Gunnar Heydenreich: Lucas Cranach the Elder. Painting materials, techniques and workshop practice, Amsterdam: Amsterdam University Press 2007, 464 S., ISBN 978-90-5356-745-6, EUR 55,00
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Cranach allerorten - so jedenfalls der Eindruck beim Überblick über die letzten Jahre. Neben monografischen Ausstellungen seit 2005 in Prag, Chemnitz, Aschaffenburg sowie Frankfurt und London standen Epochentableaus wie "Glaube und Macht" in Torgau (2004) und - in kleinerem Umfang - "Der Kardinal" (2006) in Halle, in denen Arbeiten der Cranach-Werkstatt eine zentrale Stellung einnahmen. In naher Zukunft steht eine umfassende Schau der Bilder aus dem Jagdschloss Grunewald im Schloss Charlottenburg bevor (2009/10).
Die bisherigen Aktivitäten wurden von Publikationen begleitet, die einmal weniger, einmal mehr Neues zur Cranachforschung beitrugen. In dieser Hinsicht eine Sensation ist allerdings das hier anzuzeigende Buch von Gunnar Heydenreich, welches aus der Londoner Dissertation des Autors hervorgegangen ist.
Eine derart umfassende monografische Untersuchung von Cranachs Technik und Werkstattpraxis liegt bisher nicht vor. Im Folgenden wird vor allem diese kunsttechnische Seite betrachtet werden, wobei zwangsläufig sonstige Probleme und Streitfragen der Cranachforschung außer Acht gelassen werden müssen, gleichwohl sie der Autor zur Sprache bringt.
Die Arbeit ist in fünf große Kapitel unterteilt: Das erste widmet sich der Beurteilung der cranachschen Malpraxis im Lauf der letzten vier Jahrhunderte. Das zweite, umfangreichste, stellt den Entstehungsprozess der cranachschen Holztafelgemälde dar, wobei Malmaterialien, Werkzeuge und Maltechniken grundlegend untersucht werden. Die folgenden beiden Kapitel behandeln die Gemälde auf Leinwand und anderen Bildträgern einschließlich der Wandmalerei. Im fünften Kapitel analysiert Heydenreich die Werkstattorganisation und den Austausch mit anderen bedeutenden Werkstätten der Zeit. Dem schließen sich mehrere Anhänge an, von denen die Neuedition ausgewählter Schriftquellen der wichtigste ist.
Heydenreich, von Beruf Restaurator, kann sich auf eine breite empirische Materialbasis stützen: Zum einen auf eine sehr große Zahl eigener kunsttechnologischer Untersuchungsergebnisse, zum anderen auf bereits vorliegende Befunde - und auf seine gründliche Auswertung und Neuinterpretation der Schriftquellen. Obgleich er sich bewusst ist, auf die Arbeiten zahlreicher Vorgänger zurückgreifen zu können - erinnert sei an die kunsttechnologischen und stilkritischen Untersuchungen von Gronau, Riemann, Sandner, Koepplin und anderen - gelingt es ihm so, zahlreiche für sicher gehaltene Ergebnisse zu revidieren.
So erweist sich die bei Cranach angeblich vorherrschend verwendete ockerfarbige Imprimitur als Legende (30 und 194), die über rund achtzig Jahre fortgeschrieben worden war. Die Bezeichnung ist tatsächlich nicht zu stark, weil sich der Irrtum auf die maltechnischen Rekonstruktionen von Doerner (1921) und seinem Schüler Wehlte (1946) zurückführen lässt, die allerdings eine Technik erfunden hatten, mit der sich ähnliche Wirkungen wie in den deutschen Gemälden des 15. und 16. Jahrhunderts erzielen ließen. Ähnliches gilt für die vermeintlichen Pauspunkte, die sich etwa in den serienmäßig produzierten Lutherbildnissen finden - Heydenreich weist überzeugend anhand technologischer Kriterien nach, dass es sich hierbei nicht um die genannte Übertragungsmethode handeln kann.
Die Arbeit zeigt, umfassender, systematischer und tiefgründiger als bisher, wie sehr der Werkstattbetrieb von Effizienzkriterien geprägt war. Dies beginnt mit den standardisierten Holztafel-Formaten - der Autor identifiziert deren sechs - des Wittenberger Hofkünstlers (42-43). Heydenreich weist nach, dass sich keinerlei Tafel finden lässt, deren Format in Cranachs Werkstatt verändert worden wäre. Jede Komposition hatte sich also von vornherein den Standardformaten anzupassen. Die Proportionen von Entwurfszeichnungen und Tafeln "are determined in relation to one another according to an established system" (44), was das Vertauschen oder Auswechseln von Flügeln innerhalb eines Altarentwurfs gestattete. Dies macht eine zusätzliche "Produktion auf Vorrat" für den "freien Markt" wahrscheinlich.
Die Effizienz setzt sich fort mit der meist dünnen Grundierungsschicht und hellen, rötlichen Imprimituren, welche der Inkarnatvorbereitung dienen. Diese Schichten, an der Wende zum 16. Jahrhundert bereits sehr gebräuchlich, sind Teil eines abkürzenden Entwurfs- und Malverfahrens, wie der Verweis auf eine Entwurfszeichnung deutlich macht, deren Grund ebenso hell-rötlich getönt ist (102-105).
