeit bringt und damit einen internationalen politischen Diskurs über das Material überhaupt erst ermöglicht.
Mit Foto Marburg und prometheus werden schließlich zwei genuin kunsthistorisch ausgerichtete Bildarchive besprochen, deren unterschiedliche Verwaltungsstrukturen als politisch diametrale Systeme kategorisiert werden. Der basisdemokratische, netzbasierte Ansatz von prometheus steht dabei dem zentralistisch organisierten Bildarchiv Foto Marburg gegenüber. Beide Organisationsformen bieten unterschiedliche Vor- und Nachteile, aber es lässt sich "keine von beiden zum alleinigen Vorbild der künftigen Entwicklung kunstgeschichtlicher Bildarchive stilisieren." (171) Beiden gemeinsam ist die beständige Auseinandersetzung mit dem in den letzten Jahren verschärften Urheberrecht, das eine wissenschaftliche Nutzung solcher Bildarchive zunehmend erschwert (105).
Den Schlussteil bildet auf nur 17 Seiten die Auseinandersetzung mit zwei Archiven, die sich zu Aufgabe gemacht haben, Kategorien zur Spezifikation des politischen Gehalts von Bildern zu definieren und Bilder zu sammeln, auf die diese Kategorien angewandt werden können. Als Prototyp eines Archivs politischer Bilder stellt Drechsel die Warburg Electronic Library vor, die auf Martin Warnkes Bildindex zur Politischen Ikonografie zurückgeht. Die Kunstgeschichte hat mit der Politischen Ikonografie als erste Fachdisziplin den politischen Gehalt von Bildern systematisch erforscht, was "jedoch von Anfang an ein transdiziplinäres Projekt gewesen" (177) sei. Der Bildindex diente auch dem bereits erwähnten Projekt BiPoLar als Vorbild, denn die "Politikwissenschaft muss von der Kunstgeschichte und insbesondere von der Politischen Ikonographie lernen, wenn es darum geht, politische Bilder zu erforschen." (187) Das Sammeln und Kategorisieren politischer Bilder in dieser Tradition wird schließlich als möglicher Beitrag der Politikwissenschaften zu einer interdisziplinären Bildwissenschaft vorgeschlagen.
Trotz der Dreiteilung liegt der Schwerpunkt eindeutig auf dem ersten Teil. Diese umfangreiche Diskussion der theoretischen Grundlagen ist es auch, die die Arbeit im Vergleich zu anderen sozial- und politikwissenschaftlichen Arbeiten hervorhebt, wie schon Sachs-Hombach in seiner Rezension betont. [2] Drechsel bietet eine kenntnisreiche und komprimierte Darstellung der Diskussion um die Bildwissenschaften, die auch von Wissenschaftlern anderer Fachgebiete mit Gewinn zu lesen ist. Es gelingt ihm jedoch nicht vollständig, die Ebene des politischen Bildes einerseits und die der politischen Dimension von Bildarchiven andererseits zu einem Ganzen zu fügen. Von den beiden im Untertitel der Arbeit genannten Fragestellungen wird nur eine nach dem ersten Teil weiter verfolgt. Während die politische Kategorisierung digitaler Bildarchive in den Fallbeispielen veranschaulicht wird, wird die Identifikation einzelner politischer Bilder anhand der getroffenen Definition nicht mehr thematisiert. [3] Die Ausführungen zur Entstehungsgeschichte und Organisation der besprochenen Bildarchive, die zum Teil auf persönlichen Interviews beruhen, sind dagegen sehr informativ und geben tiefe Einblicke in ihre nicht nur politischen Strategien und Arbeitsstrukturen.
Insgesamt bietet die vorliegende Arbeit einen neuen, politikwissenschaftlichen Blick auf das Thema Bildwissenschaften auf Basis einer fundiert und sachlich erarbeiteten theoretischen Grundlage. Die Aufbereitung der politischen Facetten ausgewählter Bildarchive ist zudem ein guter Ansatzpunkt für künftige Forschungen. So ließe sich beispielsweise die Frage stellen, welche Selektionskriterien in Bildsammlungen zu neuen Kanonbildungen führen können. Nicht zuletzt versteht sich die vorliegende Arbeit als Anreiz, über die engen Fachgrenzen einer Disziplin hinweg die bildwissenschaftliche Kompetenz der Kunstgeschichte auch für andere Wissenschaftsfächer nutzbar zu machen und erweist sich dabei selbst als ein nachahmenswertes Beispiel einer gelungenen interdisziplinären Arbeit.
Anmerkungen:
[1] Als ergänzende Lektüre bieten sich Band 9 und 10 der Reihe "Kunst und Politik" an: Ursula Frohne / Jutta Held (Hgg.): Politische Kunst heute (= Kunst und Politik; Bd. 9), Göttingen 2008; und Andrew Hemingway / Norbert Schneider (Hgg.): Bildwissenschaft und Visual Culture Studies in der Diskussion (= Kunst und Politik; Bd. 10), Göttingen 2009.
[2] Klaus Sachs-Hombach: Rezension von Benjamin Drechsel: Politik im Bild. Wie politische Bilder entstehen und wie digitale Bildarchive arbeiten, in: Image. Journal of interdisciplinary image science 2009, http://www.bildwissenschaft.org/journal/content.php?function=fnBookreview&showBookreview=2 (09.03.09).
[3] Einzelbesprechungen politisch und kulturell wirkungsmächtiger Bilder finden sich jüngst in: Gerhard Paul (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Bildatlas 1949 bis heute, Göttingen 2008.
Georg Hohmann