So ist weiterhin die Unterzeichnung nicht einfach als Formangabe für die nachfolgenden Malschichten zu verstehen, sondern häufig integraler Bestandteil des vollendeten Gemäldes, wie sich an bewusst sichtbar gelassenen Zeichnungspartien ebenso wie an "malerischen" Unterzeichnungspartien zeigt: Die Schattenpartien der "Vierzehn Nothelfer" (1505/07) etwa sind nicht mit den üblichen Schraffuren, sondern mit grauen Lavagen unterlegt, so dass bereits in der Unterzeichnung ein grisailleartiger Effekt wirksam wird. Später kommen solche elaborierten Unterzeichnungen, die mit der Übernahme einzelner Untermalungsfunktionen den Arbeitsprozess abkürzten, gelegentlich vor, bei gleichzeitiger Tendenz zur Reduktion der Unterzeichnung auf das Notwendigste, was eine Folge wachsender Werkstattroutine sein mochte und ebenfalls abkürzende Wirkung hatte (107-110).
Gleiche Sorgfalt widmet Heydenreich den verwendeten Malmaterialien, als Beispiel mögen die Pigmente dienen: Mit der Apothekenlizenz in Wittenberg (1520) erhält Cranach die Möglichkeit, selbst am Farbenhandel teilzunehmen und die großen Mengen, die seine Firma benötigte, mit den Vorteilen des Großhandels zu beziehen (131-133) - und seine verschiedenen Aufgaben als Hofmaler versetzten ihn in die Lage, eine ungewöhnliche Vielfalt von Materialien zu ordern. Heydenreich unterscheidet 25 verschiedene Farbmittel (wesentlich mehr, als bei Dürer und Grünewald) und spezifiziert sie nach Bezugsquellen, Qualitäten, Preisen und Verwendung. Dabei wird es möglich, die Verwendung bestimmter Farbmittel einzelnen Aufenthaltsorten und Schaffensperioden zuzuordnen.
Wertvoll sind Heydenreichs Untersuchungen zu den Leinwandbildern der Cranach-Werkstatt (231-253) schon allein deshalb, weil diese bisher kaum untersucht worden sind - was damit zusammenhängen mag, dass von den zwischen 1505 und 1553 in den Quellen angeführten 200 Leinwandbildern (bedeutend mehr müssen die Werkstatt verlassen haben, wie der Autor überzeugend nachweist) nur zwei erhalten geblieben sind. Als Vergleichsmaterial bieten sich allerdings überkommene Leinwände aus der Zeit Lucas Cranachs des Jüngeren an. So ist es möglich, Aussagen zu Arten und Formaten der Leinwände, zu ihrer Vorbehandlung und den verwendeten Maltechniken zu treffen. Von gleichem Wert sind die Forschungen des Autors zu den Gemälden auf Pergament, Papier, Metall sowie zu Wandmalereien und Architekturfassungen.
Heydenreich charakterisiert die ungeheure technische Vielseitigkeit Cranachs, welcher "absorbed an enormous wealth of practices; he developed and varied them [...] to fulfil both the commissioners' expectations and his own ideas of painting. [...] The range of his activity extends far beyond that of his contemporaries Dürer, Holbein und Grünewald." Er verweist auf die "Personalpolitik" Cranachs, sowohl ständig hochqualifizierte Mitarbeiter wie auch wechselnde Wandergesellen zu beschäftigen, aber auch mit anderen Meistern zusammen zu arbeiten. "In this way he organised an workshop that functioned simultaneously on very diverse levels and in different areas." (325-326)
Verwandtschaften spezieller Materialien und Techniken, wie sie ihrer Zeit nicht am vollendeten Gemälde ablesbar waren, führen den Autor zur Vermutung, dass Cranach in seinen Wanderjahren sowohl die Werkstätten von Dürer und Wolgemut in Nürnberg, wie von Pacher in Salzburg besucht haben muss (313-318). Ausführlich geht das Buch auf den Umgang mit fremden und eigenen Vorlagen ein - hier bieten sich zum Vergleich neuere Forschungsergebnisse zu anderen zeitgenössischen Werkstätten an, wie beispielsweise in jüngster Zeit zum Zwickauer Wolgemut-Altar. [1]
Die Ergebnisse von Heydenreichs Untersuchungen zur Werkstattpraxis tragen wesentlich dazu bei, den ohnehin angeschlagenen Mythos von der "Meisterhandschrift" Cranachs zu beerdigen. Tatsächlich war der gesamte Betrieb darauf angelegt, "Händescheidung" durch die Auftraggeber unmöglich zu machen, es galt vielmehr, nach den Prinzipien des Meisters zu arbeiten. Dabei gibt es allerdings Qualitätsunterschiede - nur ist der Schluss, Partien höherer und höchster Qualität seien ausschließlich vom Meister selbst gearbeitet, verfehlt: Anhand zahlreicher Indizien zeigt dieses Buch, dass solche Partien auch von hochbegabten Mitarbeitern ausgeführt worden sein können. Zur Schwierigkeit der Händescheidung trägt ebenso die oft horizontale Arbeitsteilung bei, die sich an technischen Fakten festmachen lässt und bedeutet, dass Meister wie Mitarbeiter alternierend an einzelnen Schichten des Gemäldes arbeiteten. Auf der Cranach-Tagung in Berlin (April 2008) wurde eine derartige "Verzahnung" der Arbeit verschiedener Hände bekräftigt, aber auch auf die vielseitige Werkstatt-Verwendung gleicher Vorlagen über Generationen hinweg aufmerksam gemacht.
Mit ihrer Umsicht und Komplexität steht Heydenreichs Untersuchung exemplarisch für eine relativ junge Richtung, welche Kunstgeschichte, Kunsttechnik, kritische Quellenforschung, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie naturwissenschaftliche Analysen interdisziplinär zu einem neuen Forschungsgebiet jenseits der "klassischen" Kunstgeschichte verknüpft.
Anmerkung:
[1] Landesamt für Denkmalpflege Sachsen (Hg.): Der Zwickauer Wolgemut-Altar. Beiträge zu Geschichte, Ikonographie, Autorschaft und Restaurierung (= Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Arbeitsheft; 11), Dresden 2008.
Albrecht Pohlmann